Architektur-Kolumne: Die Schönheit der Fehlplanung - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von ZAS*

Kolumnist:innen

13. November 2021 um 06:00

Aktualisiert 09.09.2022

Die Schönheit der Fehlplanung

Kaum jemand weiss, dass am Triemlifussweg ursprünglich mal eine Strasse vorgesehen war. Und doch spüren unsere Architektur-Kolumnist:innen die Andersartigkeit, die Aussergewöhnlichkeit dieses Ortes, der ohne das Scheitern der radikalen Strassenprojekte der 60er-Jahre niemals hätte entstehen können. Ein Beitrag über das Potenzial planerischer Missgeschicke – und die Schönheit der Fehler und Zufälle, des Vergessens und Improvisierens.

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Luftbild vom 4. August 1981, kurz nach der Eröffnung des Triemlifusswegs. Quelle: Swissair Photo AG, e-pics

Von ZAS*

In Zürich mussten wir uns einst an Hochstrassen gewöhnen, wir gewöhnten uns an grün schimmernde Türme, und auch an Parks auf Autobahnen werden wir uns gewöhnen. Vielleicht nicht unbedingt immer an das Nachbarhaus, das einst von halber Grösse war und den Blick auf die Berge noch zuliess.

Die Stadtentwicklung hat ein Gedächtnis, manchmal ein sehr kurzes, wie auch wir – ihre Bewohnenden – wenn wir uns versuchen daran zu erinnern, wie gewisse Ecken vor wenigen Monaten noch aussahen. Städte befinden sich in konstantem Wandel, man folgt der Gewohnheit, die Dinge nehmen ihren Lauf. Das wird ja alles schon rechtens sein, die Planung unserer Umwelt folgt ihren Regeln und hat ihre Gründe. Doch manchmal da gibt es Situationen, die uns aufmerksam machen, weil wir nicht genau begreifen, wie sie überhaupt zustande gekommen sind.

Steht man beim Kafi Guet, einem kleinen 50er-Jahre Pavillon am Übergang von der Gutstrasse in das Kleingartenareal vor dem Friedhof Sihlfeld, dann ist da so ein Moment. Man erblickt den Prime Tower am Horizont, dreht sich um 180°, und erspäht das Stadtspital und den Üetliberg. Die visuelle Schneise ist heute von hohen Bäumen und dichtem Grün gefasst und wird von Velos, Spaziergänger:innen und Hunden im Vorbeigehen nachgezeichnet.

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Der mittlerweile abgerissene Wydäckerring im Grün des linearen Parks. Bild: ZAS*

Folgt man den Vorbeiziehenden entlang der kleinen Schrebergärten, so öffnet sich ein üppiger Landschaftsraum, der sich in die lockeren Zwischenräume der Zeilenhochhäuser der 60er- und 70er-Jahre ausdehnt. Auf einem geschwungenen Kiesweg spaziert man Richtung Üetliberg, entlang eines linearen Parks. Mal durch grasbewachsene Hügel, dann wieder durch dichte Baumgruppen – Birken, Kiefern, Paulownien, Hainbuchen, Fichten und Eichen.

Immer wieder öffnet sich der Blick in die Tiefen des Stadtraums, bevor wieder die Stirnseiten der Häuserzeilen in den Vordergrund rücken. Eine andere Stadt blitzt auf, inmitten von Zürich. Einige der Gebäude sind eindrückliche Plattenbauten, die wie selbstverständlich aus dem leichten Hang heraus wachsen. Dicht und grün, imposant und doch intim. Die Dachterrassen sind vollgestellt mit Töpfen und Trögen, aus denen kleine Bäume und Büsche wachsen. Es ist ruhig, kein Auto weit und breit, nur manchmal das Bellen eines Hundes. Kinder spielen Frisbee, aus den Hecken pfeifen Vögel, von weitem klingt das Plätschern eines Brunnens.

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Auf dem Luftbild ist der Triemlifussweg ein üppiger Grünzug. Doch im Katasterplan werden die Baulinien des ehemals geplanten Strassenraums sichtbar. Bild: maps.zh.ch

Doch die heutige Idylle dieser Landschaft war so nie vorgesehen: Im Zuge der Planung der autogerechten Stadt in den 60er-Jahren, welche verschiedenste tiefe Spuren wie die Hardbrücke oder die Sihlhochstrasse hinterlassen hatte, wurde der Korridor für eine Fernverkehrsstrasse freigehalten. Die geplante Luzernerstrasse war als Fortsatz der Westtangente vorgesehen, und hätte mit Anschluss an die Hardbrücke durch den Friedhof Sihlfeld bis zum Triemli verlaufen sollen. Nach der Fertigstellung der Hardbrücke 1972 kippte jedoch die Einstellung der Stadtbevölkerung gegenüber den kolossalen Strassenprojekten.

Die Konsequenzen dieser massiven Eingriffe rückten ins Bewusstsein, und mit dem negativen Volksentscheid über den Ausbau des Hardplatzes wurde die Planung der Luzernerstrasse in den 70er-Jahren zur Illusion. Ein paar Jahre später entstand stattdessen ein Park, ein linearer Grünzug mitten durch ein Quartier aus den Boomjahren.

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Die Plattenbauten entworfen von Peter Steiger und gebaut durch die Göhner AG. Bild: ZAS*

Der Triemlifussweg – ein Malheur der Planung? Ob nun Zufall oder Unglück, diese Geschichte zeigt uns klarer auf wie Stadt entsteht, auch wenn nicht alles nach Plan läuft. Denn die Planung sieht nur so weit, wie es ihre beschränkte Vorstellungskraft erlaubt. Die Potenziale eines planerischen Missgeschicks – des Vernachlässigten, Gescheiterten oder Unvorhersehbaren – werden hier sichtbar. Der Triemlifussweg zeigt uns die Schönheit der Fehler und Zufälle, des Vergessens und Improvisierens. Heute erfreuen sich viele an dem langen zusammenhängenden Grünraum: Die Stadt hat sich über die Zeit an den Triemlifussweg gewöhnt – kaum jemand weiss, dass dort eigentlich eine Strasse vorgesehen war. Doch wir spüren die Andersartigkeit, die Aussergewöhnlichkeit dieses Ortes, der ohne das Scheitern der radikalen Strassenprojekte der 60er-Jahre niemals hätte entstehen können.

Entlang des Triemlifusswegs klafft heute hinter orangenen Platten ein grosses Loch. Noch vor einem Jahr stand hier die Siedlung Wydäckerring, eine Überbauung aus der Zeit des Baubooms der 70er-Jahre. Mit ihren gelben Eternitplatten und vorfabrizierten Fassadenelementen aus rotem Waschbeton war die Siedlung einst ein prägendes Element des linearen Parks. Den Zusammenhängen zwischen der Geschichte des Triemlifusswegs, dem Verschwinden der Siedlung Wydäckerring und dem Ersatzneubauboom in Zürich wurde von Mitgliedern der ZAS* in einem Ausstellungsbeitrag nachgegangen. Im Zentrum Architektur Zürich in der Villa Bellerive wird der Beitrag in der aktuellen Ausstellung «Urbane Räume: 4 Perspektiven» noch bis zum 13. März 2022 gezeigt. Neben der Ausstellung gibt es die Möglichkeit, an Quartierspaziergängen entlang des Triemlifusswegs teilzunehmen.

Anmelden könnt ihr euch hier.

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Bild: Elio Donauer

ZAS*
ZAS* ist ein Zusammenschluss junger Architekt:innen und Stadtbewohner:innen. Unter ihnen kursieren heute verschiedene Versionen darüber, wo, wann und warum dieser Verein gegründet wurde. Dem Zusammenschluss voraus ging eine geteilte Erregung über die kurze Lebensdauer der Gebäude in Zürich. Durch Erzählungen und Aktionen denkt ZAS* die bestehende Stadt weiter und bietet andere Vorstellungen an als jene, die durch normalisierte Prozesse zustande gekommen sind. Um nicht nur Opposition gegenüber den offiziellen Vorschlägen der Stadtplanung zu markieren, werden transformative Gegenvorschläge erarbeitet. Dabei werden imaginative Räume eröffnet und in bestehenden Überlagerungen mögliche Zukünfte lokalisiert. Die Kolumne navigiert mit Ballast auf ein anderes Zürich zu und entspringt einem gemeinsamen Schreibprozess. Zur Kontaktaufnahme schreiben an: [email protected]

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