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Von Michael Schallschmidt

Praktikant Redaktion

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8. Oktober 2021 um 12:55

Aktualisiert 26.01.2022

«Du kannst als Produzent:in entweder nicken oder den Kopf schütteln»

In unserem Ernährungssystem sind Wertschöpfungsketten häufig undurchschaubar. An der Podiumsdiskussion zur Frage «Wer verdient an unserem Essen?» diskutierten Landwirt:innen und Händler darüber, wer mit welchem Ziel handelt und was wir verbessern können.

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Die Podiumsdiskussion im Kulturpark (Alle Fotos: Ladina Cavelti).

«Wer verdient an deinem Essen?». Auf den ersten Blick sei es eine einfache Frage, um die sich das gleichnamige Podium dreht, sagt Adrian Wiedmer. Er ist Geschäftsführer der «Gebana», einer Firma, die sich auf fairen Handel fokussiert.

Zum Auftakt der Podiumsdiskussion, gibt er dem Publikum einen kurzen Überblick über die Funktionen des Handels: «Er baut zeitliche, räumliche sowie qualitative und quantitative Spannungen zwischen Produzent:innen und Konsument:innen ab», erklärt er. Ein guter Handel könne dabei ineffiziente Vorgänge ausgleichen. «Doch wer handelt mit welchem Ziel und geht das auch fairer?», fragt Wiedmer in die Runde, womit die Diskussion eröffnet ist.

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Von links nach rechts: Vanessa Caravina, Ladina Lötscher, Michael Reichmuth, Tina Siegenthaler, Adrian Wiedmer

«Lohnt es sich überhaupt, mehrere Vertriebswege zu nutzen?», fragt Moderatorin Vanessa Caravina die Teilnehmer:innen. «Der Aufwand ist definitiv höher, aber ein grosses Spektrum an Vertriebswegen bringt auch eine grössere Absicherung mit sich», erklärt Michael Reichmuth.

Er betreibt den Biohof Fluofeld in Oberarth. Der Beeren- und Gemüsebaubetrieb vertreibt seine Produkte über vier Kanäle: Wochenmärkte, Hofläden, andere Bio-Höfe und die Grossverteiler Migros und Coop. «Wenn ein Bereich nicht gut läuft, haben wir dafür immer noch andere Verkaufsmöglichkeiten», erklärt Reichmuth.

Vor allem während der Corona-Pandemie habe sich dies als Vorteil entpuppt, da während dieser Zeit der Direktverkauf an Gastronomiebetriebe zum Erliegen gekommen sei.

Auch Ladina Lötscher, die den Familienbetrieb «Geiss-Pur» im Kanton Graubünden mitverwaltet, organisiert den Verkauf ihrer Produkte über verschiedene Vertriebswege. Der Hof halte Ziegen, Gitzi und Milchkühe. Es handle sich um eine Mischform aus Direktvermarktung, beispielsweise zwischen ihrem Hof und den Käsereien und einer Zusammenarbeit mit grossen Detailhändlern.

Dabei sei es ihr wichtig mit Partner:innen zu arbeiten, die dieselbe Philosophie mit ihr teilen: «Wir erzählen unsere Geschichte und suchen nach passenden Partnern dazu. Wir suchen so lange bis wir jemanden finden, der mit uns nachhaltig arbeiten möchten.» Unter anderem beliefert «Geiss-Pur» unter dem Label «Pro Montana» Ziegen- und Schafskäse an Coop, womit Lötscher bisher gute Erfahrungen gemacht habe.

Wir haben ein Modell entwickelt, das die Konsument:innen und Produzent:innen zusammenführt.

Tina Siegenthaler, Biohof Fondli

Von Grosshändlern abhängig

«Aber wie geht es den anderen bei der Zusammmenarbeit mit den Grossverteilern?», fragt Caravina in die Runde. «Uns geht es an sich gut, aber schlussendlich ist die Wahl des Vertriebsweges nicht mehr so gross, wenn ich kistenweise Gemüse habe und verkaufen möchte», erklärt Reichmuth.

Eine Abhängikeit zu den Grosshändlern sei damit durchaus vorhanden, was sich auch an den Preisverhandlungen zeige: «Du kannst als Produzent:in entweder nicken oder den Kopf schütteln, wenn ein grosser Detailhändler dir einen Preis vorschlägt und das wärs.»

Auf dem Biohof Fondli laufe dies anders, erklärt Tina Siegenthaler. Sie betreibt seit drei Jahren den solidarischen Landwirtschaftsbetrieb. Dabei handle es sich um einen Zusammenschluss von Konsumenten und Produzenten zu einer Genossenschaft, erklärt sie: «Wir bestimmen gemeinsam was wir in welchem Umfang produzieren möchten und es gibt eine Risikoteilung».

Die Kooperation sei ursprünglich durch Konsument:innen entstanden, die sich gefragt hätten, wie es möglich sei, dass in Sachen Ernährung so viel Macht bei so wenig Leuten liege. «Wir haben ein Modell entwickelt, das zumindest die Konsument:innen und Produzent:innen zusammenführt». Weitere Beteiligte an der Wertschöpfungskette wie beispielsweise Samenproduzent:innen beinhalte das dennoch nicht, erklärt sie.

Mit dem Wachstum kommen auch Vorteile

«Ein Kleinbetrieb ist den Grossverteilern viel stärker ausgeliefert», wirft Wiedmer ein, der in der Vergangenheit Erfahrungen mit dem Grosshandel gemacht hat. Aus diesem Grund konzentriere sich die Gebana auch auf den Direkthandel. Ein grösserer Betrieb wie der von Reichmuth habe da bessere Bedingungen in der Zusammenarbeit mit dem Grosshandel, sagt Wiedmer weiter. Der Biohof Fluofeld habe ebenfalls als kleiner Familienbetrieb gestartet, erklärt Reichmuth. Mit dem Wachstum kämen jedoch auch Vorteile: «Wenn wir in einer grösseren Menge produzieren, arbeiten wir auch effizienter.» Dies gelte für alle Absatzkanäle und nicht nur für die Zusammenarbeit mit Grossverteilern.

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Tina Siegenthaler und Adrian Wiedmer diskutieren über den Einfluss der Konsument:innen.

«Welcher Absatzkanal lohnt sich am meisten?», fragt Caravina. «Für einen Salat erhalte ich auf dem Wochenmarkt mehr Geld als von einem grossen Detailhändler», antwortet Reichmuth. Der Direktverkauf sei jedoch deutlich ineffizienter als die Zusammenarbeit mit den Grosshändlern: «Es handelt sich dabei um zwei Extreme. Was besser ist, lässt sich nicht so einfach sagen.»

Ein Grund wieso «Geiss-Pur» auf den Direktverkauf zurückgreift, sei die Philosophie des Betriebes, erklärt Lötscher. «Wir wollten nicht Milch produzieren und Ziegen wie Abfallprodukte handhaben, sondern uns um die Tiere kümmern und nachhaltig produzieren», sagt sie.

Eine solche Arbeitsweise sei in einem genossenschaftlichen Umfeld einfacher zu vermarkten als beim Grosshandel. «Die Strukturen des Marktes sind momentan nicht sinnvoll», sagt Wiedmer. Die Gebana gehe aus diesem Grund mit dem Internethandel wir neue Wege, um die Konsument:innen und die Prozuzent:innen näher zusammen zu bringen.

Produktionsüberschüsse sei natürlich, findet Wiedmer. Aus diesem Grund würde er nicht mit Begriffen wie Food-Waste arbeiten. Der genossenschaftliche Biohof Fondli sei in diesem Bezug ein ideales Modell, fügt Wiedmer an.

Wir sind auf gewisse Anbieter wie Fenaco angewiesen.

Michael Reichmuth, Biohof Fluofeld

«Doch was macht ihr, wenn ihr zu viel Ware habt?» fragt er Siegenthaler. «Wir haben nie zu viel Ware», entgegnet sie. Da der Hof von den Konsument:innen getragen werde, würden sie auch Anspruch auf alle produzierten Nahrungsmittel haben.

Sollte es beispielsweise sehr viel Zucchini geben, dann würden sie das Gemüse einmachen, erklärt sie. «Das ist nicht mehr Angebot und Nachfrage, sondern vielmehr ein Geschenk an die Genossenchaftler:innen», fährt sie fort.

Wichtig sei dabei, die Konsument:innen aufzuklären und sie über die Gründe für Überschüsse oder Ernteausfälle zu informieren. Die Mitglieder der Genossenschaft würden mehrmals im Jahr auch auf dem Hof mitarbeiten, erklärt Siegenthaler weiter.

Häufig würden wir nur an die Zwischenhändler denken, wenn es um die Frage geht, wer am Essen verdient, wirft Caravina ein. Es seien jedoch auch alle Voretappen zu berücksichtigen, die die Höfe beliefern. «Gibt es in diesen Bereichen eine zu grosse Machtkonzentration?», fragt sie in die Runde. «Wir sind auf gewisse Anbieter wie Fenaco angewiesen», antwortet Reichmuth.

Jedoch würden sich die Betriebe in einem freien Markt bewegen und könnten deshalb auch ihre Macht bis zu einem gewissen Punkt ausspielen. Eine zu grosse Machtkonzentration würde Lötscher auf ihrem Hof nicht sehen, da sie nicht sehr stark auf Zulieferer angewiesen ist und mit Genossenschaften als Abnehmer:innen zusammenarbeitet.

Die Lebensmittelpreise seien grundsätzlich sehr tief, findet auch Wiedmer. Gleichzeitig weist er die anderen Teilnehmer:innen darauf hin, dass ihre Betriebe erfolgreich seien: «Ökologisch könnten wir wahrscheinlich noch viel mehr leisten.»

Dafür müssten die Preise für Lebensmittel höher sein, um dies finanziell möglich zu machen. Direktzahlungen vom Bund für nachhaltig geführte Betriebe würden da nicht ausreichen, sagt Wiedmer weiter.

Direktzahlungen vom Bund seien nach Ansicht von Siegenthaler ein Zwischenweg, um Leistungen wie Biodiversität zu vergüten: «Wenn wir jedoch wachsen und effizient werden wollen, bringen wir die beiden Systeme Natur und Wirtschaft nicht zusammen», sagt sie in diesem Zusammenhang.

Wiedmer sieht das Problem auch in der Subvention bestimmter Produkter in der Schweizer Landwirtschaft. «Auf diese Weise schaffen wir einen unfairen Wettbewerb gegenüber dem globalen Süden», hält er fest.

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Ladina Lötscher und Michael Reichmuth.

Vertrieb auf verschiedenen Kanälen

«Welche Vertriebsart würdest du in Zukunft für deine Produkte wählen?», fragt die Moderatorin in die Runde. Lötscher sieht in dem Genossenschaftsmodell eine geeignete Lösung: «Auf diese Weise bleibt der Betrieb in den Händen der Produzent:innen und auch der Käsereien, die unsere Milch verarbeiten».

Für Reichmuth bleibt ein Vertrieb auf verschiedenen Kanälen die beste Lösung. «Ich habe genauso sehr Freude daran, meine Produkte auf dem Markt zu verkaufen wie auch in grossen Mengen an die Detailhändler. Siegenthaler wiederum wünscht sich mehr Zusammenarbeit mit den Konsument:innen: «Mit Genossenschaften haben wir die Möglichkeit, unser Ernährungssystem zu verändern.»

Die Anbieter haben auch eine Verantwortung.

Adrian Wiedmer, Gebana

Die Konsument:innen hätten bereits jetzt einen grossen Einfluss auf das Ernährungssystem, findet Reichmuth: «Wenn wir keine nicht saisonalen Produkte mehr einkaufen, dann nehmen die Detailhändler das auch nicht ins Sortiment.» Es gebe ihm auch Sicherheit, mit den Grosshändlern zusammen zu arbeiten, da eine gegenseitige Abhängigkeit bestehe.

«Die Anbieter haben aber auch eine Verantwortung», entgegnet Wiedmer. Da die Konsument:innen häufig nicht die Zeit haben sich ausreichend über alle Produkte zu informieren, weswegen sich die Detailhändler auch mehr für ein nachhaltiges Sortiment engagieren müssten: «Die Ansicht, dass der Markt es selber richtet, stimmt schon. Aber das reicht nicht.» Siegenthaler stimmt Wiedmer in diesem Zusammenhang zu: «Als Konsument:in kann man sich nicht so viel informieren und nicht so viel Einfluss nehmen, dass sich am System wirklich etwas ändert.»

Aus dem Publikum kommt die Frage, ob es sinnvoll ist Lebensmittel zu retten oder es bessere Methoden gäbe, um den Anteil an überschüssigen Nahrungsmitteln zu verringern. Das Problem liege im System, mit dem die Grossverteiler und die Produzent:innen arbeiten, findet Reichmuth: «Wir sind darauf ausgelegt, immer zu viel zu produzieren.

Die Grosshändler interessiert es nicht, wenn sie Überschüsse haben. Sollte es jedoch mal zu wenig Lebensmittel geben, ist das sofort ein Problem.» Aus diesem Grund fände tendenziell auch eine Überproduktion statt. Eine engere Zusammenarbeit mit den Konsument:innen sei eine Lösung, sagt Wiedmer. «Überschüsse können auch von Natur aus entstehen. Um Food-Waste zu verhindern, müssen wir unser Konsumverhalten verändern.»

Damit geht die Podiumsdiskussion und auch der Fokusmonat Stadt-Landwirtschaft zu Ende. Die ganze Diskussion kann man sich hier als Video anschauen. Am 17. November startet der nächste Fokusmonat, der sich dem Thema «Netto-Null» widmet.

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