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Von Rahel Bains

Redaktionsleiterin

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19. Januar 2021 um 14:06

Czarnagora: «Das Leben an sich ist schon politisch»

Ein Gespräch mit dem Kollektiv Czarnagora über das Label «politische Avantgarde», stetig wechselnde Konstellationen innerhalb der Gruppe und was passieren muss, damit etwas plötzlich politisch wird.

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Das Zuhause einiger Czarnagora-Mitglieder im Kreis 4. Bilder: Elio Donauer

Czarnagora – was bedeutet dieser Name? Nichts, absolut nichts. Warte, Black Mountain, Montenegro. Was? Bist du dir sicher? Ja, bin ich. Willst du Wein? Gerne. Wie viele Menschen zählt euer Kollektiv? Das haben wir nicht richtig definiert. Zehn oder mehr? Acht bis zehn, ja. Also seid ihr eher lose zusammengesetzt. Wir wollen nicht sagen: «Du bist Mitglied und du nicht.» Wenn jemand dabei sein will, kann er dabei sein, auch nur temporär. Wir wollen offen bleiben für die Menschen um uns herum. Eine Freundin von mir nennt euch politische Avantgarde. Wirklich? Wir sind Freund*innen. Czarnagora kann und soll sich stetig verändern, auch in seiner Grösse. Jemand hat eine Idee, will ein Konzert machen und die, die interessiert sind, machen mit. Unser Inhalt hängt von denen ab, die etwas gestalten wollen. Wir machen Visual Arts, organisieren Ausstellungen und Raves, Poetry-Slams, Noise-Konzerte, produzieren Musik. Manchmal kombinieren wir alles. Unsere Idee ist, keine Idee davon zu haben, wie etwas sein soll. Kennengelernt haben wir uns übrigens damals auf dem besetzten Juch-Areal. Einige von uns haben dort gelebt.

Seid ihr denn nun politisch... das Leben an sich ist schon politisch. Von den Czarnagora-Mitgliedern hat zum Beispiel niemand ausschliesslich Schweizer Wurzeln. Wenn dann jemand aus dem Freundeskreis ausgeschafft wird, wird es plötzlich politisch. Man könnte auch sagen, es geht um die Art und Weise, wie man miteinander umgeht und sich austauscht. Was auch immer du für einen kulturellen Output hast – am Schluss zeigt sich deine politische Ausrichtung zum Beispiel in der Wahl der Akteur*innen, mit denen du zusammenarbeitest, in welcher Form du deine Arbeit publik machst... lustig, obwohl wir uns selber nicht als politisches Kollektiv bezeichnen würden, sehen uns offenbar viele Leute als genau das. Eure Arbeiten, wo habt ihr die bislang gezeigt? In der Kunsthalle Zürich, in den besetzten Häusern an der Grimselstrasse, in der Gessnerallee, in der Roten Fabrik, bei Radio Megahex, in vielen Off-Spaces. Jetzt sitzen wir coronabedingt in eurer WG-Küche. Die Strassen draussen sind gespenstisch leer. Wie meistert ihr die aktuelle Corona-Krise? Die meisten von uns legen auf. Früher war es keine grosse Sache, mal schnell einen Rave zu organisieren. Nun haben wir gemerkt: Wir können auch weniger Menschen einladen, zusammensitzen und dabei andere, vielleicht etwas ruhigere Musik kreieren. Das funktioniert – sehr gut sogar.

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Tsüri.ch: Das Jahr 2020 in drei Worten?

Czarnagora: Vielleicht wäre «ABOLISH THE POLICE» eine passende Antwort.

Was für Herausforderungen hat die Corona-Krise mitgebracht – und wie seid ihr damit umgegangen?

Die Herausforderungen waren hauptsächlich finanzieller und psychischer Natur. Ein positiver Aspekt war, dass wir uns paradoxerweise trotz sozialer Distanz zusammengefunden haben.

Was ist eure Message als Kollektiv?

Wir teilen gewisse Einstellungen, aber können diese nicht in einer einzigen «Message» subsumieren.

Wer oder was inspiriert euch?

Die Zerstörung unseres Ökosystems ist real. Die Erosion demokratischer Strukturen ist real. Digitalisierung ist real. Sicherlich hat das Bewusstsein über diese Begebenheiten einen Einfluss auf die Ästhetik unserer Produktion. Jede musikalische Struktur reflektiert ihre Umgebung.

Weshalb tut ihr das, was ihr tut in Zürich – und nicht in einer anderen Stadt?

Ein Ort ist immer plural, und wird von verschiedenen Akteur*innen anders wahrgenommen und erzählt. So kann er auch für verschiedene Akteur*innen etwas ganz anderes bedeuten, darstellen oder sein. Dieser prozessuale Charakter von Orten wird zudem beschleunigt von der Digitalisierung unserer Zeit. So sind wir nicht nur in einer Stadt, sondern in vielen tätig.

Zahlt ihr euch einen Lohn aus? Wenn ja, weshalb? Wenn nein, weshalb nicht?

Nein, wir sind nicht Angestellte. Aber wir sind für ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Waren die Stadt und ihre Bewohner*innen bislang gut zu euch? Wo haben sie euch Steine in den Weg gelegt, wo Türen geöffnet?

Wir verstehen die Stadt und ihre Bewohner*innen nicht als homogene Entität. Leider werden auf stadtpolitischer Ebene gewisse Positionen vertreten, welche selbst-organisierte, autonome Praxen erschweren. Steine wiederum nehmen wir dankend an.

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Was war euer schönster und/oder prägendster Moment seit der Gründung?

Wann immer eine Idee Realität wird.

Wie geht ihr als Gruppe kollektiv mit Entscheidungsprozessen um?

Alle sind auf ihre eigene Art und Weise involviert; jede Situation, in welcher eine Entscheidung getroffen werden muss, ist einzigartig.

Was wünscht ihr euch von Zürich?

Dass die Migrationspolitik überdacht wird.

Ihr seid es, die unsere Stadt zu der machen, die sie ist. Sie beleben – kulturell, aber auch politisch. Was plant ihr für das kommende Jahr?

Mehr Musik zu publizieren.

Serie «Zürcher Kollektive»
Immer mehr Menschen dieser Stadt schliessen sich zu einem Kollektiv zusammen. Für diese Serie wollten wir wissen: Was treibt diese Menschen an? Wie gehen sie mit Entscheidungsprozessen um? Wie haben sie, die das kulturelle Leben dieser Stadt prägen, das Jahr 2020 gemeistert? Und was ist trotz der widrigen Umstände für die kommenden Monate geplant?

1. Was ist eigentlich ein Kollektiv?
2. Urban Equipe
3. Ziegel oh Lac
4. Organ Tempel
5. Zentrum für kritisches Denken
6. Jungthaeter
7. Vo da.
8. Literatur für das, was passiert
9. F 96
10. Tempofoif
11. Regula Rec
12. Lauter
13. Tauchstation
14. Radio Megahex
15. Fagdom
16. #RFSC
18. Czarnagora

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