Dominik Waser: «Grosse strukturelle Veränderungen brauchen immer mehrere Anläufe» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Steffen Kolberg

Redaktor

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14. Februar 2022 um 15:35

Aktualisiert 14.02.2022

«Grosse strukturelle Veränderungen brauchen immer mehrere Anläufe»

Bei der gestrigen Stadtratswahl verpasste Dominik Waser (Grüne) den Einzug in die Regierung deutlich. Was ihm am nächsten Tag jedoch mehr Sorgen macht, ist das schwache Abschneiden der Linken bei den Gemeinderatswahlen.

Dominik Waser am grauen Nachwahlmorgen. (Foto: Alice Britschgi)

Dominik Waser sitzt vor Doppio und Gipfeli und wird langsam munter. Lieber wäre er noch etwas liegen geblieben an diesem Montagmorgen, gibt er zu. In der Nacht zuvor hatte er sich nochmals gemeldet, um sich zu vergewissern, dass das Gespräch wirklich stattfindet. Es habe mehrere Medienanfragen im Voraus gegeben, erzählt er, doch die Journalist:innen hätten im Laufe des gestrigen Abends alle wieder abgesagt. Nun treffen wir uns in einem Café im Kreis 4 zusammen mit seiner Kampagnenleiterin Ulla Blume.

Die letzte Nacht hat Waser auf der Wahlparty der Grünen verbracht, später mit seinen Kampagnenhelfer:innen, «irgendwann sind wir dann bei der SP gelandet.» Es war Wahlsonntag. Dominik Waser hatte mit dem Slogan «Ich will Zukunft» für einen dritten Stadtratssitz der Grünen und zugleich für einen ersten Stadtratssitz der Jungen kandidiert. Denn die seien in der Politik völlig unterrepräsentiert, so seine Überzeugung.

«Man hat ja vorher schon gewusst, dass es gut sein kann, dass es nicht klappt.»

Dominik Waser

Das Rennen der Alten

Ziemlich schnell war an diesem Sonntag jedoch klar, dass das Rennen um den neunten Stadtratssitz zwischen Walter Angst von der AL und den beiden FDP-Stadträten Baumer und Leutenegger stattfinden würde. Zwischen zwei Grauhaarigen und einem Haarlosen also, alle weit jenseits der 40. Waser musste trotzdem den Rest des Tages durchstehen, um am Abend im Stadthaus vor die Kameras und Mikrofone zu treten. «Klar, es war schon ein Aushalten», erzählt er: «Aber man hat ja vorher schon gewusst, dass es gut sein kann, dass es nicht klappt.» Schlussendlich habe man den Bürgerlichen aber etwas Angst machen können. Und er habe immerhin über 35’000 Stimmen erhalten, «mit meinen anvisierten 40’000 am Anfang der Kampagne lag ich also gar nicht so schlecht.»

Was ihn jedoch weit mehr beschäftige als sein eigener Nicht-Einzug in die Regierung, sei das schlechte Abschneiden der Linken bei den Gemeinderatswahlen. Auch wenn die Grünen zwei Sitze dazugewonnen hätten, könne man angesichts der Verluste von AL und vor allem SP in seinen Augen nicht von einem Gewinn reden: «Mit dieser knappen linken Mehrheit müssen wir jetzt immer dort präsent sein», analysiert er, und «wir» meint auch Waser selbst. Denn auch wenn es nicht für den Stadtrat gereicht hat, in den Gemeinderat wurde er gestern gewählt. Damit kann er ab jetzt die politische Erfahrung sammeln, deren Mangel ihm die gegnerische Seite im Wahlkampf immer wieder vorgehalten hatte.

Das Phänomen des Adultismus

Überhaupt habe der Fokus auf sein Alter und die angebliche politische und berufliche Unerfahrenheit genervt, so der 24-Jährige: «Das ist ein Phänomen ähnlich dem Sexismus, man könnte es Adultismus nennen: Dass alte Menschen den Jungen sagen, sie könnten das nicht und glauben, ihnen zeigen zu müssen, wie es läuft.» Was ihn auch nerve, sei das Bild der Bürgerlichen, die Linken seien arbeitsscheu: «Ich habe eine Lehre gemacht und bin Geschäftsführer eines Unternehmens. Bei der NZZ musste ich darauf drängen, dass sie das erwähnen. Bei einem Michael Baumer von der FDP wird hingegen lobend hervorgehoben, dass er Führungsqualitäten habe, weil er ein Unternehmen leitet. Dabei ist er der einzige Angestellte in seinem Unternehmen.»

Waser und seine Kampagnenleiterin Blume haben mit dem Slogan «Ich will Zukunft» versucht, den angeblichen Alters- und Erfahrungsnachteil umzumünzen und die Jugend zu mobilisieren. Ob das geklappt hat, ist noch nicht klar. Zwar stieg die Wahlbeteiligung gegenüber der letzten Wahl, doch ob die Beteiligung besonders unter den Jungen zunahm und ob das wiederum Waser zugute kam, müssen die Auswertungen der Nachwahlbefragungen erst noch zeigen.

«Es ist jetzt gesetzt, dass die Jungen mitreden müssen.»

Dominik Waser

Permanenter Druck auf die Politik

Fest steht aber: Die Kampagne selbst hat viele junge Menschen als Unterstützer:innen mobilisiert. Sein Ziel sei jetzt, mit deren Stimmen einen permanenten Druck auf die Politik auszuüben, erklärt der Grüne, der aus der Klimastreik-Bewegung kommt: «Wir wollen einen Planeten, der auch noch in 50 Jahren bewohnbar ist, und für dieses Ziel passiert auch in Zürich noch zu wenig.» Für ihn sind die Stadtratswahlen trotz allem ein Zeichen, dass die Jungen mit ihren Anliegen Gehör finden. Das zeige seine klare Positionierung vor FDP-Kandidatin Rueff-Frenkel genauso wie diejenige der Kandidatin der Jungen Grünliberalen Serap Kahriman vor den beiden SVP-Kandidaten. «Es ist jetzt gesetzt, dass die Jungen mitreden müssen», analysiert er: «Grosse strukturelle Veränderungen brauchen immer mehrere Anläufe, und das war einer der ersten.»

Er mache heute mal nicht so viel, meinte Dominik Waser am Anfang des Gesprächs. Nach Kaffee und ersten Wahlanalysen wirkt er aber schon wacher. «Wer weiss», meint er zur Verabschiedung halb im Scherz, «vielleicht wird heute schon die nächste politische Kampagne geplant.»

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