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Von DJ Restaurant

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27. März 2021 um 07:00

«Cocktailschlürfende Babyboomer sind uns viel näher als wir denken»

Teure Anzüge, schicke Autos – solcher Pomp gilt für die moderne, urbane Bourgeoisie längst als geschmackslos. Verzichten wir deshalb heute auf Statussymbole? Unser Kolumnist sagt: «Nein! Das Leben von uns jungen, privilegierten Zürcher*innen ist durchtränkt von subtilen Zeichen, die unseren hohen Status signalisieren sollen.» Ein Text über Zugehörigkeit, Szene-Codes und die Frage, was Mandelmilch, Tattoos und die Kücheneinrichtung mit Status zu tun haben.

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Illustration: Artemisia Astolfi

«Alle haben eine Rolex. Wer mit 50 keine Rolex hat, ist im Leben gescheitert». Mit dieser Aussage verteidigte Jacques Séguéla, der bekannteste Werbemann Frankreichs, den luxusvernarrten «Bling-Bling Präsidenten» Nicolas Sarkozy vor zehn Jahren im französischen Fernsehen. Was er damals noch nicht wusste: Seine Aussage wird später als kürzeste Zusammenfassung des Yuppie-Lebensstils überhaupt gelten. Denn Yuppies lieben Luxus. Ironischerweise leitete Séguélas ikonischer Satz aber auch gleich das Ende der Yuppie-Zeit ein. Teure Anzüge, schicke Autos, edle Restaurants – solcher Pomp gilt für die moderne urbane Bourgeoisie längst als geschmackslos.

Verzichten wir Stadtmenschen deshalb heute auf Statussymbole? Ich sage: Nein! Das Leben von uns jungen, privilegierten Zürcher*innen ist durchtränkt von subtilen Zeichen, die unseren hohen Status signalisieren sollen. Die These meiner vierteiligen Kolumne lautet deshalb: Die cocktailschlürfenden Babyboomer im Clouds sind uns viel näher, als wir denken. Lasst mich erklären...

Ich will wissen, was meine Mandelmilch, meine Tattoos und meine Kücheneinrichtung mit Status zu tun haben.

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Statussymbole

Wir Menschen brauchen das Gefühl von Zugehörigkeit. Zugehörigkeit erleben wir am einfachsten, indem wir uns von anderen abgrenzen. Deshalb ist die soziale Abgrenzung so alt wie die Menschheit selbst. Diese erfolgt meistens über bestimmte Zeichen von Zugehörigkeit – sogenannte Statussymbole. Entgegen der geläufigen Annahme beschränken sich diese Statussymbole nicht nur auf teure Marken und grosse Uhren. Sie beinhalten beispielsweise auch Szene-Codes wie Lonsdale-Pullis (Rechtsextreme), Iros (Punks) oder 501-Jeans und weisse Reeboks (Ultras). Auch immaterielle Statussymbole wie die Musik, die wir hören, oder die Leute, die wir kennen, sind zur Abgrenzung extrem wichtig. Ein Gästelistenplatz bedeutet letztendlich zum Beispiel nichts anders als: «Ich gehöre dazu».

Gerade in grossen Städten, wo die unterschiedlichsten Menschen aufeinanderprallen und die eigene Zugehörigkeit manchmal schwer zu verorten ist, finden sich solche Statussymbole wie Sand am Meer. Espresso oder Schwarztee, Secondhand oder Zara, lackierte Nägel oder Lippenstift – alle diese kleinen Entscheidungen sind beeinflusst durch die Frage: «Wo gehöre ich dazu?». Oder in den Worten des Soziologen Pierre Bourdieu: «Geschmack klassifiziert».

Die Leisure Class und die Yuppies

Noch vor hundert Jahren umgab sich die städtische Elite gerne mit unnötig veredelten Gegenständen wie Hüten mit riesigen Krempen oder vergoldetem Besteck. Diese Klasse nannte man die Leisure Class. Als Besitzerin der Produktionsmittel musste sie nicht arbeiten und lebte von der Arbeitskraft anderer. Nicht zu arbeiten signalisierte deshalb einen hohen Status. So galt beispielsweise unter Männern das Mitführen von Gehstöcken und Krücken als schick, da diese eine Unfähigkeit zu körperlicher Arbeit suggerierten (geradezu absurd im Vergleich: Rockstar Gölä, der sich heute beharrlich als Büezer inszeniert). Auch unproduktive Aktivitäten wie das Studieren von toten Sprachen oder das Halten von Hunden signalisierten deshalb eine hohe gesellschaftliche Stellung.

Fünfzig Jahre später begann sich das Stadtleben radikal zu ändern. Fabriken wurden aufs Land verlegt und die Städte musterten sich zum intellektuellen Motor der Wirtschaft. Arbeitslosigkeit galt nicht mehr als Privileg, sondern als Sünde. Ein neuer Stadtmensch wuchs heran: jung, gut ausgebildet und bestrebt, in seiner spärlichen Freizeit so viel von seinem riesigen Gehalt auszugeben, wie nur möglich – der Yuppie (kurz für: young urban professional).

Begleitet von Madonnas 85er-Hit ‹Material Girl› tauschte, wer etwas auf sich hielt, deshalb schnell die Hippie-Gitarre gegen eine Chanel-Handtasche und schrieb sich, statt fürs Mantrasingen, an der Wirtschaftsuni ein.

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Die Yuppies verhalfen dem Materialismus in den 80er-Jahren zu ungeahnten Höhenflügen. Sie waren nämlich fest davon überzeugt, dass Glück käuflich ist und so wurde Shopping zu ihrer neuen Religion. Zu dieser Zeit traf man die städtische Elite in angesagten Luxusbars, wo sie bei einem Kir Royal und zwei, drei Linien Kokain offen über den Wert ihrer Yachten diskutierten. Schnell wurden luxuriöse Wohnungen, massgeschneiderte Anzüge und exklusive Sportarten wie Segeln und Golfen zu den geläufigsten Symbolen für beruflichen Erfolg.

Obwohl Schätzungen zufolge 1986 kaum zwei Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung wirklich jung, urban und gut gebildet waren, verbreitete sich der materialistische Lebensstil der Yuppies wie ein Lauffeuer. Begleitet von Madonnas 85er-Hit «Material Girl» tauschte, wer etwas auf sich hielt, deshalb schnell die Hippie-Gitarre gegen eine Chanel-Handtasche und schrieb sich, statt fürs Mantrasingen, an der Wirtschaftsuni ein. Noch bis heute prägt das in den 80ern erschaffene Bild des «guten Lebens» unsere westliche Kultur massgeblich.

Und heute?

Heute ist das Yuppietum tot. Als ich vor sechs Jahren nach Zürich zog, lernte ich schnell, dass die hippe Zürcher Elite ihren Status heute anders zeigt. Den Prime Tower belächeln, die dort drin in ihren Anzügen schwitzenden Junior-irgendwas-Manager*innen bemitleiden und täglich drei Teslas mit dem Renner überholen gehörte damals längst zum guten Ton. Für die neue Stadtelite ist der Preis von Konsumgütern nämlich sekundär. Die heutige Zürcher Bourgeoisie sitzt lieber im Bonheur als im Dolder, trinkt lieber Prosecco als Scotch und raucht lieber American Spirit als Zigarren. Warum das so ist – darum dreht sich meine nächste Kolumne.

Kolumnist DJ Restaurant
DJ Restaurant glüht für gesellschaftliche Brennpunkte. Deshalb sinniert er als freier Autor und Kolumnist regelmässig über die kleinen Flammen des Alltags. Über die grossen Brände dieser Welt forscht er als Klimawissenschaftler an der Uni Bern. Abends ist DJ Restaurant oft in seinem Zürcher Musikstudio anzutreffen, wo er stundenlang an winzigen Knöpfen herumdreht. Seit er vor fünf Jahren ein Schwein hinter dem Ohr gekrault hat, träumt er von seinem eigenen Bauernhof. Wie naiv. Doch für nichts auf der Welt würde er seinen Leichtsinn hergeben.

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Illustration: Artemisia Astolfi

Yuppie-Kolumne
Die neue urbane Elite wird in jüngster Zeit als aspirational class bezeichnet. Während früher teure Autos und schicke Uhren als Statussymbol galten, braucht es für die Aneignung moderner Statussymbole nicht viel Geld, sondern Insiderwissen. Billige Digitaluhren, zerrissene Hosen, Adiletten, wackelige Tattoos auf den Fingern, Drehtabak – alle diese Statussymbole sind nicht teuer. Ihre Träger*innen müssen sich aber das nötige Wissen für deren Aneignung erarbeiten. Gerade in einer so unglaublich wohlhabenden Stadt wie Zürich, wo sich die städtische Elite (und damit sind nicht bloss die Google-Mitarbeiter*innen aus der Europaallee gemeint) seit Kindesbeinen an alle Requisiten des «guten Lebens» leisten kann, sind solche neuartigen Statussymbole allgegenwärtig. Diesen Symbolen und Manifestationen möchte DJ Restaurant mit seiner Kolumne auf die Spur gehen.

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