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Von Isabel Brun

Redaktorin

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26. Januar 2021 um 13:10

«Empathie Stadt Zürich»: Wie ein Zürcher Projekt Psychologie und Aktivismus vereint

Sonja Wolfensberger und Tanja Walliser von «Empathie Stadt Zürich» bieten Kurse zur Konfliktlösung an. Mit ihrem Engagement wollen sie Zürich empathischer machen – und zum gesellschaftlichen Wandel beitragen.

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Die Community rund um das Projekt wächst stetig. (Foto: Sonja Böckler)

«Die Welt könnte so viel schöner sein.» Der 32-jährigen Psychologin Sonja Wolfensberger kommen beinahe die Tränen, als sie das sagt. Es sei möglich, würden wir uns dabei nicht selber im Weg stehen, ergänzt Tanja Walliser, die Aktivistin des zweiköpfigen Gründerinnenteams von «Empathie Stadt Zürich». Mit ihrem Projekt wollen sie Zürich zur empathischsten Stadt der Welt machen – das System hinterfragen und den sozialen Wandel vorantreiben. Wie das gehen soll? «Indem wir einander besser zuhören», sagen die beiden.

Empathische Kommunikation

Was im ersten Moment «Gschpürsch-mi-fühlsch-mi» vermuten lässt, ist in Wahrheit ein effektives Kommunikationskonzept aus der Psychologie. «Wir arbeiten und lehren nach dem NVC-Ansatz», erklärt Wolfensberger. NVC steht für Nonviolent Communication; ein Konzept, das vom amerikanischen Psychologen Marshall B. Rosenberg entwickelt wurde und weltweit zur Konfliktlösung und Kooperationsförderung eingesetzt wird. NVC könne sowohl zur Konfliktlösung zwischen Individuen und innerhalb von Teams als auch zur Kooperationsförderung auf gesamtgesellschaftlicher Ebene angewandt werden, so Wolfensberger. Die Frage nach dem Ursprung eines Problems sei dabei zentral: «Ein Konflikt entsteht meistens dann, wenn beide Parteien nicht mehr in der Lage sind, einander zuzuhören.»

Gemäss Rosenberg ist Empathie der Schlüssel zur Lösung, denn wer sich um die Bedürfnisse seines Gegenübers sorgt, kann auch besser auf dessen Wünsche eingehen. Wolfensberger und Walliser würden diesen Effekt auch immer wieder selber erfahren: «Wenn Menschen sich auf der tiefsten Ebene – also auf der Bedürfnisebene – verstanden fühlen, entstehen Lösungen von selbst.» Lösungen, die auch die Gesellschaft einen Schritt weiterbringen könnten, sind sich die Initiantinnen sicher.

Psychologie und Aktivismus verbinden

Die Idee zum Projekt entstand Ende 2019, als Walliser Wolfensberger auf einem sozialen Netzwerk anschreibt. Die damals 34-jährige Aktivistin und die Psychologin verstehen sich auf Anhieb. Beide wünschen sich einen Wandel der Gesellschaft.

«Seit ich 15 Jahre alt bin, engagiere ich mich im politischen Geschehen», erzählt Walliser, «in der JUSO und später auch in der SP ist es immer die Wut über herrschende Misstände gewesen, die mich motiviert hatte.» Sechs-Tage-Wochen seien nicht die Ausnahme, sondern die Regel gewesen. Bis zum Zeitpunkt, «als nichts mehr ging». Seit ihrem Burnout sind mittlerweile fünf Jahre vergangen. Damals habe sie gemerkt, wie wichtig Empathie sei – vor allem gegenüber sich selbst.

«Wir möchten den Wert unserer Arbeit nicht über einen Preis definieren.»

Sonja Wolfensberger

Empathie, die sie sich selber lange nicht zugesprochen hatte: «Das Denken der Leistungsgesellschaft ist sehr tief in mir verankert; ich habe meinen Selbstwert stark an meine Arbeitsleistung geknüpft.» Eine Struktur, die in ihrem politischen Umfeld zwar oft kritisiert, aber von vielen reproduziert werde, so Walliser. Während sie das Politische sucht, trat Wolfensberger diesem lange skeptisch gegenüber: «Ich wuchs in einem Haushalt auf, der links und manchmal radikal war. Ich sympathisiere inhaltlich mit den Anliegen meiner Eltern, ihre Herangehensweise löste in mir allerdings Unbehagen aus. Als Kind dachte ich, politisch zu sein, bedeutet eine gewaltvolle Haltung einzunehmen. Also verschloss ich mich der Politik.» Erst durch den Kontakt mit Walliser habe sich ihre Meinung dazu verändert.

Das System hinterfragen

«Empathie Stadt Zürich» sei «hochgradig politisch». Auch, weil im NVC-Ansatz eine Kapitalismuskritik steckt: «Oft wird die Frage gestellt, weshalb unsere Gesellschaft Mühe damit hat, in Konflikten friedlich miteinander umzugehen. Verschiedene Gesellschaftstheorien besagen, dass kapitalistische Strukturen schuld daran sind, da diese unser Denken und Handeln auf ein Weise beeinflusst, die sich negativ auf das Empathievermögen auswirkt», so Walliser. Die Aktivistin ist «hässig» auf das System. Sie wünsche sich eine Welt, welche die Bedürfnisse der Menschen ins Zentrum stellt, «und das ist nicht mit dem Kapitalismus vereinbar, bei welchem die Profitmaximierung höchste Priorität hat.»

«Das Denken der Leistungsgesellschaft ist sehr tief in mir verankert.»

Tanja Walliser

Ihre Kurse seien deshalb nach der Schenk-Ökonomie finanziert: Jede:r gibt so viel, wie er oder sie kann und möchte. «Wir möchten den Wert unserer Arbeit nicht über einen Preis definieren, da das sehr exkludierend ist», so Wolfensberger, «Ausserdem kann es ja sein, dass dein Beitrag nicht von finanzieller Natur, sondern ist, dass du das Wissen in einem nächsten Konflikt anwendest und somit weitergibst – wie in einem Kreislauf.» Ob sie so ihren Lebensunterhalt finanzieren können, wird sich im Sommer 2021 zeigen. Bis dann soll das Projekt richtig Fahrt aufgenommen haben.

Eines jedoch zeichnet sich bereits jetzt ab: Mit ihren Kursen zum Thema Empathie und Konfliktlösung treffen sie den Nerv der Zeit, denn die Resonanz aus der Gesellschaft ist hoch. Regelrecht überwältigt seien sie geworden, hätten gar Anfragen von politischen Parteien, Kollektiven und Start-ups erhalten, sagt Wolfensberger. Und dass, obwohl ihre Website noch nicht ausgefeilt ist und sie deshalb hauptsächlich auf Instagram aktiv sind. Sie sind also nicht die einzigen, die der Meinung sind: «Die Zeit ist reif für einen anderen Umgang miteinander.»

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