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8. Mai 2020 um 04:00

Kurzarbeit & Dividenden: Die grosse Zürcher Analyse

Das Ausschütten von Dividenden bei Kurzarbeit bleibt eine moralische Frage: Das Parlament wollte diese Praxis nicht verbieten, obwohl der Bund weitere Steuer-Milliarden in die Arbeitslosenkasse pumpt. Diese Recherche zeigt, welche der 51 börsennotierten Unternehmen mit Sitz im Kanton Zürich Dividenden ausschütten, obwohl sie Kurzarbeitsgelder beziehen; sortiert nach Branche und Grösse.

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Foto: Sunrise

Eine Recherche von Lara Blatter, Rahel Bains, Simon Jacoby

Darf eine Firma, die für ihre Mitarbeitenden Kurzarbeitsgelder bezieht, gleichzeitig Dividenden ausschütten? Diese Frage wird seit Wochen heiss diskutiert. Beinahe hätte das Parlament diese Praxis in der Corona-Sondersession verboten: Der Nationalrat hat eine entsprechende Motion der SP-Nationalrätin Mattea Meyer angenommen, der Ständerat versenkte die Vorlage. Politisch ist das Thema damit vom Tisch. Linke Politiker*innen sind enttäuscht, die Bürgerlichen freuen sich. Ebenso Wirtschaftsverbände und grosse Unternehmen.

Ein solches Beispiel ist das Telekommunikationsunternehmen Sunrise, das für die Mitarbeiter*innen in den Shops Kurzarbeit eingeführt und im April Dividenden ausgeschüttet hat. Die Firma freut sich über den Entscheid des Ständerats: Die beantragte Kurzarbeit betrage lediglich einen tiefen einstelligen Millionenbetrag, die Dividende hingegen 198 Millionen Franken, so Therese Wenger von der Medienstelle. Sunrise hätte also auch Gewinn ausschütten können, ohne Kurzarbeitsgelder zu beziehen.

«Der Vorwurf, dass Firmen dank der Kurzarbeitsentschädigung hohe Dividenden auszahlen können, ist somit bei Sunrise absurd. Der Ständerat hat vernünftigerweise die paradoxe Entscheidung des Nationalrates korrigiert. Sunrise lässt sich die unternehmerische Freiheit von der Politik nicht nehmen und hätte ihre Aktionärinnen und Aktionäre – darunter viele Pensionskassen und Einzelpersonen – ohnehin nicht im Stich gelassen.»

Das Prinzip «Kurzarbeit»
Schweizweit sind 1.91 Millionen Menschen in 187’000 Unternehmen für Kurzarbeit angemeldet, wie das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) am 4. Mai mitteilte. Das entspricht rund einem Drittel der Firmen und der Arbeitnehmenden.

Die Kurzarbeit ist ein wirtschaftspolitisches Instrument. Es soll verhindern, dass bei vorübergehenden Krisen der Wirtschaft Arbeitsplätze abgebaut werden. Die wegfallenden Löhne der betroffenen Angestellten werden also zeitlich befristet und zu 80 Prozent von der Arbeitslosenkasse (ALV) übernommen.

Dies reicht jetzt aber nicht aus, um das Loch zu stopfen. Deshalb springt der Staat mit Geld aus dem ordentliche Bundeshaushalt, also mit Steuergeldern, ein. Bereits 6 Milliarden Franken hat der Bund in die Kurzarbeit einbezahlt. Das Seco schätzt, dass alleine im Monat April die Ausgaben für Kurzarbeit sich zwischen 5 bis 7 Milliarden Franken bewegen. Eine Zusatzfinanzierung von weiteren 14 Milliarden Franken ist laut Seco geplant. Damit würde der Bund dieses Jahr 20 Milliarden in die ALV einschiessen.

Im Zuge dieses Rechercheprojekts wurden alle börsennotierten Unternehmen mit Sitz im Kanton Zürich untersucht: Wer schüttet Dividenden aus und bezieht gleichzeitig Kurzarbeit? Welche Branche ist am häufigsten vertreten? Sind es die umsatzstarken Firmen oder jene mit den meisten Mitarbeiter*innen?

Die 51 Unternehmen mit Sitz im Kanton Zürich, deren Aktien an der Börse gehandelt werden, sind auf folgende Branchen verteilt.

Banken und Versicherungen ist die mit Abstand am besten vertretene Branche: Neun Aktiengesellschaften zählen dazu. Kein Wunder, Zürich ist mit dem Paradeplatz der Hotspot der Schweizer Finanzszene und die Heimat von Credit Suisse, Zurich Versicherungen und der Bank Vontobel. Die Maschinenindustrie folgt mit fünf Vertretungen, die Immobilienbranche mit drei, auf die restlichen Branchen entfallen jeweils ein, zwei oder drei Firmen.

Von diesen 51 Aktiengesellschaften haben gemäss Recherchen wegen der Corona-Krise 21 Unternehmen Kurzarbeit angemeldet. Dies ist über dem landesweiten Durchschnitt von knapp einem Drittel aller Firmen.

Bei den Dividendenausschüttungen ist der Anteil etwas höher, 32 der AGs haben in den vergangenen Wochen Teile des letztjährigen Gewinnes an die Aktionär*innen ausgeschüttet, von 6 Firmen fehlen die Daten.

Eine Überschneidung von Kurzarbeit und Dividenden gibt es bei 12 börsennotierten Unternehmen mit Sitz im Kanton Zürich. Namentlich sind dies:

  1. TX Group; Tamedia, Goldbach, 20 Minuten und TX Markets
  2. NZZ Mediengruppe, Neue Zürcher Zeitung
  3. Implenia; Baufirma
  4. Orior AG; eine international tätige Schweizer Food and Beverage Gruppe
  5. Adecco Group; Vermittlung Temporärstellen
  6. Burkhalter Holding AG; Anbieterin von Elektrotechnik-Dienstleistungen am Bauwerk
  7. Sunrise Communications; Mobilfunkanbieterin
  8. Kardex AG; Unternehmen im Bereich Lagertechnik
  9. Orell Fuessli AG; Buchladen, Verlagswesen
  10. Bucher Industries; Unternehmensgruppe in der Maschinenindustrie
  11. Conzzeta Gruppe; Industriegruppe
  12. Lindt & Sprüngli; Schokolade

Zwei gängige Arten, Unternehmen nach Grösse zu sortieren, sind die Anzahl Mitarbeitenden und der Umsatz. Die 51 untersuchten Firmen sehen so aus.

Unternehmen mit null Mitarbeitenden sind Beteiligungsfirmen, welche nur aus einem Verwaltungsrat bestehen. Folgende Firmen haben keine Daten geliefert: Elma Electronic AG, dorma + kaba, Kuros Bioscience, USI Group Holdings.

Um diese Kennzahlen interpretieren und mit Kurzarbeit und Dividenden in Verbindung bringen zu können, werden die 10 grössten, die mittleren und die 10 kleinsten Firmen in je eine Gruppe eingeteilt.

  1. Von den 10 kleinsten Unternehmen nach Anzahl Angestellten bezieht keines Kurzarbeit, insofern gibt es keine Überschneidung. Allerdings fehlen die Daten von Myriad Group und Züblin Immobilien.
  2. In der mittleren Gruppe gibt es 9 Unternehmen, welche Dividenden ausschütten und gleichzeitig Kurzarbeit beziehen. Namentlich: Orell Füssli, Orior, Sunrise, Kardex, Burkhalter Holding, TX-Group, Conzzeta Gruppe, NZZ und Implenia. Die Zahlen von Crealogix fehlen.
  3. Von den grössten zehn zahlen drei Aktiengesellschaften Dividenden aus, während sie Kurzarbeitsgelder beziehen: Lindt & Sprüngli, Adecco und Bucher Industries. Hier fehlen die Angaben von Swiss Re, DKSH Holding AG.

Grösse nach Umsatz

Es lohnt sich kaum, eine Grafik mit allen Firmen und deren Umsätzen zu machen: Die Credit Suisse setzte ein Vielfaches aller anderen Firmen um, weshalb die Grafik unübersichtlich würde. Dennoch lassen sich Schlüsse ziehen, wenn die Aktiengesellschaften nach Umsatzgrösse sortiert werden:

  1. Bei den Firmen mit den kleinsten Umsätzen gibt es keine Überschneidungen von Kurzarbeit und Dividenden.
  2. In der Mitte der Umsätze finden sich elf Unternehmen, welche Mitarbeitende auf Kurzarbeit gesetzt haben und die Aktionär*innen mit Dividenden belohnen: Orell Fuessli AG, Kardex AG, Burkhalter Holding AG, Orior AG, TX-Group, NZZ, Conzzeta Gruppe, Sunrise Communications, Bucher Industries, Lindt & Sprüngli, Implenia.
  3. Bei den grössten Unternehmen ist es nur die Adecco Group, welche Kurzarbeit bezieht und Dividenden auszahlt. Allerdings fehlen die Angaben von Swiss Re und DKSH Holding.

Keine Kleinen, fast keine Grossen, viele Mittlere

Bei 12 von 51 börsennotierten Aktiengesellschaften mit Sitz in Zürich überschneidet sich den Bezug von Kurzarbeitsgeldern mit dem Ausschütten von Dividenden. Allerdings sind diese zwölf Unternehmen nicht gleichmässig verteilt, wenn es nach Anzahl Mitarbeitenden, nach Umsatz oder nach Branche geht. In der Branche der Banken und Versicherungen lässt sich kein einziger Fall finden: Die Zurich Versicherung, die Credit Suisse und Konsorten verspüren keine Corona-Krise, benötigen folglich auch keine Kurzarbeit. Diese Banken und Versicherungen sind auch meist die grössten Unternehmen, wenn es nach Mitarbeitenden und Umsätzen geht.

Bei den kleinsten findet sich keine einzige Firma, welche Gewinne auszahlt, aber Gelder aus der Arbeitslosenkasse bezieht.

Die Gruppe der mittleren Unternehmen, sowohl was den Umsatz als auch die Anzahl Mitarbeitenden betrifft, hat die höchste Konzentration an Kurzarbeit und Dividenden. Darunter finden sich bekannte Firmen wie Sunrise, Orell Füssli, NZZ, Implenia, Lindt & Sprüngli oder auch die TX-Group. Wie eingangs geschrieben sieht Sunrise diese Vorgehen nicht als moralisch fragwürdig, bei Orell Füssli klingt es ähnlich: Das Unternehmen habe eine solide Liquidität und habe darum Dividenden ausgeschüttet. Implenia wiederum lässt ausrichten: «Die Dividende für das Geschäftsjahr 2019 wurde von unserer Generalversammlung beschlossen, bevor wir Kurzarbeit eingesetzt haben.»

Verärgerte Medienstellen

Ob Dividenden ausgeschüttet werden, ist bei Firmen, deren Aktien an der Börse gehandelt werden, öffentlich ersichtlich. Die Kurzarbeitsfrage gestaltet sich etwas komplizierter. Der Staat kennt die 187'000 Unternehmen, die Kurzarbeit angemeldet haben. Mit Hilfe des Öffentlichkeitsgesetzes versuchen wir momentan beim Kanton diese Liste zu bekommen. Noch haben wir nichts gehört.

«Haben Sie Kurzarbeit eingeführt?» Diese Frage beantworten nicht alle Firmen gleich gerne. Pressesprecher*innen hängen mitten im Gespräch das Telefon auf, Anfragen gehen vergessen, Antworten werden so verschwurbelt formuliert, dass sie nicht mehr viel aussagen. Andere jedoch geben gerne und bereitwillig Auskunft. Bis zum heutigen Stand fehlen Antworten zur Kurzarbeit von Swiss Re, DKSH Holding AG, Crealogix, Myriad Group, USI Group Holdings, Züblin Immobilien. Sollten weitere Antworten eintreffen, wird die Liste aktualisiert.

Dividenden trotz Kurzarbeit?
Kurzarbeit ermöglicht zahlreichen KMU das Überleben und sichern tausende Arbeitsplätze. Das ist gut. Doch davon profitieren auch solche, die es nicht nötig hätten: Grosse Unternehmen, welche ihre Aktionär*innen mit Corona-Steuergeld bedienen. Der Staat toleriert das; es sei eine «moralische Frage». Wir finden: Es ist vor allem eine Frage, die eine gründliche Recherche verdient. Mit dem Recherche-Crowdfunding haben wir bisher 17'600 CHF gesammelt. Weitere Inhalte werden folgen. Willst du die weitere Recherche ermöglichen? Hier gehts zum Crowdfunding.

Diese Recherche wurde ermöglicht durch «investigativ.ch: Recherche-Fonds der Gottlieb und Hans Vogt Stiftung».

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