Flurin Capaul: Können wir es noch ein wenig genauer haben? - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Christoph Schneider

Redaktor Wahlen

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20. Oktober 2019 um 04:00

Aktualisiert 27.01.2022

Flurin Capaul: Können wir es noch ein wenig genauer haben?

In dieser Serie treffen jeweils zwei Menschen aufeinander: Christoph Schneider, der selbst auf dem Weg in die Selbständigkeit ist, spricht mit einer Person, die bereits ein paar Schritte weiter ist. In der fünften Folge: Flurin Capaul.

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Inspiriert vom Liebeslied «You Are The First, The Last, My Everything» von Barry White gehen die Gespräche der Frage nach, wie und weshalb jemand den Weg in die berufliche Selbständigkeit eingeschlagen hat. Unternehmer*innen und Macher*innen aus den unterschiedlichsten Branchen geben Einblicke in ihren Berufsalltag und erzählen von ihren Werten und Haltungen. Die Idee ist von BBC Radio abgekupfert, wo Zuhörer*innen im Rahmen von «You Are The First, The Last, My Everything» die Songs offenbaren, die ihr Leben prägten und ihnen besonders viel bedeuten. BBC möge uns verzeihen, wir lernen gerne von den Besten.

  1. The First blickt zurück in die Anfänge: Wann habe ich das erste Mal daran gedacht, Unternehmer*in zu werden? Was stand zuerst: Der Wille zur grösstmöglichen Unabhängigkeit, eine fixfertiges Produkt, ein grossmäuliges Versprechen?
  2. The Last spielt in der Gegenwart: Worüber habe ich mich zuletzt aufgeregt, wer hat mich inspiriert, was beschäftigt mich zurzeit am stärksten? Sind es externe Rahmenbedingungen oder innere Kämpfe?
  3. My Everything: Nichts weniger als die Frage «Worum geht es eigentlich»?

Flurin Capaul: Können wir es noch ein wenig genauer haben?

26. September, 12.00, Restaurant Kornhaus. 2 Berghörnli mit Suppe und Salat, 8 dl Mineralwasser, 2 Espressi

Flurin ist in den letzten Monaten immer wieder in meiner Facebook-Timeline aufgetaucht, zum Teil in politischen Diskussionen, teils mit klassischen Storytelling-Beiträgen. Was mir dabei speziell aufgefallen ist, waren seine Posts zu Kulinarik und Restaurants. Wir beide scheinen eine ähnliche Haltung dem Essen gegenüber zu vertreten: Neugierig, undogmatisch, mit einer Vorliebe zu einfach zubereiteten, aber besten Gerichten (neben abgefahrenen Zwölfgängern, selbstverständlich). Eines Tages sass ich im Impact Hub, wo ich ein bis zwei Tage die Woche arbeite, neben Flurin an einem Arbeitstisch und haben uns innert fünf Minuten in ein Gespräch über Stadtpolitik, Startup, LinkedIn und natürlich über Kulinarisches verwickelt. Eine Woche später traf ich Flurin in einer der letzten “Beizen” im Kreis 5, im Kornhaus am Limmatplatz.

  1. Name: Flurin Capaul
  2. Alter: 40 Jahre
  3. Erstausbildung: Informatik Ingenieur FH
  4. Tätig als: Gründer/CEO Boonea (2015 - 2018)
  5. Business Development Manager bei Axon Insight AG (seit 2018)

The First: «Können wir es noch ein wenig genauer haben?»

Ich konnte den Satz irgendwann nicht mehr hören; unseren Prototypen mussten wir immer wieder rechtfertigen. «Können wir es noch ein wenig genauer haben?» ist wahrscheinlich DER Todbringer jeder Innovation. Doch konkret: Ich arbeitete bei einer Grossbank und habe in meiner Freizeit daran gearbeitet, Netzwerke sichtbar zu machen. Dahinter stand die Idee: Wenn ich Bill Gates etwas verkaufen will, komme ich bloss mit einer Beziehung überhaupt erst an ihn ran. Also muss ich die drei oder vier Verbindungen finden, die mich zu ihm führen. Dazu habe ich erst einen Prototypen gebaut, mit dem ich im Outlook Beziehungen messen und visualisieren konnte. Das reichte natürlich nicht, aber mein Forschungsdrang war geweckt. Gemeinsam mit einem Programmierer haben wir innert fünf Monaten einen Algorithmus so umgebaut, dass das Ganze auch mit einer anderen Datenbank funktionierte.

Aber, wie es in grossen Organisationen üblich ist, stiess die Idee auf ein grundsätzliches Interesse, umsetzbar war es dann aber doch nicht. Compliance und Zeitdruck vertragen sich gelinde gesagt nicht gut. Das hiess, niemand sagte je «Nein» zum Projekt, sondern man wurde stattdessen immer wieder nach noch genaueren Informationen befragt. Es dauerte eine paar Monate bis ich das begriff und weitere zwölf Monate bis ich den Mut fand, mich mit einem Startup selbstständig zu machen.

Das Vertrauen der Kunden muss man sich hart erkämpfen.

The Last: Die Krux mit der Grösse der Organisation

Unsere Idee hat sich dann doch durchgesetzt, aber natürlich überhaupt nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben. Wir haben doch alle die Vorstellung, dass ein Startup irgendwann von einem Giganten wie Microsoft oder Google für einen Millionenbetrag gekauft werden. Wir konnten vor gut einem Jahr einen Teil unserer Assets in einem Schweizer KMU unterbringen. Das heisst, ich habe Erfahrungen in einer Grossbank, in einem Startup und in einem KMU sammeln können.

Alle Organisationen haben ihre Vor- und Nachteile. Ein Beispiel: Die oben erwähnten Compliance Departments wurden in der Startup-Zeit von den Risk-Abteilungen der Kunden* abgelöst. Die Risikoanalysten sind im Grundsatz schon mal sehr skeptisch, wenn da zwei unbekannte Männer, einer unbekannten Firma etwas verkaufen wollen, dass sie noch nicht kennen. Und wenn du da keine grosse Organisation im Rücken hast, kann deine Idee noch so gut und juristisch wasserdicht sein: Das Vertrauen der Kunden muss man sich hart erkämpfen.

My Everything: Lifelong Learning

Das Grossartige an den letzten Jahren war, dass ich in jeder Situation wahnsinnig viel gelernt habe, mit dem ich niemals gerechnet hätte. Bist du zu zweit, machst du alles alleine. Mehrwertsteuer? Nicht meine Leidenschaft, aber ich verstehe jetzt das System dahinter. LinkedIn? War schon früh ein Lieblingstool von mir, aber dass wir jemals ein Buch über den Umgang mit dieser Social Media Plattform veröffentlichen würden? Vor Jahren unvorstellbar. Marketing? Fand ich immer komisch, bis ich dann selber auf einer Messe stand.

Mein Credo ist: Erst mal machen, dann schauen, dann verbessern. Mehr braucht es eigentlich nicht, abgesehen von ein paar persönlichen Rahmenbedingungen: Man muss sich voll reinhängen und das Gefühl entwickeln können: «Es kommt schon gut.» So rennt man fünf Mal in eine irgendwo in den dunklen Wald rein und merkt beim sechsten Sprint, hier stimmt der Weg.

* Der Interviewte hat auf die männliche Form bestanden, weshalb wir in den direkten Zitaten auf den Genderstern verzichtet haben.

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