Filmemacher Hans Haldimann: «Heimat ist mit Sicherheit verbunden» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Sonya Jamil

Praktikantin Redaktion

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18. Dezember 2020 um 09:00

Filmemacher Hans Haldimann: «Heimat ist mit Sicherheit verbunden»

Hans Haldimann porträtiert in seinem neuen Film «Kleine Heimat» während dreieinhalb Jahren drei Bewohner*innen, die ihr Zuhause in der Siedlung Sihltal verlassen müssen, da es abgerissen wird. Tsüri.ch im Gespräch mit dem Regisseur.

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Regisseur Hans Haldimann verwendete für seinen Film eine Handkamera und KEINE Handykamera. (Foto zVg.)

Hanni Isler und das Paar Rosa Zehnder und Kurt Schäfli müssen ihre kleine Heimat in Leimbach verlassen. Besonders Hanni und Rosa sind in der Siedlung verwurzelt, schliesslich wohnen sie seit den 50er-Jahren dort. Von der Kündigung bis hin zum Umzug lassen die drei Hauptfiguren die Zuschauer*innen an ihren Glücksmomenten und Schicksalsschlägen teilhaben. Daraus entststanden ist Hans Haldimanns berührender Film «Kleine Heimat», der zum Denken anregt.

Sonya Jamil: Hans Haldimann, Ihr neuer Film heisst «Kleine Heimat». Was ist für Sie Heimat?

Hans Haldimann: Heimat ist für mich der Ort oder das Gebiet, das mir vertraut ist, in dem ich jeden Winkel kenne und vor allem die Leute, die hier leben – mit ihren Besonderheiten, Vorzügen und Eigenheiten. Der Ort, an den ich mich zurücksehne, wenn ich weit weg bin, an den ich mich zurückziehen kann, wenn ich mich nicht wohl fühle.

Das innerste Zentrum dieser Heimat ist die Wohnung, in der ich lebe – und genau hier liegt das Problem: Untrennbar mit der Heimat verbunden ist eine gewisse Sicherheit, und genau diese haben viele Mieter*innen nicht; sie müssen eigentlich immer damit rechnen, dass sie aus ihrem Refugium vertrieben werden. Diesen Gedanken finde ich unerträglich.

Auch in Ihren bisherigen Filmen setzten Sie sich mit gesellschaftskritischen Themen auseinander, mit dem Leiden und Glück der Menschen im Fokus.

Für mich ist Filmemachen das Visualisieren von Träumen, Ängsten und Hoffnungen. Vermutlich habe ich so jeweils meine Themen ausgewählt. Und die Protagonist*innen der Filme sind dann Menschen, mit denen ich mitleide, mitträume und mithoffe.

Sie waren in «Kleine Heimat» alleine mit ihrer Handkamera unterwegs. Wie war das?

Ursprünglich habe ich damit begonnen, weil ich für meinen ersten Film keine Förderung bekommen hatte. Indem ich selber drehte, konnte ich ohne grosse Kosten arbeiten, und mit dem Drehen kam dann auch die Gewissheit, dass da wirklich ein guter Film entstehen könnte. Später dann sah ich die Vorteile, die für mich aus dieser Produktionsweise entstehen: Ich kann in das Leben der Menschen eintauchen und werde für sie sozusagen zu einem Teil des Inventars, den sie nicht mehr besonders wahrnehmen, der ihnen aber manchmal plötzlich eine Frage stellt.

Hans Haldimann
Geboren 1953 in Wädenswil machte Hans Haldimann zunächst eine Ausbildung zum Primarlehrer. Nach seinem Studium in Geographie, Soziologie und Geschichte an der Uni Zürich arbeitete er ab 1982 als freier Journalist für verschiedene Printmedien. Später wurde er Fernsehreporter, Autor von Dokumentarfilmen und seit den frühen 00er Jahren ist er als Kameramann tätig.

Was waren die Herausforderungen beim Dreh?

Zuerst ging es darum, früh genug eine bedrohte Wohnsiedlung zu finden, solange es noch möglich war, einen möglichst ungestörten Alltag zu filmen. Als ich dann fündig geworden war, begann ich, von Haustür zu Haustür zu gehen und zu telefonieren, um Leute zu suchen, die schon von Anfang an in der Siedlung lebten. So kam ich auf Rosa Zehnder und Hanni Isler, die beide nicht zurückschreckten, als ein wildfremder Mann sich bei ihnen meldete, sondern die mich sofort zum Kaffee einluden.

Welche Szenen haben Sie als besonders schön in Erinnerung?

Unvergesslich ist der Moment, als Kurt und Rosa eine erste Wohnung bei einer Genossenschaft anschauen, und Kurt auf dem Balkon plötzlich davon zu reden beginnt, wie glücklich er doch sei, mit seiner Partnerin zusammenzuleben – eine Liebeserklärung aus tiefstem Herzen. Ebenfalls wunderschön ist der Moment, als Hanni in ihrem neuen Altersheimzimmer die verdorrten Blüten von ihrem geliebten Kaktus wegnehmen will – aber nur die, welche von selber kommen, ohne dass sie sie wegreissen muss. Ein sehr symbolischer Moment dafür, dass sie selber vor kurzem radikal aus ihrer Heimat herausgerissen wurde. Nie vergessen – das ist jetzt alles andere als erfreulich – werde ich auch das Gesicht der sonst immer fröhlichen Hanni, als sie erfährt, dass all ihre Hoffnungen vergebens waren und sie bald definitiv ausziehen muss.

Mit den Protagonist*innen leide, träume und hoffe ich mit.

Hans Haldimann

Hanni Isler ist mittlerweile leider verstorben, stehen Sie noch in Kontakt mit Rosa Zehnder und Kurt Schäfli; wie sieht deren Leben jetzt aus?

Rosa und Kurt sind, wie viele andere Mieter*innen, die aus der Siedlung vertrieben wurden, bei einer Genossenschaft untergekommen. Dort leben sie mehr oder weniger wie bisher weiter, in Sicherheit, nicht mehr ausziehen zu müssen. Kurt, der gesundheitlich besser dran ist, übernimmt immer mehr Alltagsarbeiten im Haushalt – sogar das Kochen. Ich besuche die beiden immer noch von Zeit zu Zeit – zwar etwas weniger häufig, und jetzt halt ohne Kamera.

Was nehmen Sie persönlich aus «Kleine Heimat» für sich mit?

Für mich war es erfüllend, immer tiefer ins Leben meiner Protagonist*innen einzutauchen und nicht als Störenfried, sondern als Teil der Familie betrachtet zu werden. Aber es war auch traurig zu sehen, wie im freien Land Schweiz viele Menschen eben nicht so frei sind und auf Knall und Fall aus ihrer vertrauten Umgebung herausgerissen werden dürfen, wenn sie den Renditeüberlegungen gewisser Firmen im Weg stehen. Dass sie ihr Leben lang Miete bezahlt und damit ihre Wohnung den Eigentümer*innen zwei- oder dreimal abgekauft haben und am Schluss doch einfach schnöde weggewiesen werden.

Sind derzeit weitere Filme in Planung, auf die wir uns freuen können?

Im Moment geht es immer noch darum, «Kleine Heimat» sozusagen ins Leben hinaus zu begleiten. Solange das nicht geschehen ist, bin ich nicht richtig frei für etwas Neues. Aber natürlich gibt es schon Ideen, die in meinem Kopf herumgeistern, und die sich dann, wenn dieser wieder frei ist, hoffentlich konkretisieren werden.

«Kleine Heimat» läuft ab dem 25. März 2021 in den Kinos.

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