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21. Juni 2021 um 06:54

Aktualisiert 24.01.2022

Ein:e Aktivist:in fragt: «Wie finden wir eigentlich Raum für unser Kollektiv?»

Aktivistische Ideen, Anliegen und Vorhaben brauchen fast immer einen physischen Raum: Um sich zu treffen, etwas zu veranstalten, etwas zu lagern oder als langfristige räumliche Möglichkeit und Präsenz – zum Beispiel ein Streikhaus, ein autonomes Jugendzentrum oder die unkommerzielle Zwischennutzung einer alten Fabrik. Wie kommen wir an Räume? Und warum ist das so schwierig in Zürich?

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Illustration: Anna Brückmann

Text: Urban Equipe

Räume, Räume, Träume... Physischer Raum bedeutet Möglichkeit, Freiheit und auch Macht. Sich Raum zu nehmen, sich auszubreiten und räumlich sichtbar zu sein, ist eine wichtiger Faktor im Aktivismus. Zum Beispiel:

  1. Wir brauchen Raum, um aufzeigen zu können, dass es auch anders geht, Nischenräume. Denn Veränderung beginnt oft dadurch, dass alternative Nischen geschaffen werden, und diese sich dann langsam ausbreiten.
  2. Wir brauchen Raum, damit wir überhaupt etwas Anderes, Neues ausprobieren können, Zukünfte testen können, Utopieräume, die ausstrahlen, die Träume sichtbar machen.
  3. Wir brauchen Raum, in dem Menschen mehr Rechte, mehr Mitsprache erfahren können, Teilhaberäume.
  4. Wir brauchen Raum, in dem Menschen sich sicher fühlen, entspannen, sich frei äussern können – Safe(r) Spaces.

Und viele weitere.

Am liebsten hätte ich an dieser Stelle eine konstruktive Kolumne geschrieben, mit welchen Tipps eine Raumsuche auch tatsächlich klappt. Wir haben dazu schliesslich auch ein ganzes Kapitel in unserem Handbuch für Aktivist*innen geschrieben («Organisiert euch!» ab Seite 216). «Wie wäre es», dachte ich mir, «wenn ich einmal selbst und am Beispiel Zürich diese Tipps durchprobiere, um daraus einen lustigen Bericht zu machen?» Schliesslich suchen wir für die Urban Equipe momentan gerade selber einen Raum. Doch allen guten Versuchen zum Trotz: Einen neuen Raum haben wir noch nicht gefunden. (Wenn ihr einen kennt, bitte gerne melden!). Denn um Räume finden zu können, muss es sie überhaupt erst geben. Und da steht Zürich inzwischen echt schlecht da.

Das aktuelle Angebot? Zu teuer, zu hässlich, zu langfristig:

Wer aktuell auf Raumsuche für sein Kollektiv ist, darf sich zum Beispiel mit solchen lustigen Angeboten beschäftigen: (Quelle: Ronorp)

Von Jahr zu Jahr wird die Raumsuche in Zürich schwieriger. Und eher früher als später kommt dieser Riesen-Frust: WG-Zimmer kosten mittlerweile auf dem freien Markt 1000 Stutz, und du musst fast Glück haben, dass da überhaupt noch ein Wohnzimmer dabei ist. Dasselbe gilt auch für Arbeitsräume, Treffpunkte oder Veranstaltungsorte. Ein einfacher Atelierplatz kostet schnell 300 Stutz oder mehr. Marktübliche Preise, wie sie auf Homegate und Co. zu finden sind, kann man sowieso grad vergessen, wenn man un(ter)bezahlte Arbeit leisten möchte. Ausserdem sind Gewerberäume, die auf kommerziellen Plattformen ausgeschrieben sind, oft nicht nur kostenintensiv sondern schlichtwegs hässlich und nicht unseren Bedürfnissen entsprechend ausgebaut. Wer möchte so arbeiten? Wir bräuchten weniger Ausbaustandart, dafür mehr Gestaltungsfreiheit und günstige Preise.

Dazu kommt, wenn wir uns einen Raum leisten: Laufzeiten und Kündigungsfristen bei Büro- und Gewerberäumen sind oft sehr lang, was eine Langfristigkeit und Sicherheit voraussetzt, die ein Kollektiv nicht riskieren kann. Ausserdem fallen Mietkautionen an, die sich eine NGO nur schwer leisten kann. Wir bräuchten flexiblere Mietverträge.

Die unbefriedigende Lösung namens Zwischennutzung:

Eine Lösung wird uns dann stets genannt: «Macht doch eine Zwischennutzung!» Das heisst: Sucht euch ein Haus, das temporär leer steht, und fragt die Eigentümer:innen, ob sie es euch zu einem fairen Preis überlassen, bis sie es wieder brauchen. Das ist aber gar nicht so einfach, denn typischerweise haben Eigentümer:innen von Leerstand wahnsinnige Angst vor Besetzungen, oder davor, Mieter:innen nicht mehr rechtzeitig wieder raus zu bekommen. Sie entscheiden sich deshalb nicht für uns, sondern entweder dafür, das Haus leer stehen und von einem Sicherheitsdienst bewachen zu lassen, oder dafür, ein professionelles «Leerstandsmanagement» mit der Organisation einer Zwischennutzung zu beauftragen.

Die Urban Equipe beantworten auch deine Fragen!
Im aktivistischen Alltag stellen sich uns viele kleine Hürden und grosse Herausforderungen in den Weg. Wie gut wäre es manchmal zu wissen, wie es andere machen! In der Kolumne «Aktivist:in fragt...» suchen Anna Brückmann, Antonia Steger und Sabeth Tödtli von der Urban Equipe Antworten auf deine konkrete Frage aus deinem aktivistischen Alltag. Dabei schöpfen sie aus dem Erfahrungsschatz des Handbuchs «Organisiert euch!», suchen aber auch neue Infos aus neuen Quellen, besprechen die Themen an den «Misch dich ein!»-Stammtischen , graben in der eigenen Erinnerung und fragen bei anderen Aktivist:innen nach – für dich und dein Engagement! Schick hier deine Frage (anonym) und die Urban Equipe versucht sich in einer Antwort!

In Zürich organisieren darum mittlerweile vor allem folgende Akteur*innen Zwischennutzungen:

  1. Es gibt gewinnorientierte Firmen, die aus Zwischennutzungen ein Geschäft gemacht haben. Das ist zwar sehr bequem, weil das Angebot ist relativ gross und der Service vermutlich ok. Aber das Geschäftsmodell dieser Firmen basiert darauf, Gewinn zu machen mit Zwischennutzungen, die eigentlich als widerständige Praxis entstanden sind. Sie positionieren sich somit (ob gewollt oder ungewollt sei dahin gestellt) als Handlanger von Immobilienentwickler:innen, die auf Leerkündigungen, Totalsanierungen bzw. Neubau setzten, um mit dem Endresultat möglichst hohe Gewinne erzielen. Wer Raum in erster Linie als Ware ansieht, trägt dazu bei, dass Mieter:innen entwurzelt werden, Gentrifizierungsprozesse hochkochen und unsere Städte immer weiter kommerzialisiert werden. Hinzu kommt, dass schon manche dieser Firmen in der Kritik standen, mit Gebrauchsleihverträgen das Mietrecht auszuhebeln. Noch kam dies, soweit wir wissen, nie vor ein Gericht, aber eine Portion Skepsis ist von unterschiedlichen Seiten zu hören. So oder so ist ein solches Geschäftsmodell nicht mit unserem Anspruch an eine sozialverträgliche Stadtentwicklung zu vereinbaren.
  2. Und es gibt die Raumbörse, eine städtische Stelle. Sie organisiert Zwischennutzungen ohne Profit-Interesse, um jungen Menschen günstige Räume zu vermitteln. Eine gute Sache also – doch bei ihnen zum Zug zu kommen ist schwierig, das Angebot ist kleiner als die Nachfrage, und die Angebote richten sich bewusst an Menschen unter 28 Jahren.

Es ist ein Seich.

Sowieso können Zwischennutzungen nicht die Lösung für den grossen Bedarf an bezahlbarem Raum für soziokulturelle und unkommerzielle Projekte sein. Es braucht dafür dauerhaften Raum, und die Politik wäre eigentlich in der Verantwortung, solche Räume zu schaffen oder zu erhalten, zu fördern und zu unterstützen – denn die Städte profitieren enorm von den Projekten, die auf solche Räume angewiesen sind – und profilieren sich auch immer wieder gerne mit ihnen.

Ah ja: Und wer dann doch einen bezahlbaren Ort findet, wo ein Arbeitsraum ohne kommerziellen Druck oder ein kultureller Freiraum ohne Konsumzwang entstehen kann, der:die steht schnell vor den nächsten Herausforderungen: Nämlich dass in der Nutzung, Renovation oder Bebauung solcher Räume meist dieselben Regeln gelten wie für kommerzielle Akteure. Es müssten nun komplizierte Veranstaltungsbewilligungen eingeholt, komplexe Baubewilligungsanträge erstellt, teure Verfahren bewältigt, und langwierige Prozesse geduldig abgewartet werden, obwohl ihr eh nur kurzfristig bleiben könnt – und dies alles in oft ehrenamtlichen Arbeit und doch eigentlich mit der puren Absicht, etwas Lässiges und Gemeinnütziges zu schaffen für das Quartier, für die Jugend, für die Gesellschaft...

Wo es sich lohnt mitzumachen:

Wie ihr merkt, finden wir die Raumfrage in Zürich vielschichtig ärgerlich. Es gibt noch viel zu tun in diesem Bereich! Doch es regt sich auch was:

  1. Die aktuell laufende Petition Platz da! von der Zwischennutzung Park Platz thematisiert Schwierigkeiten rund um die Erhaltung und den Betrieb eines unkommerziellen Raumes in der Stadt Zürich. Jetzt unterschreiben!
  2. In Mieter*innen-Aktionen und -Petitionen wird immer wieder gegen Abbruch oder Leerkündigung auf Vorrat gekämpft. Aktuelle Beispiele gibt es in der Brunau, in der Manegg (www.stahlaa.ch) oder am Sihlquai (Forever Sihlquai!). Meist geht es dabei zwar um Wohnraum, aber die Dynamik, die es zu stoppen gilt, ist dieselbe. Auch wir haben übrigens mit dem Zürcher Mieter:innenverband eine Kampagne gestartet, um gegen Leerkündigungen anzutreten.

Diverse Initiativen setzen sich aktuell für eine sozialverträgliche Stadtentwicklung oder gute Freiräume ein. Beispielsweise die Initiative «Linkes Seeufer für alle», die IG Grubenacker, die Initiative Zukunft Hardturm-Areal und viele viele mehr... Dazu gehören natürlich auch die diversen Haus-Besetzungen, die auf direkte und faktenschaffende Weise den Unmut mit der aktuellen Immobilienpolitik ausdrücken.

Wo es sich lohnt zu suchen:

Ok, schön und gut, aber ihr braucht JETZT SOFORT einen Raum? Um euch nicht komplett hängen zu lassen, hier ein paar Hinweise, wo ihr in Zürich an Räume kommt:

  1. Bestehenden Zwischennutzungen oder Besetzungen bezahlen wenig bis keine Miete und haben deshalb die Möglichkeit, ihre Räume auch für wenig bis kein Geld mit anderen zu teilen. (Sie haben darum auch sehr viele Anfragen – seid ihnen also nicht böse, wenn es mal ein bisschen dauert). Ausserdem läuft das oft auch sehr unbürokratisch, was auch eine nette Abwechslung ist vom üblichen Hussle mit Betreibungsregisterauszug und Mietverträgen und Co. Beispiele sind das Parki, die ZWZ oder der Klimapavillon, eine weitere gute Übersicht bietet die Karte wir-bleiben-alle.ch.
  2. Ähnlich ist es bei sozialen oder alternativkulturellen Einrichtungen: Von der Roten Fabrik über die GZs (Gemeinschaftszentren) bis hin zu Räumen der Kirche habt ihr wohl gute Chancen, bei einer Anfrage für einen low-budget oder gar gemeinnützigen Event auch wenig bis keine Miete bezahlen zu müssen.
  3. Dasselbe gilt vermutlich für Gemeinschaftsräume bei genossenschaftlichen Wohnbauten oder anderen gemeinnützigen Wohnbauträgern. Die müsst ihr halt einzeln abklappern, nachdem ihr z.B. in dieser Liste nach Genossenschaften filtert, oder auf dieser Karte alle violetten Gebäude unter die Lupe nehmt. Dort findet ihr nicht nur Gemeinschaftsräume, die ihr kurzfristig mieten/nutzen könnt, sondern auch Büro- oder Gewerberaum zu fairen Mieten, um euch etwas langfristiger einzurichten.
  4. Faire Mieten gibt es auch bei den Gewerberäumen, Büroräumen oder Lagerräumen der Stadt oder der städtischen Stiftung PWG.
  5. Seitens Stadt gibt es übrigens auch diverse Räume, die Stunden- oder Tageweise gemietet werden können: So zum Beispiel die ziemlich nice Auswahl an Qaurtierräumen, vom Viaduktbogen im Kreis 5 bis zur Spielbaracke beim Xenix, Seminar- oder Partyräume in diversen Zürcher Badis, ausserhalb der Badi-Öffnungszeiten, oder Räume im Jugendkulturhaus Dynamo oder im Zentrum Karla die Grosse.
  6. Auch der Verein OJA (Offene Jugendarbeit Zürich), der in fast jedem Stadtteil lässige Jugendräume hat, vermietet diese zu fairen Konditionen: https://www.oja.ch/raeume-mieten/
  7. Bei der Raumbörse des städtischen Jugendkulturhauses Dynamo gibt es Räume zur Stunden-/Tagesmiete sowie diverse ausgeschriebene Räume und Zwischennutzungen zur längerfristigen Miete. Auch der Newsletter lohnt sich.
  8. Die städtische Raumbörse für Kulturschaffende vermietet städtische Ateliers an hauptberuflich tätige Künstler:innen. https://kultur.raumboerse-zuerich.ch oder zum Newsletter anmelden!
  9. Auf Ronorp, im Immomailing, bei der Kulturbörse und auf ähnlichen Marktplätzen sind immer wieder Atelierplätze oder Räume ausgeschrieben – ein bisschen eine andere Auswahl als auf den grossen Plattformen.

Generelle Tipps zur Raumsuche gibt es ausserdem im Buch «Organisiert euch!» ab Seite 216. Wenn ihr weitere Tipps habt, nehmen wir diese sehr gerne noch hier auf. Schickt uns einfach eine Mail.

Gut Glück uns allen!

Ein:e Aktivist:in fragt
Diese Kolumne steht im Zeichen des Fokusmonats «Misch dich ein!», eine Kooperation von Tsüri.ch und der Urban Equipe, und unterstützt durch die «Gemeinnützige Gesellschaft des Kantons Zürich», durch den Integrationskredit des Bundes im Rahmen des Programm «Citoyenneté – mitreden, mitgestalten, mitentscheiden» sowie durch das Kantonale Integrationsprogramm der Fachstelle Integration Kanton Zürich und den Integrationskredit der Stadt Zürich. Die Equipe wird ausserdem gefördert vom Migros-Pionierfonds, Teil des gesellschaftlichen Engagements der Migros-Gruppe.

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