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Von Isabel Brun

Redaktorin

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24. März 2021 um 12:00

Gewalt an Frauen: Welche Rolle spielt die Polizei?

Leiden Frauen unter Gewalt, gilt die Polizei als erste und wichtigste Instanz. Doch seit den repressiven Einsätzen der Stadtpolizei Zürich an verschiedenen Demonstrationen scheint das Vertrauen in den «Freund und Helfer» zu schwinden. Über verhärtete Fronten, fragwürdige Strukturen und dem Versuch, die Wogen zu glätten.

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Der Dialog gestaltet sich auch an der Demonstration vom 20. März schwierig. (Fotos: Isabel Brun)

Die Sonne scheint, doch der Wind bringt Kälte auf den Helvetiaplatz. In den Strassen stehen Kastenwagen der Zürcher Stadtpolizei. Das dazugehörige Dialogteam schickt eine Gruppe von Kindern weg, während eine Durchsage alle Anwesenden dazu auffordert, den Platz zu verlassen. Auch kleine Gruppen von Frauen, die etwas abseits stehen, werden von Polizist*innen in Vollmontur gebeten zu gehen. Die Szenerie wirkt absurd. Der Grund für das Polizeiaufgebot: Eine unbewilligte Demonstration, die sich gegen die Polizeigewalt vom 6. und 8. März richtet. Unter dem Motto «Unsere Antwort ist Widerstand» hatte das Feministische Streikkollektiv für den vergangenen Samstagnachmittag zur Kundgebung aufgerufen.

Eine Frauendemo, die eskaliert

Der Widerstand kommt nicht von ungefähr: Vor zwei Wochen kam es bei einer Demonstration zum Weltfrauentag zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Polizeieinheiten und Teilnehmerinnen. Gemäss mehreren Berichten sah die Stadtpolizei nicht davon ab, Reizgas einzusetzen. Zeuginnen nahmen die Szenen als dramatisch wahr: «Polizist*innen in Vollmontur kesselten uns regelrecht ein. Wir hatten gar keine Chance, um wieder rauszukommen und gerieten in Panik», erinnert sich Hanna. Sie und ihre Freundin seien zusammen an die Demonstration gegangen, um für ihre Rechte als Frauen einzustehen – stattdessen wurden sie Opfer von einem äusserst repressiven Einsatz der Zürcher Stadtpolizei. Hanna hatte Glück; sie schaffte es dank der Flucht über einen Zaun aus der Gefahrenzone. Trotzdem steckt ihr das Erlebte noch in den Knochen: «Ich hatte noch nie solche Angst an einer Demo», so die junge Zürcherin.

Die Folgen des Versuchs der Stadtpolizei, die Kundgebung zu stoppen, waren Verletzte auf beiden Seiten und harsche Kritik am Einsatz der Polizei. Das Feministische Streikkollektiv bezeichnet diesen als «unverhältnismässig». Die Stapo-Sprecherin Judith Hödl weist den Vorwurf zurück, und auch die Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart (Grüne) nimmt die Gesetzeshüterin in Schutz. Die Stadtpolizei habe richtig gehandelt, denn Versammlungen – und somit auch Demonstrationen und Kundgebungen – mit mehr als 15 Personen seien im Kanton Zürich gemäss Covid-Verordnung nach wie vor verboten. Eine Regel, die sie selber auch nicht ganz verstehen würde, sagte Rykart einige Tage später im Gemeinderat. Während der Kanton Zürich, im Gegensatz zu den meisten anderen Kantonen in der Schweiz, an dem faktischen Demonstrationsverbot festhält, verzichtete der Bundesrat darauf, eines zu verhängen. Die Begründung: Es würde das Versammlungsrecht, und somit ein Grundrecht, einschränken.

Ein Demoverbot, das umstritten ist

Darf der Kanton Zürich in seiner Covid-Verordnung weiter gehen als der Bund, wenn es zu politischen Kundgebungen kommt? «Diese Frage lässt sich nicht so leicht beantworten», schreibt die Rechtsanwältin Ursula Weber auf Anfrage. Denn ob ein faktisches Demoverbot als Massnahme zur Eindämmung von Corona rechtmässig ist, könne ohne genauere Prüfung nicht abschliessend gesagt werden. Unter Jurist*innen sind laut Weber zwei gegensätzliche Ansichten vertreten: Die einen würden damit argumentieren, dass es gerade aufgrund der «besonderen Lage» wichtig sei, den Kantonen freizustellen, ob sie strengere Massnahmen als der Bund anordnen wollen oder nicht. Die anderen seien der Meinung, dass die Verordnung des Bundes in jedem Fall über derjenigen der Kantone stehe, erklärt die Rechtsanwältin. «Um zu mehr Klarheit zu kommen, ist es möglich, auf dem Rechtsweg überprüfen zu lassen, ob die kantonale Verordnungsbestimmung ein übergeordnetes Recht verletzt. Das kann mit einer Beschwerde an das kantonale Verwaltungsgericht gemacht werden», so Weber. Genau das habe sie und ihre Anwaltskollegin Manuela Schiller nun vor. Das faktische Demoverbot bleibe solange bestehen, bis entweder der Regierungsrat die kantonale Verordnung anpassen oder ein Gericht den Verordnungsartikel aufheben würde, so die Juristin. Die Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart stellte an der Gemeinderatssitzung vom 10. März klar: Die Stadtpolizei Zürich sei dabei lediglich die ausführende Instanz.

Im Extremfall würde ich mich bei der Polizei nicht sicher fühlen, denn ich weiss nicht, ob sie mein Anliegen verstehen würde.

Natascha, Opfer von Polizeigewalt

Auch an diesem Samstagnachmittag ist die Präsenz der Polizei deutlich spürbar. Als es dann doch noch zu einer Demonstration mit etwas mehr als hundert Personen kommt, ist die Gesetzeshüterin mit einem Grossaufgebot vor Ort. Auch ein Wasserwerfer steht bereit, kommt aber nicht zum Einsatz. Auf Reizgas wird heute ebenfalls verzichtet; die Stadtpolizei lässt die Demonstration gewähren. Diese verläuft zwar friedlich, doch die Stimmung ist angespannt. Als die Aktivistinnen an einer Strassensperre mit Polizeieinheiten in Vollmontur vorbeiziehen, zeigt sich; seit den Ereignissen von vor zwei Wochen sind die Fronten verhärteter denn je: Hochgestreckte Mittelfinger treffen auf versteinerte Gesichter unter Vollmontur.

Ein Machtgefälle, das ausgenutzt wird?

«Die Gewalt und Repression vom 6. März ist kein Einzelfall und einmal mehr Ausdruck des kapitalistischen und patriarchalen Systems, in dem wir leben und gegen das wir kämpfen», schreibt das Feministische Streikkollektiv in ihrem Communiqué zur Demonstration vom 20. März. Die Vorfälle hätten ihre Wut vergrössert. Auch Natascha ist wütend. Die junge Frau hatte am 8. März auf der Rudolf-Brun-Brücke negative Erfahrungen mit der Zürcher Stadtpolizei gemacht. «Als ich am Schauplatz ankam, war die Polizei gerade dabei, den Sitzstreik aufzulösen. Also beobachtete ich das Geschehen aus der Distanz», so Natascha. Obwohl sie nicht am Streik teilgenommen hat, wird sie von einem Polizisten mitgenommen, musste sich ausweisen und wird aus dem Kreis 1 verwiesen. Eine Woche später erhält die Zürcherin ein Schreiben, bei welchem sie zu ihren Taten Stellung nehmen soll.

Doch was Natascha so wütend macht, ist nicht die Auflösung des Sitzstreiks: Sie verstehe, dass die Strasse wieder freigemacht werden musste. «Aber die Art und Weise, wie die Polizeieinheiten mit mir umgegangen sind, war despektierlich und willkürlich – und damit habe ich ein Problem», sagt sie. Mehrmals hätte sie den Polizisten, der sie weggeführt hatte, darum gebeten, ihr die Situation zu erklären. Seine Antwort: «Du musst es machen, weil ich es sage.» Eine Reaktion, die der jungen Frau zu denken gibt: «Um was geht es eigentlich bei der Polizei: Darum, sich zu profilieren oder darum, für Sicherheit zu sorgen?» Ihr Vertrauen in den «Freund und Helfer» sei nach diesem Erlebnis erst einmal weg. «Im Extremfall würde ich mich bei der Polizei nicht sicher fühlen, denn ich weiss nicht, ob sie mein Anliegen verstehen würde.»

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Viele Frauen haben kein Vertrauen mehr in den «Freund und Helfer» – Grund dafür sind auch Auftritte in Vollmontur an Demonstrationen.

Ein Femizid, der wachrüttelt

Natascha ist nicht die einzige, deren Vertrauen in die polizeiliche Arbeit beschädigt ist. Auch Hanna äussert Misstrauen – und vielen Frauen scheint es ähnlich zu gehen. Verantwortlich dafür ist allerdings nicht nur der Einsatz der Stadtpolizei Zürich am 6. und 8. März, sondern es sind auch nationale und internationale Vorfälle: In Grossbritannien kam es am 13. März an einer Mahnwache für den Tod von Sarah Everard zu gewaltvollen Szenen zwischen Polizeikräften und protestierenden Frauen. Zynisch dabei: Verdächtigt, am Mord an der Britin beteiligt zu sein, wird ein Polizist. Der Femizid löste eine Welle von Protesten aus. Weltweit, aber auch in der Schweiz. Am selben Wochenende kursiert in den Sozialen Medien ein Ratgeber der Kantonspolizei St. Gallen aus dem Jahr 2019, der Frauen «Tipps» geben soll, wie sie sich nachts vor Übergriffen schützen können. Der Wortlaut: «Es liegt auf der Hand, dass Sie ein leichteres Opfer sind, wenn Sie nicht bei klarem Verstand sind», und weiter: «Frauen, die Selbstbewusstsein ausstrahlen, werden weniger belästigt als verschreckte Frauen, die unsicher nach Hause huschen.» Der Shitstorm kommt prompt, woraufhin die Verantwortlichen das Dokument von der Webseite entfernen lassen und sich dafür entschuldigen; der Ratgeber sei schon mehrere Jahre alt und hätte angepasst werden müssen.

Die Stadtpolizei Zürich indes möchte sich zum Internetauftritt der Kantonspolizei St. Gallen nicht äussern. Sprecherin Judith Hödl hält jedoch fest, dass im Mai die Kampagne «Zürich schaut hin» lanciert werde, bei welcher die Bekämpfung von sexuellen, sexistischen, homo- und transfeindlichen Belästigungen im öffentlichen Raum im Vordergrund stehe. Auch würden die Polizist*innen in Themen wie Fair Policing und Berufsethik fundiert und vielseitig aus- und weitergebildet werden, so Hödl. Das Selektionsverfahren sei so ausgelegt, dass man ein hohes Mass an Sozialkompetenz und Kommunikationsfähigkeit mitbringen müsse, um überhaupt bei der Stadtpolizei arbeiten zu können.

Eine Kommunikation, die schwierig scheint

Die Frage, ob die Stadtpolizei Zürich wieder stärker auf Repression als auf den Dialog setze, beantwortet die Sprecherin mit einem klaren «Nein». Aber: «Ein Dialog bedingt in erster Linie eine beidseitige Dialogbereitschaft.» Etwas, das sich scheinbar schwierig gestaltet, obwohl beide Seite grundsätzlich das Gleiche wollen. Denn auch die betroffenen Frauen erhoffen sich künftig eine bessere Kommunikation, die weniger einseitig ist: «Es wäre schön, wenn die Polizei auch mal zuhören, das Anliegen der Frauen zu verstehen versuchen und sich eigeninitiativ zu solchen Themen weiterbilden würde», sagt Natascha. Auch Hanna wünscht sich mehr Verständnis seitens der Polizei. Dazu gehöre auch, dass Einsatzkräfte selbstreflektierter handeln müssten; «damit es in Zukunft nicht mehr zu solchen Situationen wie am 6. März kommt» – und das Vertrauen in die Polizeiarbeit bei den beiden Frauen und allen anderen Betroffenen wieder gestärkt werden kann.

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