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Von Lara Blatter

Co-Geschäftsleitung & Redaktorin

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1. April 2022 um 04:00

Bewohner:innen wehren sich gegen 24-Stunden-Gastronomie beim Lochergut

Zwei Zürcher Gastronomen wollen an der Bertastrasse 6 ein Boulevard-Café eröffnen. Dass die Stadt Zürich dafür durchgehende Öffnungszeiten bewilligt hat, ist für die Bewohner:innen unverständlich. Es formiert sich Widerstand – fünf Rekurse wurden eingereicht.

An der Bertastrasse 6 wollen zwei Zürcher Gastronomen ein neues Lokal eröffnen. (Foto: Lara Blatter)

Wo früher ein Brockenhaus war, dazwischen ein paar Pop-ups Halt machten, soll es in absehbarer Zukunft ein neues Lokal geben, hinter welchem zwei Zürcher aus der Gastroszene stecken: Markus Lichtenstein und Anatol Gschwind. Der eine, Lichtenstein, ist Geschäftsführer der Weinhandlung Smith and Smith und mit dabei in der Schickeria Bar und im Gerolds Garten. Der andere, Gschwind, betreibt unter anderem das Bistro Salon und die beiden Clubs Gonzo und Hive.

Nicht alle freuen sich über diese Pläne. «Wir wollen kein Hive bei uns im Quartier», sagt Eva Schumacher. «Wir sind keine lärmempfindlichen Menschen, aber ein 24-Stunden-Betrieb ist zu viel», ergänzt Simon Bühler. Die beiden wohnen in unmittelbarer Nähe zur Bertastrasse 6 und haben mit rund 60 Nachbar:innen die «IG Innenhof» ins Leben gerufen, um gemeinsam mit einem Sammelrekurs gegen den Bauentscheid der Stadt Zürich vorzugehen.

Überrascht vom Gegenwind 

Die beiden Gastronomen sind von den Reaktionen der Nachbarschaft überrascht. «Logisch, der Besitzer vom Hive ist mein Partner. Aber er hat ja schon ein Hive, er will nicht nochmals eins», sagt Markus Lichtenstein. Es sei ihnen bewusst, dass ein Gastrokonzept, das von der Nachbarschaft nicht getragen werde, keine Chance habe. 

Das Lokal an Bertastrasse liegt an der Ecke Badener- / Bertastrasse, direkt beim Lochergut. (Foto: Screenshot Google Maps)

Für den Betrieb an der Bertastrasse 6 haben Lichtenstein und Gschwind die Dicke Berta AG gegründet. Für die «Brüt Bar», wie sie einst heissen soll, hat die Stadt Zürich die Umnutzung des Lokals von einem Laden in einen Gastronomiebetrieb bewilligt. Diese Bewilligung gestattet unter der Woche Öffnungszeiten bis 4 Uhr und am Wochenende einen durchgehenden 24-Stunden-Betrieb. Zudem sind bis zu 300 Gäste im Erd- und Untergeschoss zugelassen.

Mehr Pianobar als Club

Soll die Strasse, die so bekannt für ihre alljährliche Blütenpracht ist, eine Partymeile werden?

Ihre Pläne für die Bertastrasse seien kein durchgehend geöffneter Club mit 300 Gästen, sagt Lichtenstein. Das sei ein Missverständnis. «Wir wollten einfach das Maximum können und haben nicht geplant, dass wir das voll ausnutzen werden.»

Im Erdgeschoss soll es eine Tapasbar geben, im Untergeschoss Kunst. Neben bekannten Kunstschaffenden sollen auch junge Zürcher Künstler:innen ausstellen können. «Es geht eher Richtung Pianobar statt Richtung Club – mehr Nachtbar statt Disco. Klar, an Silvester beispielsweise kann es auch mal eine Party geben», sagt Lichtenstein.

Angst vor Littering und Lärm

Die Ausschreibung des Bauprojekts im Dezember liess die Nachbarschaft aufhorchen. Von den Pianobar-Plänen der Dicken Berta weiss die IG Innenhof. Dennoch, die Öffnungszeiten stossen auf Unverständnis und Misstrauen. 

«Der dörfliche Charakter rund um die Bertastrasse darf nicht verloren gehen. Hier wohnen viele Familien mit Kindern und ältere Menschen», sagt Schumacher. Die Angst, dass vor allem sensible Bevölkerungsgruppen verdrängt werden, scheint gross. Die Historikerin hat im Januar die Nachbarschaft zusammengetrommelt und daraus formierte sich die IG Innenhof.

«Stossend ist, dass die Stadt weiss, dass Lärm ein Problem ist und sein wird.»

Eva Schumacher, IG Innenhof

Simon Bühler steht im Innenhof an der Bertastrasse 6. Er geht über den Platz und schnippt. «Hört ihr, wie es hallt? – Viele Nachbar:innen haben ihre Schlafzimmer zum Hof und jetzt stellt euch vor, hier gäbe es einen Club», sagt er. Scherben, Zigarettenstummel, Urin und betrunkene Menschen. Bühler zählt die Begleiterscheinungen von Nachtgastronomiebetrieben auf und bringt damit die Befürchtungen der Anwohner:innen auf den Punkt.

Präzedenzfall befürchtet

«Stossend ist, dass die Stadt weiss, dass Lärm ein Problem ist und sein wird», sagt Eva Schumacher. Ihre Kritik richtet sich in erster Linie nicht an die beiden Gastronomen Gschwind und Lichtenstein, sondern gegen die Stadt. Genauer, gegen deren Bewilligungspraxis. Es werde mutmasslich in Kauf genommen, dass ein neuer Brennpunkt entstehen könnte. 

«Wehret den Anfängen», sagt Bühler und warnt damit vor einem Präzedenzfall und der Signalwirkung, die eine solche Bewilligung habe. Er befürchtet, dass es eine Frage der Zeit sei, bis auch in anderen dicht bewohnten Quartieren Lokale mit durchgehenden Öffnungszeiten eröffnen würden. Der Kreis 3 als Partymeile würde ähnlich wie an der Langstrasse zu Wegzügen und zu schnellen Mieter:innenwechsel führen. Dies gäbe Immobilienfirmen dann die Legitimation stetig die Mietpreise zu erhöhen. Auch äussert Eva Schumacher die Befürchtung, dass es dann vermehrt lukrative Apartmenthäuser gäbe und das Quartier vor allem für zahlkräftige Expats interessant sei.

Lärm – ein bekanntes Problem

Lärm ist eine Herausforderung für das Zusammenleben von Menschen. Was wird toleriert und wo ist die Grenze? Dass Nachtlokale in Wohnquartieren einen schweren Stand haben, zeigt das Beispiel des Minirocks. Der Club an der Badenerstrasse musste nach nicht einmal zwei Jahren im Sommer 2019 schliessen – zu viele Lärmklagen. 

«Das Minirock hat es gezeigt, es gab Auseinandersetzungen, die für alle Seiten nervenaufreibend waren. Für die Betreiberinnen, für die Nachbarschaft, für die Polizei», sagt Bühler und nennt als weiteres Beispiel das Plaza, wo es immer wieder zu Problemen zwischen der Nachbarschaft und den Betreiber:innen komme.

Eva Schumacher und Simon Bühler in der Durchfahrt zum Innenhof – sie sind um ihr Quartier besorgt. (Foto: Lara Blatter)

Am 8. März hat die IG Innenhof einen Sammelrekurs mit Unterstützung von 36 Personen eingereicht. Zwei private Hausbesitzer:innen, die Baugenossenschaft Zentralstrasse, die Bezet Genossenschaft und die Stiftung PWG hätten ebenfalls unabhängig von der IG Innenhof Rekurse eingereicht, sagt Schumacher. 

Zu laufenden Rekursverfahren gibt die Stadt auf Anfrage grundsätzlich keine Auskunft. Für die Beurteilung von Rekursen gegen Baubewilligungen ist in erster Instanz das Baurekursgericht zuständig. Mitte April erwarten die Anwohner:innen deren Antwort.

Bewilligungen sind keine Gefühlssache

Hält ein Projekt sämtliche rechtlichen Vorgaben ein, dazu gehört auch die Einhaltung des vorgeschriebenen Wohnanteils von im vorliegenden Fall 80 Prozent, dann wird grundsätzlich auch eine Bewilligung erteilt. «Das ist Rechtsgleichheit. Wenn sich ein Projekt im gesetzlich vorgegebenen Rahmen bewegt, sind wir sogar dazu verpflichtet, ein entsprechendes Gesuch zu bewilligen», sagt Lucas Bally, Kommunikationsverantwortlicher des Hochbaudepartements. Es besteht aber die Möglichkeit, die Bewilligung an zusätzliche Auflagen zu knüpfen – zum Beispiel was die maximal zulässigen Schallpegel in einem Lokal angeht.

Das Bewilligungsverfahren sei nie eine Frage von blossen Annahmen: «Nur weil man das Gefühl haben könnte, dass es schon viele Bars im Quartier hat, ist das kein Grund eine Bewilligung zu verweigern. Diese werden nicht nach Gutdünken erteilt, sondern basieren stets auf rechtlichen Grundlagen.» Es seien also in erster Linie diese Gesetze und Verordnungen, die die Interessen der verschiedenen Anspruchsgruppen berücksichtigen müssen.

«Wir wollen ja auch keine Millionen investieren und dann jeden Abend angefeindet werden.»

Markus Lichtenstein, Dicke Berta

Die Baueingabe als Fehler

Rückwirkend würde Lichtenstein die Baueingabe anders formulieren und nicht durchgehende Öffnungszeiten sowie die Kapazität für 300 Personen fordern. Dass die Quartierbewohner:innen Verbindlichkeiten wollen und es nun Kompromisse brauche, verstehe er. «Wir werden nochmals über unser Konzept nachdenken. Wir wollen ja auch keine Millionen investieren und dann jeden Abend angefeindet werden», sagt Lichtenstein.

Der IG Innenhof geht es um die Bewilligungspraxis der Stadt. Nur schon, dass durchgehende Öffnungszeiten in einem Quartier eine Option seien, sei problematisch. «Unser Appell geht an die Stadt. Sie sollen dem Charme dieses sozial gut durchmischten Quartiers Sorge tragen», sagt Eva Schumacher.

Parallel zu den Rekursen hat die IG Innenhof die Aktion «Liebe Berta» lanciert. Die Nachbarschaftsinitiative will in den nächsten Wochen den Druck auf den Stadtrat erhöhen.

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