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Von Simon Jacoby

Co-Geschäftsleitung & Chefredaktor

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1. Juni 2016 um 07:16

Haare schneiden für 20 Franken – lohnt sich das?

In Zürich bieten Coiffeure ihre Dienste bereits für 20 Franken an. Dass sie mit solchen Kampfpreisen über die Runden kommen, hat mehrere Gründe.

Elf. So viele Frisöre und Barbiere buhlen rund um den Zürcher Idaplatz um die Gunst der Kunden. Mit jedem Strassenzug kommen ein bis zwei weitere dazu. Das war nicht immer so: Viele Geschäfte siedelten sich hier erst in den letzten Jahren an. Sie arbeiten günstig – Männerhaarschnitte sind ab 20 Franken zu haben – und sie arbeiten schnell. Was eine Erklärung dafür sein kann, dass viele der neuen Salons so gut wie immer leer sind. Aber längst nicht die einzige.

Durch die neue Konkurrenz geraten traditionelle Coiffeursalons unter Druck, die Branche steckt in einem Verdrängungskampf. Dieser wird nicht nur von den immer zahlreicheren Billigsalons gefördert, sondern auch von den sogenannten Badewannen-Coiffeusen: Das sind vorwiegend Frauen, die ihre Kunden zuhause empfangen und auf eigene Rechnung schneiden, schwarz. Gemäss Schweiz am Sonntag gibt es schweizweit etwa 5000 solcher Hobby-Frisörinnen.

Während sie keine Rendite erwirtschaften müssen, sind Salons, auch die günstigsten, auf stabile Einnahmen angewiesen. Wie alle anderen Unternehmen müssen sie Miete, Mobiliar, Löhne, Abgaben und Versicherungen bezahlen. Doch wie geht das? Wie kann ein Laden überleben, wenn ein Herrenhaarschnitt gerade einmal 20 bis 25 Franken einbringt?

Gelernte Frisöre unterstehen dem Gesamtarbeitsvertrag (GAV), der zwischen den Gewerkschaften Unia und Syna sowie den Arbeitgebern ausgehandelt wurde. Der monatlich garantierte Mindestlohn beträgt 3800 Franken – ohne 13. Monatslohn. Doch wie Zahlen der paritätischen Kommission für das Coiffeurgewerbe, die die Einhaltung des GAV kontrolliert, zeigen, verfügt rund die Hälfte der Angestellten der schweizweit 12 000 Salons nicht über einen entsprechenden Abschluss. Und das wiederum bedeutet: kein Mindestlohn. «Deswegen können viele Barbiere zu Dumpinglöhnen arbeiten», sagt der Unia-Sprecher Pepo Hofstetter. Damit verstärken sie freilich den Preis- und Lohndruck, vor allem bei den Gelernten.

Geschichten aus dem Quartier Der zweite Grund, warum Barbiersalons trotz Tiefstpreisen überleben können, ist ihre Arbeitsweise. Traditionelle Frisöre erzählen, dass ihre Kunden mehr erwarten als einen fachgerechten Haarschnitt: Es geht um Vertrauen, den sozialen Kontakt und nicht zuletzt den Austausch neuster Gerüchte aus der Nachbarschaft. Ein Berner Coiffeur beispielsweise hörte von seinen Kunden so viele Geschichten aus dem Quartier, dass er kurzerhand eine hyperlokale Onlinezeitung gründete.

Bei den Billigsalons läuft das Haareschneiden meist speditiver ab. Das heisst nicht, dass die Barbiere unfreundlich wären oder nichts von Service verstünden. Auch sie haben Stammkunden, auf deren Vertrauen sie zählen können. Dennoch: Kunden von traditionellen Salons verlassen diese selten schneller als nach einer halben bis einer dreiviertel Stunde. Die ungelernten Barbiere schneiden die Haare in 15 Minuten. Wer doppelt so schnell arbeitet und sich nicht an den branchenüblichen Mindestlohn halten muss, kann auch Geld verdienen, wenn er den Preis auf unter die Hälfte drückt und der Salon oft leer steht. Primetime sei jeweils nach Feierabend und samstags, erzählt ein Coiffeur. Dann drängt sich die Kundschaft auf die schwarzen Kunstledersofas – auf dem Heimweg vom Einkaufen noch rasch die Frisur erneuern.
Bild: yelp.ch Bild: yelp.ch
Doch nicht alle Tiefpreisanbieter wirtschaften auf Kosten ihrer Angestellten. Mit einem guten Namen, mehreren Salons und einer treuen Kundschaft lassen sich auch mit 25-Franken-Haarschnitten GAV-konforme Löhne bezahlen. Einer, der es tut, ist der kurdische Unternehmer Saleh. Er hat in Zürich eine kleine Kette aufgebaut. Seinen Angestellten bezahle er einen Grundlohn von 3800 Franken plus Umsatzbeteiligung, erzählte er der Nachrichtenagentur SDA.

Böse Gerüchte Wie gereizt die Stimmung in der Branche ist, zeigt sich an einem Gerücht, das immer wieder die Runde macht: Einige Billiganbieter würden nicht nur Haarschnitte anbieten, sondern auch verbotene Substanzen. Auch von Geldwäsche ist die Rede. Nichts daran sei wahr, sagt ein Barbier. Das Gerücht sei von teureren Salons in die Welt gesetzt worden, die sich von der immer zahlreicheren Konkurrenz bedroht fühlten.

Nicht nur die gelernten Coiffeure stören sich ob der billigen Konkurrenz. Die Unia verlangt die Einführung von «angemessenen Mindestlöhnen im GAV auch für Angestellte ohne anerkannte Ausbildung.» Bisher seien die Arbeitgeber jedoch nicht bereit gewesen, auf diese Forderung einzugehen. «Das ist verantwortungslos», sagt Hofstetter, «und schadet der ganzen Branche. Coiffeursalons, die Ungelernte anstellen, haben einen Wettbewerbsvorteil und können Löhne und Preise für die ganze Branche nach unten drücken.» Dies führt gemäss Hofstetter dazu, dass sich die Lehre nicht mehr lohnt und «viele Junge aus dem Beruf aussteigen».


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Der Konkurrenzkampf erinnert etwas an die jüngsten Dispute zwischen Uber und dem lokalen Taxigewerbe. Bei den Frisören ist es zwar keine neue Technologie, die auf alte Praktiken trifft – aber auch die ungleich langen Spiesse im Coiffeurdisput könnten ein Fall für den Regulator werden. Dass das Arbeiten mit ausgebildetem Personal zu einem Wettbewerbsnachteil führt, kann nicht in seinem Sinne sein.

Da ein Einschreiten des Regulators eher unwahrscheinlich scheint, entscheiden die Kunden über den weiteren Verlauf der Dinge. Sie sind es, die über die Wahl ihres Dienstleisters dessen Geschäftspraktiken billigen oder abstrafen. Das Haareschneiden ist zum Politikum geworden, nur um das Kürzen der Haare geht es dabei schon längst nicht mehr.
Titelbild: Screenshot/Youtube

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