«Und jetzt kommt die Krux: Diese Frauen haben keine Zeit, um zu kämpfen» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Rahel Bains

Redaktionsleiterin

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27. Mai 2020 um 15:00

«Und jetzt kommt die Krux: Diese Frauen haben keine Zeit, um zu kämpfen»

Im zweiten Teil unserer Serie «Ein Jahr nach dem Frauenstreik» verrät Elisabeth Fannin, Gewerkschaftssekretärin bei Syndicom und Vizepräsidentin des Zürcher Gewerkschaftsbundes, ob man die Mobilisierung auch nach dem Frauenstreik aufrecht erhalten konnte, was sie richtig wütend macht, weshalb sie sich für ihre Töchter manchmal einen Extra-Ruck gibt und welche Frau sie im vergangenen Jahr inspiriert hat.

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Bild: zvg

«Die Frauen in der Schweiz leisten deutlich mehr unbezahlte Arbeit als Männer – Arbeit im Wert von 85 Milliarden Franken», «Noch immer verdienen Frauen im Durchschnitt 1500 Franken weniger als Männer, mindestens ein Drittel dieses Unterschieds ist statistisch unerklärbar, das ist direkte sexistische Diskriminierung», «Wir haben der Schweiz klar gemacht, dass wir endlich Gerechtigkeit wollen» – diese Worte richtete Elisabeth Fannin Gewerkschaftssekretärin bei Syndicom (Gewerkschaft Medien und Kommunikation) und Vizepräsidentin des Zürcher Gewerkschaftsbundes, beim letztjährigen Frauenstreik während der Eröffnungsrede der Abschlusskundgebung an die Steikenden. Sie war es auch, die für den GBKZ (Gewerkschaftsbund Kanton Zürich) bei der Stadt Zürich die Bewilligung für die Demonstration eingeholt und den Streik in dieser Form ermöglicht hat. Wir haben sie zum Interview getroffen.

Rahel Bains: Am 14. Juni vor einem Jahr war Zürich eine lila Stadt, bis zu 160’000 Frauen waren auf der Strasse und machten mit Aktionen im und um den Frauenstreik auf ihre Anliegen aufmerksam. Was ist davon übrig geblieben? Habt ihr es geschafft, die Mobilisierung zu erhalten?

Elisabeth Fannin: Es kommt auf die jeweiligen Bereiche an. Bei den vergangenen Nationalratswahlen wurden zum Beispiel so viele Frauen gewählt wie noch nie. Es haben sich auch noch nie so viele Frauen zur Wahl aufstellen lassen. Im Kanton Zürich waren es zum Beispiel 43 Prozent aller Kandidierenden. Nur schon das ist bemerkenswert. Ich merkte auch, dass nach dem Streik einige Frauen aus dem Frauenstreik-Kollektiv damit begonnen haben, für Gewerkschaften zu arbeiten. Dies ist deshalb wichtig, weil diese bis zum heutigen Tag noch immer von Männern dominiert sind. Natürlich gibt es viele Gewerkschaftsfrauen, die aktiv und sichtbar sind. Aber gerade während der Corona-Krise waren es vor allem Männer, die in der Öffentlichkeit aufgetreten sind. Immerhin: Beim Gewerkschaftsbund des Kantons Zürich sind seit dem vergangenen Jahr die Geschlechter paritätisch vertreten.

Mehr Lohn, mehr Zeit, mehr Respekt, Lohngleichheit, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, flexiblere Arbeitsmodelle: Durch die Corona-Krise wurden ebendiese Forderungen vom vergangenen Juni erneut hochaktuell. Wie hat sich diesbezüglich die Situation verändert?

In den vergangenen Wochen hatte ich oft das Gefühl, in einer Zeitmaschine zu sitzen und ins Jahr 1950 zurück gebeamt zu werden. Es wurde schlicht angenommen, dass «irgendjemand» die Betreuung der Kinder zu Hause auffängt. Natürlich wurde nicht direkt gesagt, dass dieser «jemand« zwingend die Frau sprich Mutter sein muss – aber die Erwartungshaltung den Männern gegenüber war, dass sie die gleiche Leistung erbringen müssen, auch wenn sie von zu Hause aus arbeiten und die Kinder da sind. Wie soll das denn gehen? Es gab hierbei zwei falsche Voraussetzungen: Zum einen, dass man angenommen hat, dass Männer wie bisher arbeiten und zum anderen die Vorstellung, dass Frauen ihre Arbeit dann «halt einfach am Abend nachholen». Diese Annahmen bergen viel Konfliktpotenzial.

Diese Frauen haben keine Zeit, einen Arbeitskampf zu führen. Sie müssen sich um den Haushalt kümmern, die Alten pflegen usw. Neben all dem noch gewerkschaftliche Arbeit zu machen ist eine grosse Belastung.

Elisabeth Fannin

Und wie sieht die Lage ausserhalb des Familienverbundes aus?

Wir konnten in der Krise zeigen, welche Berufe systemrelevant sind und welche nicht. Ich habe das Gefühl, da geht was. Der Vpod macht etwa im Bereich der Pflegeberufe eine tolle Arbeit. Der Buchhandel, dessen Angestellte ich politisch unterstütze, ist aber zum Beispiel sehr klein und hat nur knapp 2500 betroffene Personen. Der Medianlohn beträgt 4265 Fr. – und das nach der Ausbildung. Die Buchhändler*innen sind gewerkschaftlich zu einem Viertel organisiert, gehören aber eigentlich der Detailhandelsbranche an, in welcher schweizweit lediglich 10 Prozent der Angestellten in Gewerkschaften aktiv sind. Für den Kampf um Gleichberechtigung, einen fairen Lohn und Anerkennung musst du aber eine gewerkschaftliche Organisation im Rücken haben, sonst ändert sich nichts.

Und jetzt kommt die Krux: Diese Frauen haben keine Zeit, einen Arbeitskampf zu führen. Sie müssen sich um den Haushalt kümmern, die Alten pflegen usw. Neben all dem noch gewerkschaftliche Arbeit zu machen – etwa am Abend oder an den Wochenenden – ist eine grosse Belastung. Im Vorstand der Gewerkschaft für Buchhändlerinnen hat zum Beispiel nur eine Person Kinder, alle anderen sind junge, kinderlose Frauen. Die Altersgruppe zwischen 35 und 45 verschwindet, da sie nicht die Zeit hat für ein solches Engagement.

Du und dein Mann haben zwei Töchter im Kleinkind- und im Kindergartenalter. Wie habt ihr euch während des Lockdowns organisiert?

Mein Mann hat von Anfang an gesagt: «Ist doch logisch, wir stemmen das gemeinsam.» Er durfte dank seinem Arbeitgeber weniger als das eigentliche Pensum arbeiten und ging morgens früh raus und holte spätabends nach. Dafür konnten wir die Kinderbetreuung organisieren. In meinem Umfeld wurde die Aufgabenteilung jedoch sehr unterschiedlich gehandhabt. Einige Paare haben eine – gesunde –Streitkultur entwickelt und heftig darüber diskutiert, wie die Ressource Zeit aufgeteilt wird. Bei gewissen Familien von denen ich bislang gedacht habe, dass sie ein modernes Modell leben würden, waren die Frauen mit der Zeit völlig am Anschlag. Entweder haben sich die Männer keine Gedanken über die Aufgabenteilung gemacht oder waren von der Arbeit so eingespannt, dass sie es schlicht nicht gemerkt haben.

Zu gesellschaftsverändernden Bewegungen gehören beide Geschlechter.

Elisabeth Fannin

Was tragen die Männer für eine Rolle und Verantwortung, wenn es um die Erfüllung eurer Forderungen geht – dürfen sie Teil der Bewegung sein und liegt es nicht auch an ihnen, sich zu engagieren und so zum Beispiel auch einen aktiven Part der Kinderbetreuung einzunehmen oder zumindest einen Teil der oft zitierten «Mental Load» zu stemmen?

Da bin ich zweigeteilt. Klar haben Männer eine Rolle in dieser Bewegung inne. Zu gesellschaftsverändernden Bewegungen gehören beide Geschlechter. Trotzdem habe ich mich während den Vorbereitungen zum Frauenstreik ab und zu genervt über die Frage: «Was ist mit uns Männern?», «Was sollen denn wir machen?» Da fand ich: «Hmm... Vielleicht könnt ihr euch selber etwas überlegen?».
Einige waren zum Beispiel beleidigt, weil sie nicht an Sitzungen kommen konnten, an denen wir Frauen Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung thematisiert haben. Sie fanden, dass dies auch sie betreffe. Natürlich stimmt das auf der einen Seite, aber es braucht andererseits Räume, in denen Frauen unter sich über ihre Anliegen diskutieren können.

Machen es sich einigen Frauen bezüglich der Aufteilung von Job und Kinderbetreuung auch ein wenig zu einfach? Es gilt oft das Argument: «Mein Partner kann seine Stellenprozente nicht reduzieren» oder «Wenn ich arbeiten würde, müsste ich den ganzen Lohn wieder in die Kita stecken».

Es ist teils nur schon ökonomisch schwierig, weil Frauen vermehrt Jobs ausüben, bei denen man weniger verdient als in klassischen Männerberufen. Ich persönlich lebe im Moment auch das Modell «Er: 100, ich aufgrund einer Ausbildung 60 Prozent». Es kann schnell gehen und plötzlich bist du in einer klassischen Rollenverteilung und denkst: «Oh nein, das hab ich doch eigentlich nie gewollt?» Was auch spannend ist: Es wundert sich niemand über mein Pensum oder das von meinem Mann, das ist für die meisten ganz selbstverständlich. Und ich weiss, das wir das anders aufteilen müssen, doch im Moment geht es echt nicht anders.

Eine Freundin sagte mir neulich, dass Gleichberechtigung bei den Kindern beginne: Nämlich damit, wie wir sie erziehen. Wie versuchst du, deine Wertvorstellungen deinen Töchtern mit auf den Weg zu geben?

Wir als Eltern sind da nicht allein, der Einfluss auf unsere Kinder kommt von überall her. Ich denke es ist wichtig, dass sie sehen, dass auch ihr Vater sich im Haushalt beteiligt, dass auch er kocht – dass man ihnen Gleichberechtigung vorlebt. Was ich auch gemerkt habe: Meine Mädels finden es toll, wenn ich zum Beispiel am 1. Mai auf der Bühne stehe und eine Ansprache halte. Solche Sachen sind wichtig, damit sie sehen, dass Frauen sichtbar sind. Wenn mich jemand für eine Moderation anfragt, gebe ich mir deshalb oft einen Extra-Ruck und sage zu – auch wenn ich nicht immer von Anfang an den Mut dazu habe.

Tamara Funiciello hat mich unglaublich beeindruckt. Sie ist so eloquent, mutig und wahnsinnig cool.

Elisabeth Fannin

Was macht dich richtig wütend?

Wenn mein Hefeteig nicht aufgeht, macht mich das wütend (lacht). Was mich aber sehr wütend macht, ist, dass die unteren 20 Prozent der Arbeitnehmerinnen auch noch jene sind, die nun Kurzarbeit haben. Oder dass genau diese 20 Prozent weniger als 4220 Fr. im Monat verdienen. Man sieht nun: Wenn sich die Situation so zuspitzt wie in den vergangenen Monaten, dann sitzen nicht alle im gleichen Boot.

Welche Frau hat dich seit dem vergangenen Frauenstreik besonders inspiriert?

Tamara Funiciello hat mich unglaublich beeindruckt. Sie ist so eloquent, mutig und wahnsinnig cool. Andrea Sprecher, Generalsekretärin der SP Zürich, ist mir auch in Erinnerung geblieben: Sie kam mit ihrem Baby im Arm an der 1. Mai-Vorfeier letztes Jahr, an der sie eine Rede halten musste und sagte: «Mein Kind ist krank und konnte deshalb nicht in die Kita und meine Mutter kann im Moment auch nicht aufpassen». Kurz darauf legte sie ihr Kind einer Frau in der ersten Reihe in die Arme und fuhr fort. Das war toll und führte uns vor Augen, wie wichtig der Frauenstreik wird. Eine weitere Frau, die mich immer wieder inspiriert ist Henriette, eine befreundete Buchhändlerin. Sie ist eine so tolle, mutige und gescheite Frau und um einiges älter als ich. Ich finde es grossartig, Freundschaften zu jüngeren und älteren Frauen zu pflegen.

Was ist für den kommenden 14. Juni geplant?

Ich weiss noch nicht genau, was wir machen werden. Ich fände es aber toll, wenn was los wäre. Wir alle waren nach dem Frauenstreik vom vergangenen Jahr sehr erschöpft. Wir müssen nun aber schon dran – und vor allem vernetzt – bleiben. Das ist wichtig.

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