Gemeinderats-Briefing #27: Zwei Namen und kein Kompromiss - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Steffen Kolberg

Redaktor

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22. Dezember 2022 um 08:00

Gemeinderats-Briefing #27: Zwei Namen und kein Kompromiss

Das Gemeinderats-Briefing ist das wöchentliche Update aus dem politischen Herzen Zürichs. Was diese Woche wichtig war: Umbenennung finden (fast) alle schlecht, Phänomena finden (fast) alle gut, Resolution gegen Iran.

Illustration: Zana Selimi

Bevor es in die wohlverdiente Weihnachtspause ging, wurde gestern Abend noch einmal etwas überzogen im Gemeinderat. Unruhe breitete sich im Saal aus, als die Redner:innenliste fünf Minuten vor Schluss nicht kürzer werden wollte. Jede Fraktion musste noch einmal betonen, wie wichtig die gerade geführte Diskussion sei. Doch am Ende schien es, als seien die ganzen Worte umsonst gewesen.

Doch der Reihe nach: Als letztes Geschäft des Jahres kam ein Postulat an die Reihe, das schon im Januar eingereicht und dessen Behandlung mit Spannung erwartet worden war. Darin fordert die AL den Stadtrat auf, zu prüfen, wie er die mittelalterliche jüdische Geschichte der Stadt und die Beinahe-Auslöschung der Juden während des Pogroms von 1349 im Stadtbild würdigen kann, indem er zwei Strassen umbenennt: Die Rudolf-Brun-Brücke in Frau-Minne-Brücke sowie die Brunngasse in Moses-ben-Menachem-Gasse. Walter Angst (AL) gab für die Anwesenden einen geschichtlichen Abriss des bisher Geschehenen, so wie ich es im Folgenden ebenfalls versuchen werde:

  1. 1349 werden in einer Verfolgung fast alle jüdischen Einwohner:innen der Stadt ermordet. Rudolf Brun, als damaliger Bürgermeister in verantwortlicher Position, unternimmt nichts gegen die Taten. Ob er darüber hinaus eine aktive Rolle innehatte, ist nach heutiger Quellenlage nicht belegt.
  2. 1951 wird die Uraniabrücke anlässlich der 600-Jahr-Feier des Eintritts in die Eidgenossenschaft in Rudolf-Brun-Brücke umbenannt, als Zeichen der Anerkennung für den Bürgermeister, der als Gründer der Zürcher Zunftordnung gilt, und unter dessen Regentschaft Zürich in die Eidgenossenschaft eintrat.
  3. 1996 werden in einem Altstadthaus in der Brunngasse 8 Wandmalereien eines jüdischen Festsaals aus den 1330er Jahren entdeckt. In jener Zeit war das Haus im Besitz der Frau Minne und ihrer beiden Söhne, Moses und Mordechai ben Menachem. Der erste der beiden war Rabbi und gilt als Verfasser eines für das aschkenasische Judentum wichtigen Kommentars.
  4. 1997 reicht SP-Gemeinderat Dominik Schaub ein Postulat ein, das die Umbenennung der Brücke fordert. Es wird ein Jahr später vom Gemeinderat abgelehnt.
  5. 2019 gründet sich der Verein «Schauplatz Brunngasse», um die bisherige Wohnung als Mieter zu übernehmen und ein Museum dort einzurichten.
  6. Im August 2022 wird eine Motion von Jehuda Spielman (FDP) und Walter Angst (AL) diskussionslos an den Stadtrat überwiesen, die Massnahmen zur dauerhaften Existenzsicherung des Museums «Schauplatz Brunngasse» fordert (wir berichteten).

Nach der Sicherung des Museums wäre also die Würdigung der jüdischen Stadtgeschichte mithilfe zweier Strassenumbenennungen der krönende Abschluss. Oder doch nicht? Die anderen Fraktionen jedenfalls zeigten sich nicht so ganz überzeugt. Stefan Urech (SVP) erzählte nicht nur, dass er bei der Pfadiabteilung Rudolf Brun den Namen Piranha trug, sondern auch, dass der mittelalterliche Bürgermeister mit der Gründung des Zunftwesens quasi ein Vorreiter der Gewerkschaften gewesen sei und die linken Politiker:innen ihm zu Ehren eigentlich noch eine Statue aufstellen lassen sollten.

Jehuda Spielman (FDP) und Urs Riklin (Grüne) präsentierten einen Textänderungsvorschlag, der darauf hinauslief, die Umbenennung sein zu lassen, aber eine Kontextualisierung hinzuzufügen, die «nicht nur per QR-Code stattfindet, sondern eine Interaktion vor Ort stattfinden lässt», so Riklin. «Es ist eine wunderschöne Idee, ein schönes Symbol, aber letztendlich nur ein Symbol», meinte Spielman. Die Brunngasse heisse schon seit 800 Jahren so, die Umbenennung würde bedeuten, diese Geschichte für Symbolpolitik aus dem Stadtbild zu streichen. Und um den Namen Rudolf Brun zu streichen, müsse man beweisen, dass er ein schlimmerer Antisemit gewesen sei als der Rest der Bevölkerung jener Zeit, was man nicht könne. Alle Namen von Antisemiten aus dem Stadtbild zu entfernen, sei der Auseinandersetzung nicht dienlich.

Benedikt Gerth (Die Mitte) kam zum Schluss, dass die jüdische Community gar nicht hinter einer Umbenennung stehe, und Ronny Siev (GLP) hatte nochmal einen eigenen Textänderungsvorschlag: Statt der Brücke solle nur die Gasse umbenannt werden. So werde die jüdische Geschichte mit Moses ben Menachem als einem der Opfer der Pogroms gewürdigt, während der Name Brunngasse seiner Fraktion wenig schützenswert erscheine. Moritz Bögli (AL) machte deutlich, dass aus seiner Sicht ruhig alle Namen von Antisemiten aus dem Stadtbild verschwinden könnten: «Verhandelt werden kann das auch im Museum.» Und Walter Angst? Lehnte alle Textänderungen ab. So stimmten der restliche Gemeinderat gegen die AL, die Namen bleiben wie sie sind.

Phänomena finden alle gut

Glaubt man den älteren Semestern im Saal, so haben alle nur die besten Erinnerungen an die Phänomena, die naturwissenschaftliche Ausstellung, die 1984 über eine Million Besucher:innen ans Zürcher Seeufer lockte. Auf die geplante Neuauflage im Jahr 2024 freuen sich auch fast alle, von ganz links bis ganz rechts. Nur dass die inzwischen in Dietikon und nicht mehr in Zürich geplant ist. Nachdem man sich nicht auf einen Standort in der Stadt habe einigen können, finde man diesen Kompromiss nun «sehr gut», betonte Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP), deren Präsidialdepartement dem Gemeinderat den Antrag stellte, sich mit 2,5 Millionen Franken an der Organisation zu beteiligen, sofern Bund und Kanton nochmal jeweils 5 Millionen beisteuern.

Doch der Teufel steckt wie so oft im Detail, respektive in den verschiedenen Zusatzwünschen. Balz Bürgisser (Grüne) stellte den Antrag einer Kommissionsminderheit vor, den Betrag auf 3 Millionen Franken zu erhöhen und die zusätzliche halbe Million zweckgebunden für ermässigten Eintritt für Zürcher Volksschulklassen zu nutzen. Sabine Koch (FDP) erklärte, zur Sicherstellung der Durchführung des Anlasses müsse noch eine Änderung in den Antrag aufgenommen werden, die für den Fall niedrigerer Beiträge von Bund und Kanton eine Kürzung der städtischen Beiträge im gleichen Mass vorsehe.

Liv Mahrer und Islam Alijaj (SP) forderten mit einem Postulat, dass die Stadt eine Ermässigung der Ticketpreise für Geringverdienende umsetzen solle. Und Stefan Urech (SVP) meinte, persönlich freue er sich, als Lehrer mit seiner Klasse die Phänomena zu besuchen, die Mehrheit seiner Fraktion sei aber der Meinung, dass sich die Stadt die Schau in ihrer jetzigen finanziellen Lage nicht leisten könne und sie deshalb verschoben werden solle.

«Schon als Kind habe ich gelernt, dass man nicht alles haben kann.»

Sabine Koch, FDP, heisst die von der linken Ratsseite geforderten Ermässigungen im Zusammenhang mit der Phänomena nicht gut.

Nun fragte sich Sabine Koch, warum die Stadt Zürich ausgerechnet Vergünstigungen für eine Veranstaltung in Dietikon subventionieren solle, die doch nur deshalb in Dietikon stattfinde, weil man in Zürich Grossveranstaltungen ablehne. Balz Bürgisser erklärte, aufgrund der Skepsis gegenüber Grossveranstaltungen habe seine Fraktion Stimmfreigabe beschlossen, sollte der eigene Antrag nicht angenommen werden. Den Antrag der FDP-geführten Mehrheit, die Beiträge gegenüber Bund und Kanton im Fall des Falles anzupassen, lehne wiederum seine Fraktion ab, man unterstütze hier die klare Haltung des Stadtrats.

Diese ablehnende Haltung der Grünen fand seinerseits Moritz Bögli (AL) enttäuschend, der die Angst innerhalb seiner Fraktion kundtat, dass die ganze Veranstaltung nur zum Greenwashing von Grosskonzernen genutzt werde. Demgegenüber erklärte Bernhard im Oberdorf (SVP), man müsse in jedem Fall dafür Sorge tragen, dass die Inhalte der Schau unabhängig und nicht tendenziös ausgestaltet würden. Am Ende lehnte eine Mehrheit den Änderungsantrag der Grünen nach Ermässigungen für Schulklassen ab, gegen die Stimmen der Grünen und Teile der SVP wurde der Anpassungswunsch der FDP jedoch gutgeheissen. Das Postulat aus der SP wurde gegen die Stimmen von SVP, FDP und Mitte überwiesen und den gesamten städtischen Antrag lehnten nur die SVP und vereinzelte Grüne ab.

Weitere Themen der Woche:

  1. Mit einem Beschlussantrag der Fraktionen von SP, Grünen, Mitte/EVP und AL hat der Gemeinderat gestern mehrheitlich eine Resolution verabschiedet, die die Menschenrechtsverletzungen im Iran verurteilt und den Bundesrat unter anderem dazu auffordert, die EU-Sanktionen gegen das dortige islamistische Regime zu übernehmen. «Es ist klar, man hört uns weder in Teheran noch in Moskau», so Severin Meier (SP): «Aber als grösste Stadt im Land hört man uns im Bundesrat.» Susanne Brunner (SVP), Michael Schmid (FDP) und Ronny Siev (GLP) argmentierten, dass der Gemeinderat nicht die Zuständigkeit habe, sich in aussenpolitische Angelegenheiten einzumischen. Während SVP und GLP gegen den Antrag stimmten, beteilgte sich die FDP-Fraktion nicht an der Abstimmung.
  2. Einstimming bewilligte der Gemeinderat gestern einen Budgetantrag des Stadtrats über Ausgaben von 2,5 Millionen Franken für die Austragung der Special Olympics World Winter Games im Jahr 2029. Islam Alijaj (SP) befand, die grösste Sportveranstaltung für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung sei eine «Riesenchance, als inklusive Stadt eine Pionierrolle zu übernehmen.» Urs Riklin betonte mit Blick auf die Austragung sechs Jahre vor der Zielmarke Netto-Null 2035 für die Stadtverwaltung, die Grünen hätten hohe Erwartungen an den Klimaschutz bei einer Grossveranstaltungen wie dieser. Während die sportlichen Wettbewerbe in Graubünden stattfinden sollen, ist in Zürich primär die Eröffnungsfeier geplant.
     
  3. Sandra Bienek (GLP) ging in einer persönlichen Erklärung darauf ein, dass am Morgen ein Schulkind am Escher-Wyss-Platz überfahren wurde. Der Platz sei ein grosses verkehrstechnisches Problem, erläuterte sie. Die Eltern des getöteten Kindes hätten sich jahrelang für eine Verbesserung der Schulwegsicherheit eingesetzt und sich diesbezüglich auch an den Quartierverein Kreis 5 gewandt, in dem Bienek Vorstandsmitglied ist. Sie appellierte an die Verantwortlichen der Stadtverwaltung, sich um die Schulwegsicherheit zu kümmern.
     
  4. Ohne Diskussion an den Stadtrat überwiesen hat der Gemeinderat ein Postulat von Michele Romagnolo und Samuel Balsiger (beide SVP), in dem diese fordern, das Littering-Konzept mit bemalten Mülltonnen, das in den Sommermonaten in den Seeanlagen zur Anwendung kommt, ganzjährig auf verschiedene Stadtteile auszudehnen.
     
  5. Ebenfalls ohne Diskussion an den Stadtrat ging ein Postulat von Derek Richter und Johann Widmer (beide SVP). Darin fordern die beiden einen Bericht des Stadtrats, in dem dieser darlegt, welche Konsequenzen sich aus dem wachsenden Güterverkehrverkehrsaufkommen für die Stadt ergeben und welche Konzepte er für das in diesem Jahr verabschiedete kantonale Güterverkehrs- und Logistikkonzept (GVLK) als geeignet ansieht.


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