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31. Mai 2019 um 14:00

Çohu – steh auf! Ein Film über LGBTQI+ im Kosovo

Auf dem Park Platz fand letzte Woche ein Sofa-Screening der dokumentarischen Webserie Çohu statt. Ein frühsommerlicher Abend voll starker Statements, interkultureller Solidarität und ungeahnter Gemeinsamkeiten beim Kampf gegen das Patriarchat.

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Çohu ist albanisch und bedeutet «steh auf.» Im Rahmen ihrer Diplomarbeit an der ZHdK haben sich Arzije Asani und Célie Stettler genau damit befasst: Mit Menschen, die aufstehen. Aufstehen, für Feminismus und LGBTQI+ und gegen die patriarchalen Strukturen ihrer Heimat, dem Kosovo. Entstanden ist eine knapp 40-minütige Webdoku in drei Episoden, deren letzte am Sofa-Filmscreening auf dem Park Platz Premiere feierte. Auf gleich drei Leinwänden wird der Film gezeigt – in albanischer Originalsprache zweimal mit deutschen, einmal mit englischen Untertiteln, da sich die beiden Regisseurinnen nicht sicher waren, wie viele Leute erscheinen würden.

Der Andrang würde riesig sein – wie sich bald zeigen sollte.

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Es scheint, als hätte sich die halbe albanische Community Zürichs rund um den alten Perserteppich mit den fünf Holzstühlen versammelt, wo die Podiumsdiskussion als Auftakt zur Filmvorführung stattfinden sollte. Viele kennen einander, sind gar verwandt oder freuen sich zumindest über jede*n, der*die auf Albanisch zurückgrüsst. Mit Pide-Häppchen und Fruchtspiesschen vom albanischen Apérobuffet ist die Atmosphäre bereits so sommerlich-entspannt, dass es auch niemanden stört, als die Podiumsdiskussion erst eine halbe Stunde später als angekündigt beginnt.

Junge Menschen, starke Statements

«Als junge Frau im Kosovo bin ich glücklich, überhaupt atmen zu dürfen.»

Mit diesen Worten eröffnet Adelina Tërshani die Podiumsrunde – und erntet erst einmal Beifall. Adelina Tërshani und Lendi Mustafa sind die Protagonist*innen des Films und extra für dieses Screening nach Zürich gereist. Beide kommen aus dem Kosovo, sind 22-jährig und an vorderster Front aktiv im Kampf gegen die patriarchalen Strukturen eines Landes, in dem Feminismus und LGBTQI+ vor kurzem noch Fremdwörter waren.

Als junge Frau im Kosovo bin ich glücklich, überhaupt atmen zu dürfen.

Adelina Tërshani

Lendi ist der erste Mensch, der sich im Kosovo offiziell als transgeschlechtlich geoutet hat und gilt deshalb als Pionier der LGBTQI+-Community im Kosovo. «Ich habe Glück, dass ich ein Transmann bin», meint er dazu, «denn ich bin ein Mann». Sexuelle Belästigung erleben Frauen im Kosovo nämlich jeden Tag, wie Feminismus-Aktivistin Adelina erzählt. Sie ist in ihrer Heimat für ihr Schreien bekannt geworden. An der Spitze der Demonstrationszüge ist sie es, die Parolen wie «Wir marschieren, wir feiern nicht» in ihr Megafon schreit und die Menschen anführt. «Ich bin von schreienden Männern erzogen worden. Also habe ich gelernt, dass ich schreien muss, wenn ich etwas will.»

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Neben den beiden Gästen aus Pristina sind die Präsidentin der Zurich Pride Lea Herzig sowie JUSO-Politiker Pascal Pajic zum Podium eingeladen. Pajic, der selbst homosexuell ist und kosovarisch-serbische Wurzeln hat, erzählt: «Ich habe dann realisiert, dass es auch in der Schweiz gesellschaftliche Klassen gibt, als unsere Nachbarn sagten, sie wollten keine «Jugos» im Haus.» Er meint aber, die Queerphobie sei in der Schweiz schlimmer als der Rassismus. Und die Diskriminierung subtiler, als sie im Kosovo ist.

«Noch heute werden viele homosexuelle Männer an Frauen verheiratet, bloss, weil es für sie keine Möglichkeit gibt, sich auszuleben.» Lendi erzählt, dass im Kosovo immer noch viele glauben, Homo- oder Transsexualität sei eine Krankheit und junge Leute deshalb zu Imams geschickt werden, die sie mit «Magie» heilen sollen. «Glaubt mir, es funktioniert nicht.» – und der ganze Park Platz lacht.

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Redaktorin Florentina beim Interview mit Adelina Tërshani

In der Pause zwischen Podiumsdiskussion und dem Filmstart spreche ich mit Adelina über ihre Motivation, und wie sie damit umgeht, wenn sogar Frauen es nicht für nötig halten sich für feministische Anliegen einzusetzen. «Viele Frauen, vor allem die älteren, kennen schlicht nichts Anderes. Die Jüngeren haben mehr Zeit, sich weiterzubilden. Ihnen will ich eine Vision geben, zeigen, dass auch eine andere Realität möglich ist.» Und das bloss, weil «legal alles da ist», der Kampf noch längst nicht gewonnen ist.

Hast du bemerkt, dass ich allein auf meiner Identitätskarte erscheine? Weil mich das Gesetz als unabhängige Person anerkennt. Und das solltest du auch.

Adelina Tërshani in Çohu

Der Film gibt nicht nur Einblick in Adelinas und Lendis Leben als Aktivist*innen, sondern auch in die kosovarische Kultur: So stark wie die Familie zusammenhält, so gross ist auch ihre Macht – in Lendis Fall wurde sie gar zur Bürde. Eine seiner Schwestern wandte sich nach seinem Coming-out von ihm ab und wollte keinen Kontakt mehr zu ihm haben.

Wenn ein alter Mann, mit dem Lendi bei einer Demonstration spricht meint, die Rechte der Frauen bestünden darin, «den Haushalt zu erledigen und die Kinder zu hüten», scheint die Schweiz schon um einiges weiter zu sein, was die Gleichstellung von Frauen angeht. Manche Szenen kommen aber unangenehm bekannt vor. «Immer, wenn ich bei einer Gruppe Männer vorbeigehe, erwarte ich, ihre Kommentare zu hören. Unabhängig davon, wie ich aussehe,» sagt Adelina in der dritten Episode des Films.

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Über Jahr ist es nun her, seit Lendi mit seiner Transition begonnen hat. Auf dem Park Platz steuert er klar die Männertoilette an – die an den übermalten Piktogrammen nur knapp als solche erkennbar ist. Eigentlich spielt es eh keine Rolle, zuhause, in unseren Wohnungen, haben wir alle genderneutrale Toiletten.

Für ihn war der Jahrestag der Hormontherapie, die ihn auf seine Geschlechtsangleichung vorbereitet, eine Art Wiedergeburt, sein erster «richtiger» Geburtstag. Und ganz so, wie es sich für einen Geburtstag gehört, wurde gefeiert, getanzt und seine Freunde sangen «Happy Birthday».

Die ganze Webdoku sowie weitere Informationen zum Projekt findet ihr hier.

Alle Bilder: Yonca Ergen

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