Die Smart City Pitch Night: Von Utopie bis Dystopie war alles dabei - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Seraina Manser

Community-Verantwortliche

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13. Juni 2018 um 14:42

Aktualisiert 26.01.2022

Die Smart City Pitch Night: Von Utopie bis Dystopie war alles dabei

Gestern lud Tsüri.ch zum Start-Event für das erste Civic Media Projekt «Smart Tsüri». An der Pitch Night im Kosmos präsentierten sieben Expert*innen ihre Visionen einer Smart City: Von Utopie bis Dystopie war alles dabei.

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Alle Bilder von Laura Kaufmann.

Unsere Anspannung vor dem Auftaktevent zum ersten Civic Media Projekt «Smart Tsüri» war gross. Das Konzept der Pitch Night war einfach: Sieben Expert*innen bekommen jeweils sieben Minuten Zeit, um ihre Ideen, Wünsche und Bedenken zu «Smart City» dem Publikum zu pitchen. Nach jedem Pitch würden drei Expert*innen des Mitorganisators Nextzürich die Redner*innen mit kritischen Fragen löchern. Diese kommen von den Expert*innen selbst oder werden per Twitter und über den Facebook-Livestream von Zuschauer*innen eingesendet. Zehn Minuten vor Beginn war alles parat – ausser dem Publikum. Im Forum des Kosmos waren kaum mehr als 15 Menschen anzutreffen, die Aufregung bei uns greifbar. Sie war aber unbegründet, denn kurz nach 19 Uhr füllte sich der Raum wie durch Zauberhand bis auf den letzten Stuhl und Tribünenplatz (circa 300 Personen), sodass ein Teil der Leute im Stehen zuschauen musste. Es konnte losgehen. Nachfolgend lassen wir die sieben Pitches nochmals Revue passieren.

1. Anna Schindler, Direktorin der Stadtentwicklung Zürich: Im Zentrum steht der Mensch

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Anna Schindler, Direktorin Stadtentwicklung Stadt Zürich

Im Zentrum von Smart City stünde nicht die technologische Entwicklung, sondern der Mensch, erklärt Anna Schindler gleich zu Beginn. Die Smart-City-Definition der Stadtentwicklung Zürich lautet deshalb: «Smart City bedeutet Menschen, Organisationen oder Infrastrukturen so zu vernetzen, dass sozialer, ökologischer oder ökonomischer Mehrwert geschaffen wird.»
Ein Anschauungsbeispiel liefert Schindler gleich nach, indem sie eine App der Stadt Chicago vorstellt. Diese weist die Nutzer*innen darauf hin, wann die Strassen in ihrem Quartier geputzt werden, damit sie ihr Auto rechtzeitig umparkieren können (Anm. d. Red.: Street Sweeping Chicago). Die App wurde auf Basis öffentlicher Daten der Polizei programmiert. Diese war darüber weniger erfreut, weil Teile der Einnahmen durch Parkbussen dadurch wegfielen.

Als Beispiel für eine solche Dienstleistung in Zürich erwähnt Schindler das Bürgerkonto, das allerdings erst in Entstehung ist. Darin sollen die Bürger*innen vom Umzug bis zur Steuererklärung alles online erledigen können. Auf Nachfrage kann sie als aktuelles Beispiel nur «Züri-wie-neu» nennen, das schon seit 2013 online ist. Alles andere sei erst noch in Erarbeitung und noch nicht kommunizierbar.

Fazit: Anna Schindler fand klare Worte für die Projekte anderer Städte, ging es jedoch um die eigene, blieb sie erstaunlich schwammig. Es gibt in Zürich wohl noch viel zu tun in Sachen «Smart City» und dass viel im tun ist, hat sie deutlich gemacht.

2. Flurin Hess vom Think-Tank Dezentrum: Wenn Technologie sich selbst gehört

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Ozan Polat (links) mit dem Satelliten und der Redner Flurin Hess

Weil der angekündigte Redner David Simon leider verhindert ist, übernimmt Flurin Hess kurzfristig seinen Part.
Die Hypothese des Dezentrum lautet: «Auf die Digitalisierung folgt technisch eine Dezentralisierung, nicht nur die IT und die Finanzen werden davon betroffen sein, sondern auch wir als Gesellschaft.» Ausgehend von dezentralen Technologien kündigen sich neue Organisationsformen an, so können Mittelsmänner ausgelassen und ohne zentrale Kontrollinstanzen Dinge organisiert werden.
Die Leute vom Dezentrum beschäftigen sich mit Fragen wie: Was passiert, wenn Häuser und Fahrzeuge sich selbst gehören? Was heisst das, wenn sich Technologie selbst gehören kann, gehört sie allen? Oder gehört sie sich alleine? Solche Fragen will das Dezentrum multidisziplinär erforschen.

Fazit: Nach vier von sieben möglichen Minuten ist der Spass schon vorbei, es ist auch ein hartes Brot, so kurzfristig einspringen zu müssen. Für den*die Normalbürger*in tönte das alles noch ziemlich abgefahren und kaum greifbar. Da hilft auch der eigens mitgebrachte Satellit nicht viel weiter. Der Tsüri.ch Artikel über das Dezentrum kann aber vielleicht ein paar der aufgekommenen Fragen klären.

3. Gonzalo Casas und «The Things Network»: Gratis Internet für alle (Sensoren)

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Gonzalo Casas von «The Things Network»

Gonzalo Casas arbeitet am Tag für die ETH und in der Nacht für das «Citizen Network» namens «The Things Network». Er beginnt seinen Pitch mit der Aussage, was eine Smart City nicht sei. «Sie sei kein Überwachungsstaat und auch nicht das». (Zeigt die Werbung von Julius Bär):

Eine Smart City ist für den Softwareingenieur viel mehr eine Stadt, die die kollektive Intelligenz ihrer Bewohner*innen nutzt. Das «Things Network», welches Casas im Raum Zürich vorantreibt, ist «eine globale Community, die eine frei zugängliche Infrastruktur aufbaut, um ein crowd-sourced Netzwerk für das Internet der Dinge voranzutreiben». In 95 Ländern und 600 Städten arbeiten 40’000 Entwickler*innen an diesem «Things Network». Konkret geht es ihnen darum, kostenloses Wifi für Sensoren zur Verfügung zu stellen; jede*r sollte sich gratis in bereits zur Verfügung gestellte Netzwerke einloggen können.

Fazit: Im einzigen Pitch auf Englisch verschonte uns der Vortragende mit technischen Details, blieb aber auch sonst eher an der Oberfläche.

4. Architekturtheoretiker Hans Frei: «Je smarter, desto schlimmer»

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Der Architekturtheoretiker Hans Frei

Der Architekturtheoretiker wollte länger als sieben Minuten reden und zuerst gar nicht mitmachen, weil er schon zu alt sei. Er hat es dann doch getan – und überschreitet die abgemachte Zeit nur um Minuten. Dabei zeichnet er eine düstere Vision und fasst Auffassung des amerikanischen Theoretikers Benjamin H. Bratton von Smart Citys wie folgt zusammen:

Smart Citys sind...

  1. ... nicht an ihrer Gestalt erkennbar. Architektur ist nur noch fürs Gemüt. Sie hätten keinen Ausdruck mehr.
  2. ... Dienstleistungsbetriebe, es geht vor allem um Komfort und Sicherheit für die Bürger*innen. Es entsteht eine Isolation, weil alles auf das Wohlbefinden des*der Einzelnen hinausläuft.
  3. ... erweiterte Infrastrukturanlagen.
  4. ... ein gefundenes Fressen für IT-Unternehmen. (Big Data = Big Business)
  5. .... Black Boxes: Die gesammelten Datenmengen lassen sich nicht kontrollieren. Es bleibt dem Zufall überlassen. Was wird die künstliche Intelligenz entwickeln?
  6. .... grenzen- und massstabslos: Für die Daten gibt es keine Begrenzung mehr. Der ganze Planet ist zum Einflussbereich geworden. Die Grenzen zwischen öffentlich und privat werden aufgelöst.

Fazit: Hans Freis kritische Ausführungen waren ein guter Gegenpol zu den vorherigen Pitches und zu alt ist er auf keinen Fall!

5. Heinz Vögeli von der «Denkfabrik Mobilität» : Überkapazitäten im ÖV reduzieren

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Heinz Vögeli von der Denkfabrik Mobilität

Heinz Vögeli befasst sich mit der Zukunft der Mobilität. Er spricht vom «Verkehrslittering»: Während Verschwendung von Essen schon lange ein gesellschaftliches Thema sei, rede niemand über die Verschwendung von Mobilität. Heute gibt es 70 Prozent ungenutzte Kapazität im öffentlichen Verkehr und wir alle müssen dieses ausschweifende Verhalten mit unseren Steuern bezahlen. Der öffentliche Verkehr soll effizienter werden. Beispielsweise sollten um Mitternacht keine 43 Meter lange, leere Trams durch die Stadt fahren. Das Ziel ist es, den ÖV besser nutzen und Überkapazitäten reduzieren. Er wünscht sich eine Vernetzung von allen Mobilitätsformen: Heute bräuchten wir viele verschiedene Apps, um alle Angebote aufs Handy zu holen. Beim Essen oder bei den Hotels funktioniert diese Bündelung verschiedener Anbieter bereits, warum nicht beim ÖV?

Fazit: Heinz Vögeli weiss, wovon er spricht, war er doch 35 Jahre bei der VBZ tätig. Bildhaft illustrierte er seine Ideen. Erfrischend klar fokussierte er sich nur auf eine Nachricht: Der ÖV solle effizienter genutzt werden.

6. Andreas Tschammer-Osten von Losinger Marazzi: Green City und auch ein bisschen Screen City?

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Andreas Tschammer-Osten von «Losinger Marazzi»

Andreas Tschammer-Osten stellt die «Green City» in der Manegg vor, als Beispiel, wie es später überall in der Stadt sein könnte. Die «Green City» hat:

  1. ein smartes Energienetz: Alle Gebäude sind direkt miteinander verbunden und tauschen ihre Energie aus. 100 Prozent der Energie wird vor Ort hergestellt u.a. mit Photovoltaik-Anlagen auf den Dächern.
  2. eine App für die Bewohner*innen, wo sie sich austauschen können: Sie leihen sich darüber Bohrmaschinen oder Küchengeräte aus, sehen darauf aber auch ihren Energiebedarf.
  3. 0.7 Autoparkplätze und drei Veloparkplätze pro Wohnung

Die kritische Frage aus den Nextzürich-Reihen lautet: Wem gehören die Daten in der «Green City»? Seine Antwort: «Die Zellen übermitteln den Energieverbrauch auf die App, sie sind auf dem App Provider gespeichert und gesichert. Die Nutzung erfolgt nur über Zustimmung der Bewohner*innen. 97 Prozent der Bewohner*innen nutzen das App, die anderen wollen nicht teilnehmen.»
Eine Rückverfolgung des Energieverbrauchs auf eine Wohnung sei nicht möglich: Im 2000-Watt-Areal wird alle vier Jahre der Verbrauch über das gesamte Areal bilanziert.

Fazit: Der Pitch klang mehr wie eine Werbeveranstaltung für das Green City Areal, es war dennoch spannend einen Einblick zu bekommen.

/ Collegium Helveticum: «Städte sind Schwämme».

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Prof. Dr. Monika Dommann von der Universität Zürich

Wie ist der Blick einer Historikerin auf die Smart City?

Eine Zusammenfassung in Zitaten:

  1. «Ich stehe Smart City unaufgeregt gegenüber, aus dem Trend geht nicht das hervor, was die Initiatoren planten.»
  2. «Städte sind Schwämme, sie saugen Menschen auf.»
  3. «Auch wenn wir erst spät von Digitalisierung zu reden angefangen haben: Die Rechner sind schon lange mitten unter uns. 1970 wurde das erste Rechenzentrum der ETH gebaut.»
  4. «Städte sollen wie öffentliche Schwimmbäder sein: Es gibt keine Standesgrenzen, jeder Neuling ist sofort integriert.»
  5. «Städte sollen immer unvollständig bleiben. Neben den grossen Lücken braucht es Visionen für das Unzeitgemässe. Sie sollen Plätze offen lassen für die Fantasie der Bewohnerinnen, Verbindungen ermöglichen, Obsessionen und Leidenschaften unterstützen.»
  6. «Städte sind Netze, aber weit mehr als ein Netz aus Switch-Kabeln, es sind die sozialen Banden der Bewohner*innen und jener, die noch kommen werden, die die Stadt ausmachen.»

Fazit: Monika Dommann näherte sich dem Thema von einer historischen Sichtweise und illustrierte ihr Worte mit vielen Bildern und druckreifen Zitaten. Das lag vielleicht daran, dass sie auch gedruckt vor ihr lagen. Ein eindrücklicher Vortrag, der aufzeigt, dass eine zukünftige Smart City nicht ohne einen Blick in die Vergangenheit gedacht werden sollte.

Das war der erste Event des Civic Media Themen Monats: «Smart Tsüri». Weiter geht es am 18. Juni mit der Diskussion: «Smarte Gesellschaft für alle?».

Du willst dir die Pitch Night noch selbst ansehen? Hier ist der Livestream direkt aus/vom Kosmos:

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