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1. September 2020 um 08:30

«Freiheit muss für alle gelten»

Am letzten Freitag luden Jean-Daniel Strub, Min Li Marti und Flavien Gousset im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Was heisst Freiheit?» zu einer Diskussion über das Verhältnis von Sozialdemokratie und Freiheit ein.

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Die Diskussionsrunde zum Thema Freiheit / Bild: P.S.Wochenzeitung / Yara Bhend

Text: Fabienne Grimm / P.S. Wochenzeitung

Wenn ich sagen soll, was mir neben dem Frieden wichtiger sei als alles andere, dann lautet meine Antwort ohne Wenn und Aber: Freiheit. Die Freiheit für viele, nicht nur für die wenigen.

Willy Brandt, ehemaliger Bundeskanzler und SPD-Vorsitzender

Diese Worte des ehemaligen Bundeskanzlers und SPD-Vorsitzenden Willy Brandt hätten schon fast das Motto der Veranstaltung vom letzten Freitag in der Kanzlei in Zürich sein können. Sie verdeutlichen nicht nur die Verbindung von Freiheit und Sozialdemokratie, sondern auch den Anspruch, den die Sozialdemokratie an die Freiheit hat. Sowohl die Freiheit als auch die Sozialdemokratie stecken laut den Organisatoren des Anlasses in einer Krise. Bedroht werden sie, wie es auf der Website der Veranstalter «www.washeisstfreiheit.ch» heisst, durch Wahlgewinne von Rechtspopulisten und «starken Männern» wie Orban, aber auch durch andere Gefahren, wie Terrorismus oder ganz aktuell die Coronapandemie.

Wie also steht es um die Freiheit? Wie gefährdet ist sie wirklich? Wie kann die richtige Balance zwischen Sicherheit und Freiheit gefunden werden? Wie hängen die Krisen von Freiheit und Sozialdemokratie zusammen und wie steht es um das Verhältnis der beiden? Muss sich die Linke den Kampf für Freiheit wieder in grossen Lettern auf die Fahne schreiben? Über diese Fragen diskutierten im Rahmen der ersten von vier Veranstaltungen der Reihe «Was heisst Freiheit?» Daniel Binswanger (Leiter Feuilleton und Kolumnist <Republik>), Silja Häusermann (Politikwissenschaftlerin), Mattea Meyer (Nationalrätin SP), Min Li Marti (Nationalrätin SP, Verlegerin P.S.) sowie Daniel Jositsch (Ständerat SP). Moderiert wurde die unter dem Gesichtspunkt «Demokratie und Staat» stehende Podiumsdiskussion von Jean-Daniel Strub (Ethiker, Teil der Geschäftsleitung SP Stadt Zürich).

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Hier herrscht volles Programm. Bild: P.S.Wochenzeitung / Yara Bhend

Das Problem mit der Evidenz

Eine erste Analyse zum Verhältnis von Sozialdemokratie und Freiheit lieferte Daniel Binswanger in einem einleitenden Referat zum Thema. Die Sozialdemokratie sei gerade deshalb in der Krise, weil sie immer mit dem Knüppel der Freiheit geprügelt würde. Paradoxerweise verliere die Sozialdemokratie dabei zwar Wählerstimmen, in der Sache sei es ihr allerdings noch nie so gut gegangen. Alle ihre Grundansprüche, von der fiskalischen Umverteilung bis zu einer ausgeglichenen Lohnstruktur, hätten sich in den letzten zwölf Jahren in überwältigender Weise bestätigt. Der Kampf gegen globale Ungleichgewichte werde mit jedem Tag drängender: «Das zentrale wirtschaftliche Problem unserer Zeit ist die Ungleichheit. Die zentrale Bedrohung für den Kapitalismus ist die Ungleichheit. Die Einzigen, die den Kapitalismus und die globale Prosperität werden retten können, sind die Sozialdemokraten. Das ist vollkommene Evidenz.»

Doch gerade hier liegt der Hund begraben. Die Evidenzen seien zwar da, doch im öffentlichen Diskurs hätten sie einen äusserst schweren Stand, erklärt Binswanger. Gerade auch in der Schweiz, wo die Gesamtbevölkerung von globalen Ungerechtigkeiten massiv profitiere. Erschwerend käme hinzu, dass die heutigen Auseinandersetzungen zwischen Interessengruppen und Einkommensklassen praktisch vollständig auf der Ebene der internationalen Wirtschaftspolitik ausgetragen würden. Dadurch gestalte sich die Kommunikation über Interessen sehr viel komplizierter.

Das Paradox des emanzipatorischen Projekts

Die Sozialdemokratie befindet sich also in der Krise, obwohl oder gerade weil sie so viel erreicht hat. Diese Einschätzung teilt auch Silja Häusermann: «Im Prinzip ist die Sozialdemokratie ein grosses emanzipatorisches Projekt.» Sie habe es geschafft, Freiheiten auf immer mehr Menschen auszuweiten, erläutert Häusermann. Heute gebe es allerdings innerhalb der Sozialdemokratie oft Zielkonflikte darüber, wo die wichtigsten Fronten dieses Projektes liegen würden. Welche Freiheiten gilt es zu priorisieren? Die, der einheimischen Arbeiter und Arbeiterinnen oder die der ausländischen Minderheiten? Die Sozialdemokratie zögere oft, sich in diesen Fragen klar zu positionieren. Auch für Min Li Marti ist klar: Die freiheitlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie widerspiegeln sich nicht im öffentlichen Diskurs. Im Gegenteil: «Sie wird von vielen Menschen als Spielverderber wahrgenommen, der Freiheiten wegnehmen will. Seien es nun die Mohrenköpfe, das Fleisch oder das Fliegen.»

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Der Raum ist voller gespannter Zuhörer. Bild: P.S.Wochenzeitung / Yara Bhend

Die sozialdemokratische DNA

Das Problem sieht Mattea Meyer vor allem darin, dass nicht über Ungleichheit und damit den Kern fehlender Freiheit gesprochen werde. Stattdessen halte man Scheindebatten über angebliche Freiheitseinschränkungen im Zusammenhang mit Mohrenköpfen. «Auch die Sozialdemokratie unterliegt einer Sachzwanglogik. Man dreht zwar noch an den Schräubchen, doch die grundlegenden Fragen stellt man nicht. Freiheitliche Grundsatzfragen und Machtverhältnisse müssen endlich wieder ins Zentrum der Debatte gestellt werden.» Dabei dürfe der Kampf für Freiheit nicht an den Staatsgrenzen enden. «Freiheit ist immer nur dann Freiheit, wenn sie für alle gilt», erklärt Meyer.

Sich auf Grundsatzthemen zu konzentrieren, sei für die Sozialdemokratie vor allem dann besonders schwierig, wenn sie sich in Regierungen befände, erläutert Daniel Jositsch. Oft bleibe sie ihren Werten zu wenig treu. Die DNA der Sozialdemokratie müsse stets erhalten und lesbar bleiben. Gelinge dies, so seien Wähleranteile nur zweitrangig. Marti meint dazu: «Sozialdemokraten agieren häufig sehr technokratisch, gerade in Regierungen.» Das sei nicht unbedingt falsch, aber nicht die Antwort auf die Sehnsucht vieler Menschen. Es fehle an einer klaren Vision, wie die Welt auszusehen habe. In der Klimafrage sei dies besonders deutlich. Ausserdem sei die Linke dem Staat gegenüber oft zu unkritisch gewesen. Werfe man beispielsweise einen Blick auf die Auflagen in den Sozialversicherungen, so seien den Menschen viele Freiheiten weggenommen worden. Da müsse man wieder genauer hinschauen. Meyer stimmt dem zu: «Wir haben immer noch einen Staat, der nach oben viel Freiheiten gewährt und nach unten Zwänge auferlegt. Da müssen wir viel kritischer sein.»

Was ihr Selbstverständnis anbelange, habe die SP im Gegensatz zur SPD oder der Labour-Partei einen entscheidenden Vorteil, erklärt Häusermann. Sie habe es geschafft, die Themen der Neuen Linken in ihre Identität aufzunehmen und somit das emanzipatorische Projekt ins 21. Jahrhundert weiter zu entwickeln. Dadurch habe sie in der progressiven Mittelklasse ein enormes Wählerpotenzial. Diese moderne Identität gelte es sich nun zu eigen zu machen.

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