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Von Isabel Brun

(Klima-)Redaktorin

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5. Oktober 2019 um 07:30

Aktualisiert 27.01.2022

Guy Standing: «Ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte die wirtschaftliche Ungleichheit verringern»

Geht es um die Zukunft der Arbeit fällt oft der Begriff des bedingungslosen Grundeinkommens – kurz BGE. Wir haben mit dem Pionier dieser Idee, dem britischen Ökonomen Guy Standing, gesprochen und ihn unter anderem gefragt, weshalb sich das Konzept in der Schweiz noch nicht durchgesetzt hat.

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Bild: Stanislas Jourdan via flickr.com

Herr Standing, was ist ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE)?

Guy Standing: Ein BGE ist eine modulare Zahlung, die an jeden Einzelnen – unabhängig vom biologischen Geschlecht – ausgezahlt wird. Wie der Name schon sagt, wäre die Auszahlung des Betrags ohne Bedingungen seitens der Empfänger*innen. Die Zahlung wäre als wirtschaftliches Recht nicht widerrufbar und dauerhaft vom Staat auszuzahlen.

Muss es sich dabei um einen bestimmten Betrag handeln?

Nein, im Prinzip könnte mit einem kleinen Betrag gestartet werden, der erhöht wird, wenn die Mittel für weitere Zahlungen vorhanden sind.

Würde das BGE sämtliche bestehende Leistungen ersetzen?

Nicht unbedingt. Es ist aber wahrscheinlich, dass es ein gewisser Ersatz für bestehende bedarfsorientierte Leistungen sein würde. Allerdings gilt zu beachten, dass Menschen mit zusätzlichen Lebensunterhaltkosten – z.B. Menschen mit einer Behinderung – auch zusätzliche Leistungen erhalten müssten. Nur so könnte sichergestellt werden, dass jede*r ein gleichwertiges Einkommen hat.

Bei der Diskussion über die Zukunft der Arbeit muss zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit unterschieden werden.

Guy Standing, Ökonom

Wie soll das finanziert werden?

Ich plädiere dafür, die Mittel für die Zahlung eines BGEs aufzubringen, indem wir von der Besteuerung der Erwerbseinkommen und des gewöhnlichen Verbrauchs wegkommen. Stattdessen soll ein System von Abgaben (Steuern) auf die unrechtmäßige Nutzung der Gemeinschaftsgüter, einschließlich Land, Wasser, Luft, digitale Daten und privater Erbe eingeführt werden.

Hört sich kompliziert an.

In meinem neuen Buch «Plunder oft he Commons» gehe ich weiter auf diese Thematik ein.

In unserem Fokusmonat bei Tsüri.ch geht es um die Zukunft der Arbeit. Inwiefern ist das bedingungslose Grundeinkommen mit Veränderungen in der Arbeitswelt verknüpft?

Bei der Diskussion über die Zukunft der Arbeit muss zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit unterschieden werden. Ein Grundeinkommen würde für Menschen einen Anreiz schaffen, mehr unbezahlte Arbeit und möglicherweise weniger bezahlte Arbeit zu leisten.

Und bezüglich technologischer Veränderungen?

Ich glaube nicht, dass wir durch die laufende technologische Revolution viele Entlassungen zu befürchten haben. Im Gegenteil, es führt dazu, dass Menschen mehr unbezahlte Arbeit leisten, insbesondere wenn sie sich im Prekariat befinden. Was aber gesagt werden kann, ist, dass die technologische Revolution disruptiver sein und mehr Ungleichheit erzeugen wird.

Über den Interviewpartner
Guy Standing ist ein britischer Professor für Development Studies an der School of Oriental and African Studies in London. Er ist Mitgründer des Basic Income Earth Networks und verfasste etliche Bücher und Fachartikel zum bedingungslosen Grundeinkommen. Standing ist 71 Jahre alt.

Wäre das BGE die Rettung des Prekariats?

Ein Grundeinkommen könnte, wenn es richtig gestaltet ist, die wirtschaftliche Ungleichheit verringern und eine grundlegende wirtschaftliche Sicherheit bieten.

Sie sind Mitgründer des «Basic Income Earth Network» (BIEN), welches 1986 lanciert wurde. Wieso interessieren Sie sich so sehr für dieses Konzept?

Ich bin seit langem der Meinung, dass das Wirtschaftsmodell hinter der «neoliberalen» Ära der 80er Jahre zu immer mehr Ungleichheit und immer mehr wirtschaftlicher Unsicherheit führen würde. Das ist geschehen. Wenn es so weitergeht, könnten wir mehr Bürgerkriege, mehr psychische Zusammenbrüche und gefährlichere populistische politische Entwicklungen erleben.

Unter Prekariat wird in der Politik und Soziologie einen Bevölkerungsteil verstanden, der in Armut lebt oder von Armut bedroht ist und nur geringe Aufstiegschancen hat. Diese Situation ist vor allem durch anhaltende Arbeitslosigkeit und fehlende soziale Absicherung geprägt. Laut Standing leidet das Prekariat nicht nur unter Arbeitsplatzunsicherheit, sondern auch unter Identitätsunsicherheit und mangelnder Zeitkontrolle – nicht zuletzt aufgrund der Sozialpolitik in der Arbeitswelt.

Weshalb haben wir – trotz einigen Versuchen auf politischer Ebene – in der Schweiz noch immer kein BGE?

Bei der Schweizer Volksinitiative im Jahr 2016 wurde der Fehler gemacht, ein zu hohes BGE vorzuschlagen. Das könnte ein langfristiges Ziel sein – und sollte es auch –, aber ich denke, wir werden erst politische Fortschritte machen, wenn wir einen bescheideneren Betrag vorschlagen.

Nächsten Dienstag haben Sie nur sieben Minuten Zeit, um das Publikum davon zu überzeugen, dass das BGE funktionieren kann. Ist es in so kurzer Zeit überhaupt möglich ein solches Konzept zu erklären?

Wir werden sehen! Ich denke aber, die Ergebnisse von bereits erfolgreichen Pilotprojekten sind überzeugend genug, um sogar Zyniker dazu zu bringen, ihren Zynismus zu überdenken.

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