Ein Ausflug in den Kreis 4: Ferien im eigenen Quartier - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Nico Roos

Computerflüsterer

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19. August 2020 um 08:07

Ein Ausflug in den Kreis 4: Ferien im eigenen Quartier

Wie ist es, das eigene Ex-Wohnquartier als Tourist zu besuchen? Unser Computerflüsterer Nico hat sich getraut, dabei ein berühmtes Wäldchen erspäht, auf die Gleise geguckt und zum ersten Mal am Lochergut Hummus gegessen.

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Dieser Tsüri-Tourist wird gleich zum ersten Mal am Lochergut Hummus essen.

Für diese Serie haben wir alle 12 Stadtkreise besucht, in den Hotels dieser Stadt übernachtet und erkundet, was die Kreise aus den Augen eines Touris so alles zu bieten haben.

Mit einem leichten Surren im Kopf, welches sicherlich noch vom Vorabend-Apéro stammt, betrete ich wie ein Vorbild-Schweizer das Hotel Greulich 5 Minuten nachdem der Check-in begonnen hat. An der Rezeption werde ich freundlich empfangen und nach dem Austausch von ein paar Nettigkeiten, wird mir ein Glas Wasser und Prosecco angeboten. Die Vernunft meldet sich kurz zu Wort, aber meine Hand hat schon dankend den Prosecco angenommen.

Es tut gut, wieder im Kreis 4 zu sein, in welchem sich das Greulich Design- und Lifestyle-Hotel befindet und ich über sechs Jahre gewohnt habe. Es ist ungewohnt, in seiner eigenen Stadt, bzw. seinem eigenen Kreis, Ferien zu machen, besonders wenn man ihn kennt wie seine Westentasche; aber ich lasse mich gerne auf dieses Experiment ein und versuche, mein altes Zuhause für einmal mit anderen Augen zu betrachten.

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Im Innenhof des Hotel Greulich versteckt sich ein Birkenwäldchen.

Von der Rezeptionistin werde ich noch auf das kostenpflichtige und offenbar nicht vegan-friendly Frühstück aufmerksam gemacht und dann mit meinem Zimmerschlüssel in den zweiten Stock geschickt. Beim Gang zum Zimmer sieht man in den wunderschönen Innenhof und das fast schon stadtweit bekannte Birkenwäldchen, welches mir schon von einigen Yoga-Begeisterten, die zwischen den Bäumen ihre Klassen absolvierten, angepriesen wurde. Aber für mehr als einen Schnappschuss habe ich keine Zeit, denn ich muss mein Hotelzimmer beziehen und dann den wohl abwechslungsreichsten Kreis der Stadt erkunden.

«Hotelzimmer» ist jedoch ein starke Untertreibung für die Suite, die eigentlich nichts weniger als eine sehr geräumige, helle und komplett ausgestattete Wohnung ist. Gleich beim Eingang ist ein Bad, das grösser ist als so manches Fumoir in Zürcher Clubs (I’m looking at you, Kauz), vis-à-vis davon das lichtdurchflutete Schlafzimmer mit Bett und Stuhl. Dann endlich sehe ich die gebogene Fensterfront, die ich schon so oft beim Vorbeifahren bestaunt habe. Viele Jahre lang verlief mein Arbeitsweg nämlich entlang der Herman-Greulich-Strasse, an welcher sich das Hotel befindet. Herman Greulich (1842-1925) war übrigens der Gründer der ersten Sozialdemokratischen Partei der Schweiz und ein Vorkämpfer des Schweizerischen Frauenstimmrechts!

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Fensterfront mit wunderbarer Aussicht auf die Strasse, das Bahngleis und den Veloweg.

Ich fühle mich sofort daheim und mache es mir mit meinem Prosecco auf dem Sofa gemütlich, um dann mit befeuchteter Kehle den «Kreis Cheib» zu erkunden. Diesen Spitznamen hat der Stadtkreis Aussersihl bekommen, weil es hier einst Gruben für tote Pferde und Kleintiere gab. Das Wort «Cheib» bezeichnet nämlich Tierkadaver. Der Kreis 4 erstreckt sich auch über eine grössere Fläche, als so manchem Bewohner*in bewusst ist. Er reicht von der Stützliwösch beim Komplex 457 bis zur Sihlpost und von da bis knapp vor den Velotunnel zwischen Wiedikon und Enge. Hier wohnen fast 30’000 Menschen und mit 16.8 Prozent hat der Kreis 4 den geringsten Anteil an Familienwohnungen in der Stadt Zürich.

Ich beschränke mich bei meinem Ferientag aber auf das bekannte Gebiet zwischen Lochergut und Helvetiaplatz. Entlang der gemütlichen Stauffacherstrasse komme ich zur Bäckeranlage «Becki» und werde mit verschiedensten Düften und Musikrichtungen empfangen. Selbst als ich noch um die Ecke wohnte, gab es auf der Bäckeranlage immer etwas zu erleben und etwas Neues zu lernen. So zum Beispiel sind die Statuen gar keine Pferde sondern Zebras. Auch heute gibt es etwas zu lernen: Lehrerin «Becki» fragt: «Wie viele Stadtpolizisten – es sind alles weisse Männer – braucht es, um einen schwarzen Mann zu verhören?» Die traurige Antwort ist leider «sechs».

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Die Polizei macht sich mit solchen Szenen keinen Gefallen.

Beim Lochergut treffe ich meine Freundin – eine aktuelle Kreis 4 Bewohnerin – zum Abendessen. Das Grand Café Lochergut gleich neben dem Coop Lochergut gibt es noch nicht so lange und irgendwie konnte ich ihm nie was abgewinnen. Die Mischung aus Badenerstrasse-Verkehr, Lochergut-Alkis und Coop-Kundschaft hat da sicherlich dazu beigetragen. Aber heute bin ich ja in den Ferien und lasse mich auf neue Sachen ein. Und was für Sachen! Als Vorspeise bekommen wir köstliches Hummus mit veganem Hackfleisch und meine Freundin kann mich nur mit Mühe und Not davon abhalten, den Teller auszuschlecken. Zum Glück kommt der freundliche Service gleich mit Nachschub und serviert uns ein veganes Shakshuka. Dieses kommt mit einem so authentischen Feta daher, dass wir nachfragen müssen, ob wir wirklich die vegane Version bekommen haben.

Zufrieden und gut gesättigt begeben wir uns auf einen Verdauungsspaziergang. Am Bullingerplatz schauen wir dem entspannten Feierabendtreiben des Quartiers zu. Schon oft habe ich selbst auf den warmen Steinen um den Brunnen gelegen und bei einem Bier aus dem Café du Bonheur den Tag, die Woche oder das Jahr Revue passieren lassen. Ich bin überzeugt, dass es in anderen Städten genauso schöne Orte gibt, aber nur gerade jetzt fällt mir auf, wie wohltuend dieser Ort ist und ein*e Tourist*in im Lonely Planet wahrscheinlich vergebens danach sucht.

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Wo einen die Sonne noch lange bauchpinselt: Der Bullingerplatz.

Die untergehende Sonne signalisiert uns aber, dass wir uns auf den Weg zum nächsten Programmpunkt machen müssen. Ich habe Karten für das Open-Air-Kino Xenix reserviert, das zum Saisonabschluss den Film «Brokeback Mountain» zeigt. Obwohl der Film bereits 15 Jahre alt ist, habe ich ihn noch nie gesehen.

Traurig, aber erfüllt machen wir uns auf den Heimweg in unsere ruhige 1-Nacht-Wohnung. Auf dem Weg schauen wir noch kurz beim Fairteiler vorbei, weil das Frühstück im Hotel nicht inklusive ist und das Verhindern von Foodwaste auch in den Ferien nicht vernachlässigt werden sollte.

In den ruhigen Strassen abseits der Langstrasse sehen wir mehrere kleine private Feste von Anwohner*innen. Coronabedingt haben sie ihre Esstische und Stühle auf die Trottoirs rausgestellt und feiern zusammen den Fakt, dass sie jeden Tag im Kreis 4 verbringen können. Oder so ähnlich. Jedenfalls hoffe ich, dass dieses Treiben die Pandemie überlebt.

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Für andere Abfall, für mich die Grundlage für ein tolles Frühstück.

Fazit
Der Kreis 4 ist auch als Tourist ein spannender und unterhaltsamer Ort. Sofern man(n)*frau nicht in einer Touristenfalle landet, kann hier mit den Anwohner*innen gegessen, getrunken und getanzt werden. Manchen mag es zu laut sein, aber dagegen gibt es überall ruhige und erholsame Ecken, an welchen das Stadtleben eine andere Geschwindigkeit hat. Kulinarisch hat der Kreis alles zu bieten, was in Zürich überhaupt angeboten wird und für Ablenkung ist auch während Corona gesorgt. Ein Kreis in dem Ferien nie enden müssen!

Bewertungsraster des Kreises (1 bis 5 Sterne)

Instagramability des Hotels *****

Kriminalität des Kreises **********

Erschlossenheit mit dem ÖV *****

Grösse des Portemonnaies ***

Kulinarische Auswahl *****

«Lebendigkeit» des Kreises *****

Transparenz: Die Übernachtung im Hotel wurde uns auf Anfrage offeriert.

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