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Von Isabel Brun

Redaktorin

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14. August 2022 um 04:00

Brunchgeschichten: Junge sind nicht faul, nur weil sie Teilzeit arbeiten wollen

Teilzeitarbeit liegt im Trend. Die junge Generation muss sich deshalb des öfteren den Vorwurf anhören, dass sie «arbeitsfaul» sei. «Das ist nicht nur unfair, sondern auch eine Fehlinterpretation», meint unsere Redaktorin Isabel Brun.

Illustration: Zana Selimi

«Mein Ziel ist es, künftig 80 Prozent arbeiten zu können», verkündete ich vor einigen Wochen auf einer Familienfeier – und eröffnete damit eine heftige Diskussion zwischen den anwesenden U-30-Jährigen und den Ü-50-Jährigen. Die Jungen seien faul, hätten zu wenig Biss, meinte mein Onkel. Die Leistungsgesellschaft würde uns fertig machen, konterte mein Freund.

Der Streit um die Arbeitsmoral unterschiedlicher Generationen schafft es immer wieder mal aus den eigenen Kreisen heraus in die hiesigen Medien. Erst kürzlich veröffentlichte das Nachrichtenportal 20 Minuten einen Beitrag, in dem bürgerliche Politiker:innen der Generation Z vorwerfen «unsozial» zu sein. Weil viele davon gewollt einen geringeren Lohn beziehen: «Es gibt Personen, die liegen dem Staat auf der Tasche, obwohl sie es nicht nötig haben», so der FDPler Stefan Degen. Bereits im vergangenen November hatte der 40-Jährige einen Vorstoss im Kanton Basel-Landschaft eingereicht, der fordert, dass das Arbeitspensum bei der Vergabe von Prämienverbilligungen berücksichtigt werde.

Kein Burnout ist besser für das BIP  

Es wirkt polemisch, dass sich Degen gerade am Beispiel der Krankenkassenleistungen bedient: Zumal laut Job-Stress-Index der Gesundheitsförderung Schweiz drei von zehn Erwerbstätigen unter Stress leiden, was wiederum das Risiko für Erkrankungen wie das Burnout-Syndrom oder Depressionen erhöht. Die volkswirtschaftlichen Kosten wegen stressbedingten Arbeitsausfällen liegen gemäss einer Studie des Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) bei jährlich fast acht Milliarden Franken. Also über zwei Milliarden mehr als der Beitrag, den der Staat für die individuellen Prämienverbilligungen bezahlen muss. 

«Gesund leiste ich mehr für die Gesellschaft und Volkswirtschaft, als gestresst und ausgebrannt.»

Ein schlechtes Stressmanagement kostet uns alle also deutlich mehr, als die finanzielle Entlastung für Tieflohn-Verdienende. Mal ganz abgesehen vom Leidensdruck, der mit einer psychischen Erkrankung einhergeht. Dass wir Jungen uns damit beschäftigen, wie wir uns vor übermässigen Stress schützen können – beispielsweise durch Teilzeitarbeit – hat langfristig gesehen nicht nur positive Auswirkungen auf unsere Lebensqualität, sondern auch auf unser BIP.

Die Auswertungen des SECO von 2017 bringt aber noch eine andere interessante Erkenntnis : In der Schweiz sind junge Menschen zwischen 15 und 44 Jahren am Arbeitsplatz gestresster als Arbeitnehmende ab 45 – und zwar massiv: Über ein Viertel der erwerbstätigen Frauen unter 25 stehen «meistens» oder «immer» unter Stress. 

Weniger Erfahrung bedeutet mehr Stress

Was uns zum Argument der fehlenden Resilienz führt, die den Generationen Y und Z von Babyboomern gerne angekreidet wird. Die Jungen seien anfälliger auf Stress, weniger widerstandsfähig als frühere Generationen. Ganz abstreiten lässt sich das zwar nicht: «Jungen Menschen fehlen Erfahrungswerte, um die Dinge besser einschätzen zu können und Krisen zu meistern», erklärt die Psychologin Silvia Steiner in einem Artikel in «Der Zeit». In der Forschung ist gemäss ihren Aussagen jedoch nichts über einen Zusammenhang zwischen Alter und Resilienz bekannt.

Weshalb junge Menschen gestresst sind, darüber gibt es x Studien: Hoher Leistungsdruck, leichte Ablenkungsmöglichkeiten durch die sozialen Medien und der Anspruch, ständig erreichbar zu sein, gehören zu bekannten Stressoren. Hinzu kommt ein anderer Fakt, der auch bei besagter Familienfeier plötzlich zu Verständnis bei der älteren Generation auslöste. Während zu Zeiten, als mein Onkel zu einem 100 Prozent Pensum angestellt war, seine Frau den Haushalt schmiss, macht mir heute niemand die Wäsche, geht für mich einkaufen oder kocht.

Das ist grundsätzlich okay, aber ich habe keine Lust, einen meiner beiden freien Tage für den Haushalt zu opfern. Lieber arbeite ich weniger, verdiene entsprechend weniger und habe dafür am Wochenende mehr Zeit, mich zu erholen, Sport zu treiben, Freundschaften zu pflegen – um möglichst lange gesund zu bleiben. Denn gesund leiste ich mehr für die Gesellschaft und Volkswirtschaft, als gestresst und ausgebrannt.

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