Gemeinderats-Briefing #21: Der Scheich interessiert sich nicht für uns - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Simon Jacoby

Co-Geschäftsleitung & Chefredaktor

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17. November 2022 um 08:00

Gemeinderats-Briefing #21: Der Scheich interessiert sich nicht für uns

Das Gemeinderats-Briefing ist das wöchentliche Update aus dem politischen Herzen Zürichs. Was diese Woche wichtig war: WM-Protest, mehr Polizei, Parkplätze und Strassen.

(Foto: Zana Selimi)

Herzlich willkommen zu einer geballten Ladung Lokalpolitik. Gestern stand eine Doppelsitzung an. Das heisst: Fünf Stunden lang Motionen, Postulate, Weisungen und und und. Ganze acht Seiten lang war die Traktandenliste mit den Schwerpunkten auf Tiefbau- und Entsorgungsdepartement und auf die Industriellen Betriebe.

Das Wichtigste aus den knapp 50 Geschäften habe ich für dich so kurz und knapp wie möglich zusammengefasst. Die umstrittensten Themen: Verbot von Public Viewings während der Fussball-WM, mehr Stellen für die Polizei, mehr Geld für Strom aus Solaranlagen, Abbau von Parkplätzen und Flüsterbeläge auf Strassen. 

Man hätte mit grosser Leichtigkeit Bingo spielen können. Im Kern herrschte grosse Einigkeit: «Besser spät als nie», «Die Vergabe der WM an Katar ist irre», «Die Menschenrechtsverletzungen sind zu verurteilen», «Das ist Symbolpolitik». Worum gehts? Die Alternative Liste will, dass die Stadt Zürich gegen die WM in Katar protestiert und darum keine Public Viewings auf öffentlichem Grund erlaubt. Genau, das Turnier beginnt schon in vier Tagen. Viel machen kann man nicht mehr. Mischa Schiwow (AL) ist sich bewusst, dass der Vorstoss sehr spät kommt. Es sei trotzdem wichtig, den kollektiven Willen zu äussern und gegen den klimatischen Irrsinn (Kühlung der Stadien) und die schrecklichen Arbeitsbedingungen und Menschenrechtsverletzungen zu protestieren.

Diese Probleme wurden in der Debatte eigentlich von niemandem bestritten. Trotzdem: Michael Schmid von der FDP stempelt das Postulat als Empörungsbewirtschaftung ab, weil die Stadt Zürich mit der WM nichts zu tun habe. Ausserdem interessiere es den Scheich nicht, wenn Zürich protestiere. Noch einen Schritt weiter ging Stephan Iten von der SVP, der das Anliegen als «irrelevant und irre» bezeichnete. Die Linken würden alles verbieten wollen, was Freude mache. Die WM geniesse man bei einem Bier in der Beiz.

Sein Parteikollege Bernhard im Oberdorf gesteht immerhin, dass die Vergabe der WM genauso irre sei, wie dieses Postulat, doch die «Bevormundung der Bürger» gehe natürlich nicht. Und die GLP steht zwischen Bier-Trinken und Verbotskultur: «Wir verurteilen die Vergabe der WM an Katar und sind besorgt wegen den Menschenrechtsverletzungen und den Äusserungen gegen die LGBTQ-Community», erklärt Patrick Hässig. Die Fraktion sei geteilt und man habe Stimmfreigabe beschlossen. Die Linken haben sich durchgesetzt und das Postulat überwiesen. Der Stadtrat hat nun zwei Jahre Zeit, eine Antwort zu schreiben. Genau, bis dahin ist die WM bereits wieder abgepfiffen. 

Neue Stellen für die Polizei

Nachtragskredit. Ein Wort wie ein Gedicht. Bei mir kommt da sofort ein Gähn-Reflex auf. Doch Rosen sind rot, stille Wasser sind tief und Nachtragskredite sind wichtig. Denn damit fragt der Stadtrat beim Parlament nach mehr Geld für das laufende Jahr. Man will also mehr Geld ausgeben, als vor einem Jahr geplant war.

Der Gemeinderat hat gestern total rund zwölf Millionen Franken bewilligt. Das meiste davon war unbestritten: Mehr Material für Gesundheitswesen, mehr Geld für Personalwerbung wegen Fachkräftemangel im IT-Bereich, mehr Mittel für Gebäudeunterhalt und so weiter.

Zu reden gab ein einziger Punkt: Der Stadtrat wollte zehn neue Stellen für die Polizei bewilligen, die zuständige Kommission wollte nur neun bewilligen – ein kleines Machtspiel? Dieses Thema hat eine Vorgeschichte: Die Polizei selber hat nämlich über 80 Stellen gefordert, SP und GLP haben daraufhin vor ein paar Wochen mittels Postulat gut die Hälfte davon bewilligen wollen.

Darum ist dieses Postulat indirekt mit der Stellenaufstockung auch Teil des Nachtragskredits. Florian Utz von der SP sprach im Namen der Kommission und war sich bewusst, das es der Rats-Rechten wohl zu wenige neue Stellen waren und der Rats-Linken zu viel. So war es dann auch. Die AL stellte sich dagegen, weil man die Stellen ja nicht im Nachhinein besetzen könne. Und die FDP fragte, ob es denn eine Rolle spiele, ob es neun oder zehn neue Stellen sind. Schliesslich setzte sich die Kommission durch und die Polizei erhält für das laufende Jahr neun neue Stellen bewilligt. 

«Genauso irre wie das Postulat ist die Vergabe der WM an Katar.»

Bernhard im Oberdorf, SVP

Blaue Parkplätze unter Druck

Hitzig wird es immer, wenn es um Velo und Parkplätze geht. Es sein ein «Kreuzzug gegen den motorisierten Individualverkehr», befürchtete Bernhard im Oberdorf von der SVP. Er sei enttäuscht und gegen einen Abbau von Parkplätzen.

Der Auslöser: Anna Graff (SP) und Martin Busekros (Grüne) forderten, dass auf der Nordstrasse Parkplätze der Blauen Zone aufgehoben werden, damit dort eine Veloroute entstehen kann. Heute sei dort kein Platz und die Velofahrenden müssten auf die Rousseaustrasse ausweichen – oder eben auf dem Trottoir fahren, was gefährlich sei und zu Konflikten führe.

Der Umweg sei vernachlässigbar und mache den Weg wohl keine Minute länger, argumentierte Ronny Siev von der GLP. Ausserdem appellierte er: «Bitte fahrt vorsichtig, bitte fahrt nicht auf dem Trottoir.» Die FDP will nicht, dass Autos verdrängt werden und Die Mitte sagt, es gäbe für die Velos Alternativrouten. Mit 58 Ja-, zu 55 Nein-Stimmen schickte der Gemeinderat das Postulat zur Prüfung zum Stadtrat.

«Brings uf d'Strass» wird nicht abgebrochen

Einen sofortigen Abbruch des Projekts «Brings uf d'Strass» forderte Samuel Balsiger (SVP). Die Strassenberuhigung während den Sommerferien seien erfolglos. Denn im letzten Sommer wollte die Stadt ursprünglich drei Quartierstrassen vom Auto befreien und der Bevölkerung zugänglich machen. Überall gab es Widerstand, ausser bei der Entlisbergstrasse von Wollishofen waren die Anwohner:innen zufrieden.

Bereits im Jahr davor habe das Gewerbe gelitten, Leute hätten sich über Lärm und Abfall beschwert. «Hören Sie auf, die Menschen zu belästigen», rief Balsiger. Auch Flurin Capaul von der FDP war kritisch. Der Top-Down-Ansatz vom ersten Jahr habe nicht funktioniert. Deshalb, so Stadträtin Simone Brander, habe man in diesem Sommer bereits im März mit den Menschen im Quartier gesprochen und nach ihren Wünschen die Standorte ausgesucht. Neue Freiräume zum spielen und sich erholen seien sinnvoll und die meisten Rückmeldungen seien positiv ausgefallen – und sie würden auch zeigen, was die Stadt besser machen könne. «Brings uf d'Strass» sei etwas Neues, das ausprobiert werden müsse. Die Mehrheit der Gemeinderats stützte diese Argumentation und lehnte den Abbruch-Antrag der SVP ab. 

Weitere Themen der Woche

  1. Letzte Woche habe ich bereits berichtet: Die Grünen und die AL fordern per Postulat, dass das kurzzeitig besetzte EWZ-Kesselhaus als Kulturraum genutzt werden kann. Gestern hat der Gemeinderat eine Dringlicherklärung abgelehnt. Das heisst: Das Geschäft kommt nun hinten auf die Traktandenliste. Und wenn es dann überwiesen wird, hat der Stadtrat zwei Jahre Zeit, eine Antwort zu liefern. Bedeutet: Das geht noch lange, bis dahin werden wir die Besetzung schon fast vergessen haben.   
  2. Wer auf dem eigenen Hausdach eine Solaranlage hat und damit Strom ins allgemeine Netz einspeist, bekommt Geld. Dieser Rückführtarif sei in Zürich zu tief, weshalb Dominik Waser (Grüne) und Patrick Tscherrig (SP) mittels Motion eine Anpassung des Tarifs fordern. Gegen den Willen von Stadtrat Baumer und der bürgerlichen Minderheit wurde die Motion überwiesen. 
  3. Mit vier Postulaten wollen SP, Grüne und GLP gegen Rechtsextremismus vorgehen. Die Vorstösse wurden gestern eingereicht. Ziele sind eine «vertiefte Auseinandersetzung», Öffentlichkeitsarbeit zur Sensibilisierung, Weiterbildungen für städtische Angestellte und Untersuchungen der kürzlichen Angriffe durch Rechtsextreme. Wir werden noch vertieft zu diesem Thema berichten.
  4. Niemand könne bestreiten, dass wir eine Energiekrise haben, rief Samuel Balsiger (SVP) in die Halle. Diese Krise müsse von einem «Energiegeneral» gelöst werden, der über dem Stadtrat stehen und Weisungsbefugnis haben müsse. Gegenwehr gab es wegen Demokratiepolitischen Überlegungen (z.B. von der FDP) und, weil der Stadtrat der Taskforce die Dringlichkeit der Lage im Griff habe. Der Vorstoss wurde versenkt. 
  5. Um Strassenlärm zu reduzieren, setzt die Stadt auf Tempo 30 und untersucht auch den Einsatz von lärmarmen Strassenbelägen. Die beiden Grünen Markus Knauss und Roland Hohmann wollen, dass diese neuen Beläge nicht nur Lärm, sondern auch Hitze minimieren. Stadträtin Simone Brander nahm das Postulat gerne entgegen, auch aus dem Gemeinderat gab es keine Gegenstimme.  
  6. Weil der Stadtrat keine weiteren Velozählstellen auf den Strassen geplant hat, forderten dies die beiden SP-Gemeinderät:innen Anna Graff und Marco Denoth. An stark frequentierten Orten sollen energieeffiziente Zählstellen eingeführt werden, heisst es im Postulat. Die SVP fand es überflüssig, doch die Mehrheit des Gemeinderates überwies das Vorhaben an den Stadtrat. 

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