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Von Lara Blatter

Co-Geschäftsleitung & Redaktorin

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31. Juli 2022 um 06:30

Brunchgeschichten: Wieso genderneutrale WCs besser als Pissoirs sind

Zu Hause, bei Freund:innen oder im Zug teilen wir die Toiletten mit allen. Die Stadt Zürich will neu in Schulen auf Pissoirs verzichten und dafür genderneutrale WCs einführen. Das ist ein wichtiger Kompromiss, findet Redaktorin Lara, deren utopische Vorstellung keine Trennung vorsieht.

Neulich war ich auf einer Männertoilette. Ich lief da einfach so rein. Huschte an einer Person am Pissoir vorbei, versteckte mich in der Kabine und erleichterte mich. Und siehe da, bis auf das Pissoir und das entsprechende Piktogramm sah dieser Ort nicht anders aus, als ich es mir gewohnt bin. 

Dennoch fühlte ich mich fehl am Platz. Noch während ich auf dem Ring sass, beschlich mich ein beklemmendes Gefühl. Es fühlte sich ein bisschen so an, als ob ich die Pflanzen meiner Nachbarin giessen und dabei eine kurze Pause auf ihrem Bett einlegen würde. Oder wie wenn ich den Fünfliber, der in der Waschküche liegt, einstecke. Kurz: Meine Sozialisierung gab mir zu verstehen, dass ich nicht in diesen Raum gehöre. 

Schwieriger muss es für non-binäre Menschen sein, wenn sie täglich nur die Auswahl zwischen Piktogramm «Mensch mit Rock» und «Mensch mit Hose» haben. Ganz abgesehen davon, dass sie zusätzlichen Diskriminierungen durch unsere Gesellschaft ausgesetzt sind.

Empörung über genderneutrale WCs für Schüler:innen

Auch die Stadt Zürich beschäftigte sich in den letzten Monaten im Rahmen der neuen Raumordnung für Schulen unter anderem mit der Klofrage. Mit dem Ergebnis, dass städtische Schul-WCs künftig dreigeteilt sein werden: Frauen, Männer, genderneutral – und die Pissoirs verschwinden. Zürich ist schweizweit die erste Stadt, die genderneutrale Toiletten in Schulen zum Standard macht. 

«Zürich schafft sich ab – und wird zum Paradies für Gender-Ideologen», titelt die Weltwoche. Pissoirs streichen? «Man kann doch nicht der Hälfte der Bevölkerung ihr bevorzugtes Urinal nehmen», meint ein Tagi-Leser. Ein anderer klagt: «Es wird immer mehr zum Witz, was diese Emanzipation und dieser Gleichstellungswahn anrichten.» Menschen zeigten sich auf diversen Plattformen empört. Wenn auch laut, hoffentlich eine Randgruppe. 

An den Piktogrammen müssen wir definitiv noch arbeiten. (Foto: No Revisions / Unsplash)

Toleranz gegenüber Minderheiten

Mit Toiletten für alle nehmen wir Rücksicht auf Menschen, die sich keinem bestimmten Geschlecht zuordnen oder sich nicht mit dem ihnen zugewiesenen identifizieren. Und auch wenn es sich hierbei um eine Minderheit handelt, hat diese doch ein Recht, sich nicht jedes Mal in ein von uns geschaffenes, binäres System einzugliedern, wenn sie aufs Klo muss. Und überhaupt tun geschlechtsneutrale Toiletten niemandem weh, Diskriminierung hingegen schon. Wenn das nun heisst, dass wir auf Pissoirs verzichten und sich dafür mehr Menschen zugehörig fühlen, dann ist das gut so. Und wie sollen Schüler:innen künftig im Stehen pinkeln? Dafür brauchen wir keine Pissoirs – sofern Mensch treffsicher ist. Noch einfacher: hinsetzen.

«Wenn unsere Schokoriegel minderheitenfreundliche Beschriftungen kriegen, warum nicht auch unsere Klos?»

Kolumnistin Margarete Stokowski

Mit einem sehr einfachen Vergleich bringt es die Kolumnistin Margarete Stokowski auf den Punkt: «Auf jedem einzelnen Snickers ist heute fett hervorgehoben, dass da Erdnüsse drin sind. Wie viele Leute haben eine Erdnussallergie? 0,5 bis 1 Prozent der Kinder in Deutschland, sagt die Stiftung zur Behandlung von Erdnussallergien. Wenn wir damit klarkommen, dass unsere Schokoriegel minderheitenfreundliche Beschriftungen kriegen, warum nicht auch unsere Klos?»

Getrennte Toiletten sind Symptombekämpfung… 

Kantonale Gesetze regeln, ab welcher Personenzahl ein öffentliches Gebäude wie viele Toiletten haben muss und ab wann es getrennte Toiletten braucht. In Gastrobetrieben für weniger als 50 Gäste zum Beispiel reicht eine geschlechtsneutrale Toilette, heisst es auf einem Merkblatt der Stadt. Ab 50 muss dann getrennt werden.

In einer Motion wurde auch schon der Bundesrat mit der Frage nach mehr Unisex-Toiletten beauftragt. In seiner Antwort heisst es unter anderem, dass durch geschlechtergetrennte Anlagen sexuelle Belästigungen und das Unwohlsein durch die Präsenz des andern Geschlechts vermieden werden können. 

Ja, FINTA-Personen, also Frauen, inter, non-binäre, trans, agender Menschen sind häufiger von sexueller Belästigung betroffen. Das zeigt beispielsweise die Auswertung des Meldetools «Zürich schaut hin»: In den ersten acht Monaten seien rund 900 Meldungen über sexuelle, homo- oder transfeindliche Belästigungen eingegangen. Zu 83 Prozent sind die Täter männlich und die Orte sind öffentlich, sprich: Bahnhöfe, Strassen, Parks, Clubs, Schulen. Orte, wo es immer auch Toiletten hat. 

…und doch brauchen wir die Trennung

Das Problem von Belästigungen jeglicher Art durch männliche Zeitgenossen ist aber nicht gelöst, indem wir – wie wir es seit Jahrzehnte tun – Toiletten trennen. Keine Trennung ist meine utopische Vorstellung und eine privilegierte Sicht. So weit sind wir noch nicht. Es gibt Menschen, die Toiletten als Safe Space brauchen. Und auch ich war schon froh, dass ich mich im Club kurz auf die Frauentoilette zurückziehen konnte. Die Lösung der Stadt Zürich Kindern und Jugendlichen in Schulen drei Toiletten zur Verfügung zu stellen, ist deshalb ein wichtiger Kompromiss. 

Und am Schluss des Tages machen wir sowieso alle dasselbe: Wir pissen. Und wer sich an genderneutralen WCs stört; denk mal daran, dass du bei dir Zuhause ebenfalls eine Toilette für alle benutzt.

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