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5. April 2017 um 07:43

Fundbüro2: «Für die Liebe kämpfen? So ein Blödsinn!»

Der Schriftsteller Thomas Meyer sitzt im Café des Amis in der Aprilsonne. Er trinkt Kräutertee und fordert: «Aufhören mit der Dramascheisse!» Die Rede ist von Beziehungen, die nicht gut tun. Ein Gespräch mit Thomas Meyer – über die Rasur, die ihm fehlt, und brennende Felder, in denen kein Glück wächst. Plus: ein Appetizer auf Meyers Einsatz beim Lost & Found für Immaterielles.

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Thomas Meyer, am 8. April bist du als Gastbeamter im Fundbüro2 im Einsatz. Was, glaubst du, geht alles verloren? Was ist es, das den Menschen fehlt?
Thomas Meyer: Ich denke, vielen fehlt es an Zeit allein mit sich selbst und an der Freundschaft mit sich selbst. Vielen fehlt auch eine gesunde Single-Phase oder aber ein passender Partner, und vielen fehlt der Mut, den nicht passenden Partner zu verlassen. Vielen fehlt die Freude am Leben und ein Bewusstsein für ihr Talent, für persönliche Stärken, Qualitäten. Vielen fehlen die Kraft und die Vision, wie sie das, was sie besonders macht, beruflich einbringen können.

Vielen fehlt... vieles. Und manchmal weiss man gar nicht so recht, was man schon alles verloren hat. Die gute Nachricht: Dein Fundbüro2-Angebot ist es, den Leuten auch zu sagen, was ihnen fehlt. Woher willst du das denn wissen?
Ich bin kein Hellseher, man muss schon mit mir reden. Aber wenn ein Gespräch stattfindet, das persönlich und aufrichtig ist, kommt man meist relativ schnell darauf, was der andere vermissen könnte. Ein Beispiel: Wenn jemand über seinen Partner wettert, mangelt es in der Beziehung womöglich an konstruktiver Kommunikation. Oder am Respekt fürs Gegenüber.

Ihr Fundbüro-Meyer sagt Ihnen gern, was Ihnen fehlt.

Thomas Meyer

Apropos Gegenüber: Was fehlt denn dem Menschen, den du morgens im Spiegel siehst?
Dem fehlt eine Rasur (lacht). Und natürlich habe auch ich schon einiges verloren, klar, aber ich habe auch vieles gefunden! Beispielsweise die Erkenntnis, dass Zeit mit dem eigenen Kind die beste Meditation sein kann. Wenn du mit deinem Kind in Kontakt bist, ist das sehr unmittelbar, dann verweilst du im Moment. Das ist mir vorgestern wieder aufgefallen, als ich neben meinem fünfjährigen Sohn im Bett lag. Er blätterte im Lustigen Taschenbuch, ich im Spiegel. Das war ein grossartiger Moment, eine Art ultimative Neutralität. Dieses innige Nebeneinander, bei dem man zusammen ist und doch ein jeder für sich. Das nenne ich seelen-stimmig.

Es gibt doch diesen Spruch: «Du solltest jeden Tag mindestens 10 Minuten meditieren. Ausser du hast keine Zeit, dann meditiere 20 Minuten.» Wenn jetzt die enge Beziehung zu einem Kind die beste Meditation ist, könnte man dann auch sagen: Mache ein Kind. Ausser du hast keine Zeit. Dann...
... mache zwei Kinder?

(lacht) Okay, wohl keine gute Idee. Lassen wir das. Du hast eingangs erwähnt, dass sich viele Menschen schwer tun, ihren Partner zu verlassen. Womit sich wunderbar die Brücke zu deinem neuen Buch schlagen lässt. Das heisst «Trennt euch!» und erscheint Mitte Mai.
Beides korrekt.

Ich habe gelesen, das Buch sei eine schonungslose Abhandlung über Mut, Selbstwert und das Recht, glücklich sein zu dürfen. Meyer, verrate mir, was ist Mut?
Eine schöne Frage. (überlegt) Mut ist jedenfalls nichts, das man hat, bevor man zur Tat schreitet. Mut entsteht meines Erachtens erst durch das Tun. Der Mut, sich selbständig zu machen, kommt ja auch nur, indem man sich selbständig macht. Mut passiert nicht einfach, findet man nicht einfach. Mut muss man sich erarbeiten. Man muss durch seine Angst hindurch marschieren.

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Tee trinken: ja. Abwarten: nein. Thomas Meyer rät: Wenn du nicht glücklich bist, dann tu etwas! Komm in die Gänge. Marschier durch deine Angst hindurch.

Und was ist Selbstwert?
Selbstwert ist ein Bewusstsein für sich selber und die Achtung der eigenen Bedürfnisse. Interessant ist, dass man, wenn man für die eigenen Bedürfnisse einsteht, oftmals mit dem Vorwurf konfrontiert wird, egoistisch oder arrogant zu sein. Wenn du sagst «Sorry, das lasse ich mir nicht gefallen», dann bist du schnell der sperrige, mühsame Cheib. Es gibt Menschen, die verlangen, dass man sich einfach alles von ihnen bieten lässt. Ich glaube, Selbstwert ist das Bewusstsein dafür, was man mit dir machen darf und was nicht – und die Grenzen, die du dann setzt.

Bleibt noch „das Recht, glücklich sein zu dürfen“...
Ja, auch ein interessanter Punkt. Ich bin überzeugt, dass uns das Glück zusteht – aber wir fordern es oft nicht ein.

Warum nicht?
Weil viele Menschen in Familien aufwachsen, in denen man das sich und einander nicht gönnt. Ich glaube, viele von uns lernen in ihrer Kindheit, dass das Leben ein ewiger Kampf ist. Sie sind unglücklich, weil sie Dinge denken und tun, die sie unglücklich machen. Und wenn man das Kind eines solchen Menschen ist, lernt man schon früh schlimme Dinge über das Glück. Unter anderem eben: Du hast kein Recht darauf.

Kann es auch sein, dass das Festhalten am persönlichen Unglück eine Art Solidarität mit anderen ist, die es schwierig haben?
Du meinst so eine Art Survivor-Syndrom-Verhalten? (überlegt) Ich weiss es nicht. Aber ich glaube: nein. Ich denke, in erster Linie ist es ein Mangel an Vorstellungsvermögen in die glückliche Richtung. Und wenn du die ganze Zeit Entscheidungen triffst, die dich unglücklich machen, beruflich und privat, dann etablierst du eine Gedankenrealität, gegen die das Glück nicht ankommt. Dabei ist es doch sehr einfach, glücklich zu sein.

Wenn du ständig Dinge tust, die dich unglücklich machen, brauchst du dich auch nicht zu fragen, wie du glücklich wirst. Das ist, als ob du ein Feld anzündest, dann daneben stehst und darüber nachdenkst, was du jetzt in den Flammen pflanzen kannst.

Thomas Meyer

Ist es das?
Ja. Die erste Regel lautet: Höre auf mit allem, was dich unglücklich macht. Denn wenn du ständig Dinge tust, die dich unglücklich machen, brauchst du dich auch nicht zu fragen, wie du glücklich wirst. Das ist, als ob du ein Feld anzündest, dann daneben stehst und darüber nachdenkst, was du jetzt in den Flammen pflanzen kannst. Also nochmals – Regel eins: Hör auf damit, dir die Grundlage fürs Glück zu zerstören. Und die zweite Regel: Tu Dinge, die dich glücklich machen.

Ganz einfach. Aber wenn man gar nicht weiss, was einem glücklich macht?
Dieses Bewusstsein fehlt in der Tat sehr oft. Hinzu kommt eine kapitalistisch gefärbte Problematik: Dass wir glauben, wenn ich dieses und jenes HABE, dann werde ich glücklich sein. Aber die Frage ist doch vielmehr: Was muss ich TUN, damit ich glücklich sein kann? Und manchmal muss ich eben auch einen Schritt machen – raus aus einer Beziehung, zum Beispiel.

Eine Meldung, die unlängst im Fundbüro2 eingegangen ist, stammt von einer Frau, die mit ihrem langjährigen Partner im Unglück verweilt. Er trinkt gern eins über den Durst, wird dann sehr unangenehm – und mit der Zeit ist so auch ihr ganzes Umfeld weggebrochen. Jetzt hat sie den Glauben an die Beziehung verloren.
Das ist gut.

Aber noch hat sie den Mann nicht verlassen.
Das ist nicht gut. Das kann mit dem Mangel an Perspektiven zusammenhängen. Wenn ich mir nicht vorstellen kann, wie mein Leben ohne meinen Partner sein könnte, wenn ich nicht weiss, wie das überhaupt gehen soll, scheint unmöglich, was wichtig und richtig wär. Wirklich tragisch an dem Beispiel ist ja, wie normal diese Tragik ist. Solche Geschichten sind leider nicht die Ausnahme.

Viele denken doch, in einer Beziehung muss es ‚chlöpfen’ und dann hat man spektakulären Versöhnungssex und alles ist so unglaublich intensiv und deshalb so wahr und romantisch.

Thomas Meyer

Warum verharren so viele im zweisamen Unglück?
Weil sogar eine Scheissbeziehung einen Nutzen hat. Den Nutzen, nicht allein zu sein. Und auch das Drama hat einen Nutzen: Es ist sehr unterhaltsam. Ich kenne einige Menschen, die Drama brauchen wie Luft und sich erst spüren, wenn’s weh tut. Das Gute kommt halt oft unspektakulär daher – was dann mit «langweilig» verwechselt wird. Das ist, glaube ich, eine Hollywood-Problematik. Viele denken doch, in einer Beziehung muss es «chlöpfen» und dann hat man spektakulären Versöhnungssex und alles ist unglaublich intensiv und deshalb so wahr und romantisch. Ich glaube, eine gute, konstruktive Beziehung ist eher banal. Es gibt nicht viel auszudiskutieren und keine grossen Verwerfungen. Viele glauben halt, das könne keine grosse Liebe sein.

Wie geht der Spruch? Liebe will gezankt haben?!
So ein Blödsinn. Ich finde auch die Phrase «um die Liebe kämpfen» ganz schlimm.

Wieso?
Wenn du dort angelangt bist, wo du den Kampf dafür einsetzen musst, damit die Liebe bestehen kann, dann ist es schon längst keine Liebe mehr. Sondern, eben, Kampf. Dann ist es Krieg und Drama und Theater. Wenn ich von dir verlange, dass du um mich kämpfst, dann haben wir doch ein grundlegendes Problem.

Also wenn die Partnerin fordert: Jetzt gib dir verdammt nochmal Mühe und beweise mir, dass du mich liebst...
Ja. Ich höre das jeweils von Pärchen, die eigentlich nicht mehr zusammen gehören, dass die Frage im Raum steht: «Wieso kämpfst du nicht um mich?» Wenn du mich fragst, ist das selbsterhöhende Dramascheisse. Ich meine, was heisst das denn? Was muss der Partner genau tun? Wann glaubt denn das Gegenüber, dass er wirklich liebt? Wenn man bereit ist, für den anderen zu sterben? Wann hört denn das auf? Wann ist genug?

Selbsterhöhende Dramascheisse. Schön gesagt, werter Meyer. Wollen wir das als Schlusswort nehmen?
Ja. Hört endlich auf mit dieser selbsterhöhenden Dramascheisse. Ihr habt das Recht, glücklich zu sein.

* THOMAS MEYER arbeitete als Werbetexter sowie als Autor für Magazine und setzte sich als Aktionskünstler für ein kluges Zürich ein. Seit 2012 ist er Schriftsteller und freut sich jeden Tag darüber. Sein Debütroman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» war für den Schweizer Buchpreis nominiert und stand 47 Wochen lang auf der Schweizer Bestsellerliste. Sein neuestes Werk, «Trennt euch», erscheint Mitte Mai 2017 beim Salis Verlag, Zürich. Mehr: www.thomasmeyer.ch

* Besuche das FUNDBÜRO2
im Web: www.fundbuero2.ch
auf Facebook: https://www.facebook.com/fundbuero2
Oder jeweils am ersten Samstag des Monats (siehe Web) im Pavilleon auf dem Werdmühleplatz, Zürich. Am 8. April ist Thomas Meyer im Einsatz, am 6. Mai Wortartist Simon Chen.

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