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8. April 2015 um 08:23

Ganz Zürich will auf die grösste Spielwiese der Stadt

Sollbruchstelle: Kunst am sterbenden Bau



Gut 1000 Zusagen (in Worten: eintausend) auf Facebook lassen Grosses erahnen: Alle wollen vom 15.04. bis  26.04. zur Sollbruchstelle. Die wenigsten wissen, was dieses Wort überhaupt bedeutet.

Die Sollbruchstelle ist eigentlich alles: ein Relikt aus alten Zeiten, ein Sammelplatz für Künstler, ein Festival und ein Treffpunkt, aber garantiert nicht alltäglich. Während zehn Tagen stellen elf Künstler aus der ganzen Schweiz, ob jung oder alt, ihre Werke auf dem Areal einer alten Autospenglerei in Zürich-Wiedikon aus, die demnächst abgerissen wird.

Ich habe mich mit den beiden Initianten, Nikkol Rot und Jenja Roman Doerig, Kinder der Siebziger und Achtziger (wie sie auf ihrer Homepage schreiben) getroffen und über das diesjährige Motto «Kunst am sterbenden Bau», Vergänglichkeit und Gott und die Welt geplaudert. Eine Vorschau.

Viele Leute aus meinem Umfeld haben gefragt: Was bedeutet eigentlich «Sollbruchstelle»? Doerig: Das ist, wie der Name schon sagt, eine Stelle, die brechen soll. Das gibt’s beispielsweise bei der Schokolade, aber leider auch bei Splittergranaten. In unserem Kontext ist das so: Wenn wir ein Objekt finden, ist bereits definiert, dass es abgebrochen wird.  Und genau so haben wir das übernommen.

Und warum der Untertitel «Kunst am sterbenden Bau»? Doerig: Der ist abgeleitet von «Kunst am Bau». Wir treiben das Ganze hier etwas weiter: In einem temporären Rahmen.

Rot: Wir nehmen wirklich nur Häuser, die dem Abbruch ausgeliefert sind.  Wir haben schon Angebote für Umbauten oder Renovationen erhalten, haben uns aber immer dagegen entschieden. Doerig: Das ganze Projekt basiert auf einem Abbruch, weil wir auf Häuser, die abgerissen werden, hinweisen wollen. Es passiert doch ab und zu, dass man irgendwo durchläuft und sich fragt: «Hm, wo ist das Haus nun hin?» Und man weiss gar nicht genau, was dort eigentlich passiert ist. Wer hat dort gelebt, was gab’s dort für Schicksale? Das interessiert uns persönlich und die «Sollbruchstelle».

Wie wichtig ist Vergänglichkeit? Bei einem solchen Titel setzt man sich bestimmt intensiver damit auseinander. Rot: Vergänglichkeit hat hier einen grossen Stellenwert. Wir zeigen einen Moment, der verschwindet, dem man die letzte Ehre erweisen soll. Und natürlich weisen wir darauf hin, dass dieser Moment bewusst erlebt werden soll – die Kunstwerke und der Ort werden verschwinden.

[caption id="attachment_1520" align="alignnone" width="640"]sollbruch1 Nikkol Rot und Jenja Roman Doerig sind die Initianten der Sollbruchstelle[/caption]

Hat das nicht auch etwas Morbides? Wie stellen die Künstler dieses Thema dar? Doerig: Im Endeffekt sind es wir, die den Rahmen machen, die Künstler auswählen und das Thema setzen. Innerhalb dessen sind sie frei, welche Botschaft sie rüberbringen wollen. Wir nennen das hier auch etwas salopp Spielwiese. Obwohl wir keine Vorgaben geben, setzen sich viele mit dem Thema «Vergänglichkeit» auseinander. Alle kommen damit in Kontakt: sei es, dass Menschen sterben oder sei es lediglich, dass man älter wird. Das ist für alle brisant.

Ist «Kunst am sterbenden Bau» also quasi das Ausstellungsthema? Doerig: Nein. Wir thematisieren diesen Begriff mit dem Rahmen, den wir schaffen; es ist aber nicht eine Vorgabe, an die sich die Künstler zu halten haben.

Was soll die «Sollbruchstelle» beim Besucher auslösen? Rot: Sicherlich soll sie zum Denken anregen. Man sollte sich bewusst werden, dass wir in einer Konsumgesellschaft leben und man diese Werke halt nicht kaufen kann. Doerig: Man soll auch sehen, dass das Kunstwerk automatisch der Vergänglichkeit ausgeliefert ist, auch wenn es diese nicht explizit thematisiert. Und es wird später nicht für viel Geld auf dem Kunstmarkt verkauft.

Da thematisiert ihr etwas Brisantes: Wie ist eure Haltung zum Kunstmarkt? Momentan werden ja viele junge, unbekannte Künstler von Sammlern so propagiert, dass die Preise für ihre Werke perverse Züge annehmen. Doerig: Ob ein Bild oder ein Künstler gekauft oder nicht gekauft wird, spielt bei uns überhaupt keine rolle. Rot: Das Wichtige ist, dass wir eine Spielwiese sind und bleiben. Dass eben auch wieder das Andere passiert. Dass nicht der Verkaufsgedanke im Vordergrund steht, wenn es darum geht, Kunst zu erschaffen, sondern man mit einfachen Mitteln etwas Grossartiges erschaffen kann. Doerig: Damit wollen wir nicht sagen, dass Künstler nicht auf Geld angewiesen sind. Wenn sie von ihrer Kunst leben möchten, müssen sie damit etwas verdienen. Wir wollen den Gegenpol bieten. Das ist die Dualität, die nötig ist. 

[caption id="attachment_1542" align="alignnone" width="640"]Eine Spielwiese für Künstler und Besucher Eine Spielwiese für Künstler und Besucher[/caption]

In Zürich wird viel Altes abgerissen, es entsteht Neues. Eines der Lieblingsworte der Zürcher ist «Gentrifizierung». Auch hier wird eine eigentlich einzigartige kleine Industrielandschaft zu Gunsten eines Neubaus dem Erdboden gleichgemacht. Wie positioniert sich die Sollbruchstelle in diesem Kontext? Doerig: Wir wollen nichts verteufeln, schon gar nicht die Architekten, die hier den Neubau entwerfen. Vielmehr geben wir auch ihnen eine Chance, sich hier auf dem Areal zu präsentieren. Das ist aber nicht als Verkaufs- oder Werbeplattform zu verstehen, sondern so können auch sie sich mitteilen, ihre Beweggründe äussern und die Diskussion anregen.

Es profitieren also alle Seiten? Doerig: Wir sind insofern auch Nutzniesser dieser Situation. Wenn die Häuser nicht abgerissen würden, können wir auch erst gar nicht rein.

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