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Von Laila Gutknecht

Kolumnistin / Das da unten

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16. Mai 2020 um 06:00

Feminismus-Kolumne: Feminismus in Pandemiezeiten

Wie steht es um den Feminismus? Und wie um die (weibliche*) Sexualität? Die beiden Zürcherinnen Laila und Pascale von «das da unten» wollen Tabus brechen und öffentlich über Geschlechtsteile, Politik und Sex sprechen. In dieser Kolumne hat Laila Gutknecht Frauen die Frage «Wie sieht Feminismus in Pandemiezeiten aus?» gestellt. Zwei Autorinnen und eine Kantonsrätin beantworten ihr diese.

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Illustration: Guilherme Santiago

2020 hat alles auf den Kopf gestellt. Nicht für alle gleich, aber für alle irgendwie.

In den ersten Wochen habe ich wie viele andere fast wahnhaft stündlich News konsumiert, habe die neuen Zahlen aufgesaugt, als würde sich dadurch etwas ändern. Was für eine Ausnahmesituation! Platz für anderes gab es nicht mehr. Gleich wie in meinem Kopf sah es auch in der Öffentlichkeit und in der medialen Berichtserstattung aus: Egal, wo ich hinschaute, es ging nur noch um das Virus.

Daher drängte sich immer mehr die Frage auf: Was bleibt zur Zeit auf der Strecke? Im Hinblick auf meine eigenen Überzeugungen – und auch im Hinblick auf diese Kolumne: Wie sieht Feminismus in Pandemiezeiten aus?

Das Tagesanzeiger Magazin titelte vor ein paar Wochen: «Corona ist eine Katastrophe für den Feminismus». Beim Lesen fühlte ich mich entmutigt. Es war so viel gegangen in Punkto Feminismus und das soll jetzt alles für die Katz gewesen sein? Und was bedeutet Feminismus in dieser Zeit für mich persönlich? Ich konnte die Frage nicht beantworten.

Das da unten
Laila Gutknecht (28) und Pascale Niederer (26) haben 2019 das Projekt «das da unten» mitbegründet. Ziel ist es, den Austausch über weibliche* Körper, Sexualität und Feminismus zu fördern. Um letzteres geht es auch in dieser Kolumne.

Also habe ich mich entschlossen, anderen diese Frage zu stellen. Ich habe mich an Frauen gewandt, deren Gedanken zu feministischen Themen ich schätze. Die folgenden Zitate stammen aus meinem persönlichen Mailverkehr mit ihnen.

Anuschka Roshani ist Journalistin und Autorin und teilt die Befürchtungen des Magazin-Artikels:

Ich fürchte, Frauen werden aus (vermeintlicher) Notwendigkeit jetzt ihre Bedürfnisse völlig hintanstellen – weil sie mehr denn je die Hauptzuständigkeit für Familienglück, Kindeswohl, Heil der alten Eltern und Schwiegereltern zugewiesen bekommen. Darüber werden auch Ungerechtigkeiten wie Gender Pay Gap unter den Tisch fallen, denn es wird heissen, sei froh, in dieser Lage überhaupt noch einen Job zu haben.

Auch die Zürcher GLP-Kantonsrätin Andrea Gisler, die sich für diverse feministische Anliegen einsetzt, stellt klar:

Die Krise trifft die wirtschaftlich Schwachen besonders hart, und das sind weltweit auch im 21. Jahrhundert noch immer mehrheitlich Frauen. Darum ist Feminismus in der Corona-Krisen-Zeit nötiger denn je.

An dieser Stelle soll noch erwähnt werden, dass es natürlich auch viele nicht-weibliche Personen gibt, die schwer von der Pandemie getroffen wurden. Dass es in dieser Kolumne hauptsächlich um die Frauen geht, soll deren Leid auf keinen Fall abwerten.

Sibylle Stillhart ist Autorin und Journalistin, hat unter anderem das Buch Schluss mit Gratis geschrieben, in dem sie sich mit unbezahlter Arbeit auseinandersetzt. Sie beantwortete mir meine Frage wie folgt:

Feminismus in der Corona-Krise bedeutet für mich, zu beobachten, wer interpretiert, wer delegiert, wer politisiert, wer regiert – und wer dient. Das System dahinter zu erkennen und es als ein patriarchalisches zu entlarven.

Anuschka Roshani, Andera Gisler und Sibylle Stillhart sind sich also einig: Die Krise verschärft die Probleme, die wir ohnehin hatten und bringt sie wie mit einem Vergrösserungsglas deutlich zum Vorschein. Doch wie geht’s jetzt weiter?

Gedanken dazu, wie diese Probleme konkret angegangen werden können, haben sich Nina Hüsser (Mitglied SP Frauen*) und Tamara Funiciello (Nationalrätin, Co-Präsidentin SP Frauen*) gemacht. Aus ihrer feministischen Analyse der Corona-Krise resultieren unterschiedliche Forderungen, darunter die staatliche Organisierung von Spitälern und Gesundheitszentren sowie der externen Kinderbetreuung. Gute Löhne und Arbeitsbedingungen von «typischen Frauenberufen» (Gesundheitswesen, Detailhandel und Kinderbetreuung) sowie eine Arbeitszeitverkürzung, die es ermöglicht, Care-Arbeit und Erwerbstätigkeit besser verteilen zu können.

Es bleibt also zu hoffen, dass die krasse Verdeutlichung dieser Probleme, endlich Schwung in die politische Agenda bringen könnte. Grund zur Hoffnung geben unzählige, neue Petitionen, die zur Zeit im Umlauf sind. Ich beobachte auch, dass sich Menschen in meinem Umfeld vermehrt politische Gedanken machen und angefangen haben, das System, in dem wir leben, zu hinterfragen.

Auch Andrea Gisler sieht die Sache nicht nur negativ:

Gerade die Krise zeigt, wie wichtig weibliche Führungskräfte in der Politik sind. Während Angela Merkel, Mette Frederiksen, Jacinda Ardern und Tsai Ing-wen in der Krise umsichtig handeln und auf das Miteinander setzen, nutzen die Herren Trump, Orbán, Putin und Bolsonaro die Krisen vor allem für ihre eigenen Interessen.

Sie bezieht sich auf eine von CNN und Forbes durchgeführte Studie, die herausgefunden haben will, dass Frauen besser durch die Krise führen. Um zu wissen, ob sich diese These tatsächlich hält, müssen wir wohl das Ende der Krise abwarten.

Und auch Anuschka Roshani bleibt zumindest ein kleiner Hoffnungsschimmer:

Ich hoffe, dass viele Väter kapieren, wie anstrengend es ist, eine Familie im Alltag zusammenzuhalten – aber auch, dass sie die intensive Zeit mit ihren Kindern nicht mehr missen möchten.

Für nach der Krise wünscht sich Sibylle Stillhart:

Schön wäre es, wenn wir uns nach der Krise zusammensetzen, und uns für das «gute Leben» für alle stark machen könnten. Die Erkenntnis, dass es im Leben weder um Profit noch um Geld geht, ist der erste Schritt in die richtige Richtung...

Bleibt nur die Frage, ob sich diese Erkenntnis bei genug Menschen durchsetzen kann, damit die Krise nicht nur Trümmerhaufen hinterlässt, sondern eine neue Klarheit, die hilft, gemeinsam wirklich etwas zu verändern.

Die Kolumnen auf Tsüri
Jeden Samstag erscheint mindestens eine neue Kolumne, manchmal sogar zwei. Damit wollen wir dir Einblicke in andere Leben geben, dich inspirieren, anregen und vielleicht auch mal aufregen. Unsere Kolumnist*innen diskutieren gerne mit dir in den Kommentaren. Seid lieb!

– Die Feminismus-Kolumne von Pascale Niederer & Laila Gutknecht Co-Gründerinnen von «das da unten».
– Die Collaboration-Booster-Kolumne von Nadja Schnetzler, Co-Gründerin von Generation Purpose.
– Die Papi-Kolumne von Antoine Schnegg, Co-Gründer seines Kindes.
– Die Sans-Papiers-Kolumne von Licett Valverde, frühere Sans-Papiers.
– Die Food-Kolumne von Cathrin Michael, Food-Bloggerin.
– Die Veganismus-Kolumne von Laura Lombardini, Geschäftsführerin der Veganen Gesellschaft Schweiz.

Alle Kolumnen findest du hier.

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