Gemeinderats-Briefing #25: Wo-Wo-Wohnraumfonds - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Steffen Kolberg

Redaktor

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15. Dezember 2022 um 08:00

Gemeinderats-Briefing #25: Wo-Wo-Wohnraumfonds

Das Gemeinderats-Briefing ist das wöchentliche Update aus dem politischen Herzen Zürichs. Was diese Woche wichtig war: Geld für städtische Wohnraumoffensive, Eklat ums Tanzhaus, ein bisschen mehr Polizei.

Illustration: Zana Selimi

Der Dezember ist nicht nur die Zeit der Weihnachtsfeiern, gestressten Einkaufstouren und Familienstreits, es ist auch die Zeit der Budgetplanung für das neue Jahr. Im Gemeinderat heisst das: Budgetdebatte. Und das wiederum heisst: überlange Sondersitzungen. Schliesslich wollen die Mitglieder des Gemeinderats bei den geplanten städtischen Ausgaben im neuen Jahr ein Wörtchen mitreden. Und nicht nur eins.

Das geplante Budget der Stadt Zürich übersteigt im nächsten Jahr erstmals 10 Milliarden Franken. Budgetiert ist auch ein Minus von knapp 209 Millionen Franken – was man angesichts der gewaltigen Gesamtsumme fast als Punktlandung werten könne, fand Sven Sobernheim (GLP). Florian Blättler (SP) ging davon aus, dass sich der budgetierte Verlust am Ende in der Rechnung wieder in ein Plus verwandeln werde, wie dies auch schon in den Jahren zuvor passiert ist.

Cathrine Pauli (FDP) fand es angesichts solcher Voraussagen angezeigt, den städtischen Steuerfuss von 119 auf 116 Prozentpunkte zu senken, Johann Widmer (SVP) fand sogar eine Senkung auf 112 Prozent angebracht. Die Debatte um mögliche Steuersenkungen wird in den Budget-Sondersitzungen allerdings erst nach den Änderungsanträgen geführt, die die Ratsmitglieder zum Budget eingereicht haben. Und derer gibt es in diesem Jahr genau 100.

Geld für die städtische Wohnraumoffensive

Ein grosser Posten im neuen Budget ist der Wohnraumfonds: Der Stadtrat will dieses Instrument im neuen Jahr aufgleisen und mit einer Anfangsdotation von 100 Millionen Franken ausstatten. In einer Weisung hatte der Stadtrat diesen März die Schaffung eines solchen Fonds vorgeschlagen, der Gemeinderat wird erst im nächsten Jahr darüber debattieren. Die Weisung selbst war auf eine Motion von AL-, SP- und Grüne-Fraktionen aus dem Jahr 2017 zurückgegangen, die einen solchen Fonds für Zürich gefordert hatte. Am Ende wird über die endgültige Einführung des Wohnraumfonds das Volk entscheiden.

Das Geld ist aber schon budgetiert, und Lisa Diggelmann (SP) begrüsste die hohe Anfangsdotation als Zeichen, dass der Stadtrat mit seiner städtischen Wohnraumoffensive nun vorwärts machen wolle. Hans Dellenbach erklärte für die FDP, dass am Ende nur 1 bis 1,5 Prozent der Bevölkerung von dem Fonds profitieren würden, während es für den Rest der Zürcher:innen teurer werde. Die städtische Vergabepolitik von Wohnraum mittels Verlosung des Besichtigungstermins bezeichnete er als ungerecht: «Andere soziale Leistungen würde man auch nicht verlosen.» Der Antrag von FDP, SVP und Mitte, das Budget für den Fonds wieder zu streichen, wurde von den anderen Fraktionen aber abgelehnt.

Auch die bisherigen Instrumente der Stadt, um günstigen Wohnraum zu schaffen, werden im nächsten Jahr besser finanziell ausgestattet. Die Stiftung Wohnen für kinderreiche Familien, die Stiftung Alterswohnungen der Stadt Zürich sowie die Stiftung Einfach Wohnen erhalten auf Antrag einer Mehrheit von SP, Grünen und AL (und im Falle der Alterswohnungen auch der SVP) wie in den Vorjahren Abschreibungsbeiträge von jeweils 2 Millionen Franken. Für die Stiftung PWG hatte der Stadtrat Abschreibungsbeiträge von 5 Millionen Franken vorgesehen, eine Mehrheit des Gemeinderats, die neben der linksgrünen Mehrheit auch GLP- und Mitte/EVP-Fraktion umfasste, setzte jedoch 8 Millionen durch. FDP und SVP wollten die Beiträge ganz streichen.

Eklat ums Tanzhaus

Hitzig wurde die Debatte, als es um die budgetierten Gelder für diverse Zürcher Kulturinstitutionen ging. Während Johann Widmer (SVP) für Schauspielhaus und Tonhalle pauschal jeweils eine Million Franken weniger forderte, da ihm zufolge auch Kulturinstitutionen in Zeiten der Krise gefordert seien, Einsparungen umzusetzen, wollte er das Budget für Sogar Theater und Tanzhaus gleich ganz auf Null setzen.

Im Falle des Sogar Theaters spielte Widmer auf ein Stück an, das dort kurzlich für Wirbel gesorgt hatte. Im Stück «Ja oder Nein» wird ein fiktiver SVP-Politiker ins Kreuzverhör genommen, seine Partei letztendlich zugespitzt in die Nähe des Nationalsozialismus gerückt. Laut Widmer würden in dem Theater «Grundlagen der Demokratie infrage gestellt», sein Fraktionskollege Samuel Balsiger sprach von «schlimmstem Antisemitismus», der seiner Partei dort vorgeworfen werde.

Cathrine Pauli (FDP) erklärte, als bürgerliche Politikerin verstehe sie, «dass ihr euch aufregt». Sie habe das Stück gesehen, und es sei wirklich schwach. Man habe es zum Anlass für eine interessante Debatte über Populismus nehmen können, die Budgetdebatte sei stattdessen aber der falsche Ort dafür. Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) sagte, sie schliesse sich dem Votum von Pauli «zu 100 Prozent» an: «Hier über das Budget irgendwelche Strafaktionen machen zu wollen, riecht für mich nach staatlicher Zensur, und davon möchte ich mich weit weit fernhalten.»

Deutlich turbulenter wurde die Diskussion, als Widmer die Streichung des Budgets für das Tanzhaus forderte. Seine Begründung: Die dortige Kinderveranstaltung «Drag Story Time», vor wenigen Wochen noch von einer Störaktion der Neonazigruppe «Junge Tat» betroffen und seitdem auf Schutz durch einen Sicherheitsdienst angewiesen, grenze für ihn «an Pädophilie». Diese Aussage rief nicht nur Unruhe im Saal, sondern auch eine heftige Gegenreaktion von Alan David Sangines (SP) hervor.

«Ich hoffe du erlaubst mir die Frage: Hast du eigentlich eine Schraube locker?»

Alan David Sangines, SP, in seiner Antwort an Johann Widmer (SVP), der die «Drag Story Time» im Tanzhaus in die Nähe von Pädophilie gerückt hatte.

Bei den Veranstaltungen, bei denen Dragqueens und -kings Kindern Geschichten vorlesen, gehe es nicht um die Beeinflussung der Kinder, so Sangines: «Den Vorwand des Schutzes von Kindern kennen wir von Russland, das 2013 das Anti-Homopropaganda-Gesetz eingeführt hat. Und wie immer, wenn Kinder im Spiel sind, wird es hochemotional und auch brandgefährlich.» David Garcia Nuñez (AL) sprach von einer «Cancel-Culture-Orgie der SVP» und erkärte, Widmers Aussagen seien als politische Gewalt zu werten. Alle anderen Frationen lehnten den SVP-Antrag ab.

Ein bisschen mehr Polizei

Auch die im Rat schon häufiger geführte Polizeidebatte bekam noch ein kurzes Revival: Im Rahmen neu geplanter Polizeistellen veranschagte der Stadtrat insgesamt über 200 Millionen Franken für die Löhne des Stadtpolizei-Personals. Die AL wollte knapp eineinhalb Millionen Franken streichen, da es ihrer Ansicht nach kein neues Personal bei der Polizei brauche. Michael Schmid wiederholte sein Argument, dass Zürich bereits die höchste Polizeidichte des Landes habe und insbesondere das hohe Polizeiaufkommen bei Demonstrationen jedweder Art eher auf eine fehlgeleitete Planung hindeute. Teile der Grünen folgten der AL in ihrem Antrag. Ein anderer Teil der Grünen folgte einer Mehrheit von SP und GLP, die eine Kürzung um knapp 127'000 Franken forderte. Die Vorsteherin des Sicherheitsdepartements Karin Rykart (Grüne) erinnerte daran, dass man für aktuelle Anliegen aus dem Rat wie Anlaufstellen für sexualisierte und digitale Gewalt auch die Ressourcen brauche.

Innovativ zeigten sich die beiden jungen Grünen-Gemeinderäte Yves Henz und Martin Busekros, als sie ihre Anträge zum Thema Polizei vorstellten. Henz verlas ärztliche Einordnungen zur Auswirkung von Tränengaseinsätzen und Tasern auf den menschlichen Körper, um für das Streichen des Budgets für die Neubeschaffung von Reizstoffgranaten und Taser-Munition von insgesamt 80'000 Franken zu werben. Ihm folgte Michael Schmid (AL), der erklärte: «Im Krieg ist der Tränengaseinsatz seit der Chemiewaffenkonvention verboten, im Krieg gegen die eigene Bevölkerung noch nicht.»

Florian Utz erklärte die ablehnende Haltung seiner SP gegenüber dem Streichungsantrag damit, dass man nicht wolle, dass abgelaufene Munition verwendet werde, was wiederum Luca Maggi (Grüne) auf den Plan rief. Man könne im Gemeinderat alles mögliche beschliessen zum Einsatz von Bodycams oder zur Zahl von Polizeistellen, erklärte er: «Wenn dann Budgetdebatte ist, wird den Forderungen der Polizei doch zugestimmt. So ändert sich nie etwas.»

Für seinen Streichungsantrag des Budgets für Multikopter, also Polizei-Drohnen, filmte Busekros vom Redner:innenpult und aus dem Saal heraus die Ratsmitglieder ab und erklärte, so wie diese Aufnahmen nun im Rahmen des Rats-Streams gespeichert würden, sei es auch mit dem Filmmaterial von Polizeidrohnen. Sein Antrag blieb aber wie der von Yves Henz erfolglos, nur Grüne und AL stimmten dafür.

Weitere Themen der Woche:

  • Islam Alijaj (SP) stellte Anträge auf die Erhöhung des Budgets für Stellen und Budgetmittel der Beauftragten für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Der Stadtrat hatte eine Erhöhung von 90 auf 160 Stellenprozent budgetiert, Alijajs Antrag auf eine Erhöhung auf 200 Prozent sowie eine Erhöhung der zur Verfügung stehenden Mittel von 50'000 auf 200'000 Franken fand eine linksgrüne Mehrheit im Rat.
  • Cathrine Pauli (FDP) forderte angesichts von derzeit über 700 unbesetzten Stellen bei der Stadt sowie über 300 Stellen, die neu geschaffen werden sollen, eine pauschale Budgetkürzung von 50 Millionen Franken bei den Personalkosten. Im Rat setzte sich aber der SP-Antrag für eine Kürzung um 10 Millionen Franken durch.
     
  • Tanja Maag (AL) forderte in mehreren Anträgen die Erhöhung der Budgets der Gesundheitszentren für das Alter und des Stadtspitals um insgesamt 2 Millionen Franken. Als Grund nannte sie das städtische «Programm Stärkung Pflege», das mehr Mittel benötige. Die linksgrüne Mehrheit mit SP und Grünen unterstützte das Anliegen.
     
  • Stephan Iten verlas eine Fraktionserklärung seiner SVP, in der er auf die Vorstellung der dritten Etappe Strassenlärmsanierung seitens der Stadt am Dienstag (wir berichteten) einging. Er kritisierte ein kurzfristiges Vorgehen und eine mangelnde Kommunikation des Stadtrats mitten in der Phase der Budgetdebatte im Gemeinderat. Die geplante flächendeckende Einführung von Tempo 30 sei ein «verzweifelter Schnellschuss». Derzeit ist die SVP-Initiative «Kein Tempo 30 auf Hauptverkehrsachsen» in der Verkehrskommission hängig.
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