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Von Dominik Wolfinger

Redaktor

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18. April 2017 um 08:00

Berauscht im Club und trotzdem im Theater

Du sitzt auf einem Stuhl. Deine Füsse liegen parallel, die Hände ruhen auf den Oberschenkeln. Eine Schlafmaske bedeckt deine Augen; Bilder ziehen innerlich vorbei. Du erlebst einen Trip. Am grössten Tag in deinem Leben.

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Sie verzichten auf fast alles. Es gibt kein Bühnenbild und kein Licht, keine Kostüme und Spezialeffekte. Im Fokus liegt einzig das Hören. Das Kollektiv«Group Nous» – bestehend aus den Schauspielern Patrick Slanzi und Jonathan Bruckmeier – wagt sich mit «Ich bin wach» an seine erste Performance. Zusammen mit dem Musiker Nicolas Balmer und dem Autoren Konstantin Küspert entstand eine musikalisch untermalte Lesung mit berauschendem Erlebnis. Mittels Text und Musik schicken sie das Publikum auf eine persönliche Reise. Für sie ein Statement. Eine künstlerische Reaktion auf eine medial reizüberflutete Welt. «Wir entschleunigen die Besucher unserer Performance und befreien sie von Aussensimulationen, die im Minutentakt aus Werbebannern, Laptops, Smartphones und anderen flimmernden Bildschirmen auf uns einprasseln, um wieder ein Gespür für die eigenen Bilder und Assoziationen zu bekommen» erklärt Patrick Slanzi.

Alles ist pechschwarz. Du hörst die sanfte Stimme von Patrick Slanzi. Er gibt dir Anweisungen. Du befolgst sie: Atmest tief ein und wieder aus. Dein Körper entspannt sich langsam. Du wirst ruhig. Du lässt dich ein auf das beruhigende Mantra und die sphärischen Klänge des Synthesizers. Deine anderen Sinne werden schärfer. Du spürst die Temperatur im Raum, den Stoff deiner Kleidung, das Ein- und Ausdehnen deines Brustkorbes.

Über 80 Prozent der verarbeiteten Informationen werden über den Sehsinn aufgenommen. Fehlt dieser, verstärken sich die anderen. Kanadische Forscher stellten fest, dassbei fehlendem Sehsinn selbst Tonhöhen differenzierter wahrgenommen und Geräusche besser orientiert werden. Grund genug für Group Nous auf eine klassische Darstellungsform zu verzichten. Nicht nur wollen sie, dass das Publikum eigene Bilder kreiert, auch nutzen sie Text und Klänge, um die Bilder zu lenken und Emotionen zu wecken. Dies gelingt. Denn wenn Patrick Slanzi das einleitende Mantra abschliesst und mit der eigentlichen Geschichte loslegt, bildet sich mit den verspielten musikalischen Motiven von Nicolas Balmer eine Partitur, aus der es kein Entrinnen gibt.

Du wachst auf. Deine Reise beginnt. Ein fremder Ort, ohne Zeit. Malerische Bilder flattern vorbei, Gerüche füllen deine Nase und deine Füsse spüren den heissen Sand. Grosses liegt vor dir. Der grösste Tag von allen. Du hast keine Kontrolle, kein Wissen und keine Zweifel. Willenlos hörst und siehst du, als ob ein fremder Traum deine Realität wäre.

Bewusst wählte das Kollektiv Clubräume als Aufführungsorte aus. «Und interessiert die Spannung zwischen der möglichen Ekstase eines Clubabends und der Aufmerksamkeit des In-sich-kehrens.» Damit spielen sie mit den Erwartungen des Publikums. Der Partyraum, der am Vorabend noch zum Tanz, Konsum und Zelebration einlud, wird zur Spielstätte der Imagination. Eine Setzung, die im gewöhnlichen Theaterraum an Kraft verloren hätte.

Du ziehst die Schlafmaske aus. Abrupt ziehen sich deine geweiteten Pupillen zusammen. Einige Momente vergehen. In diesen nimmst du den Raum, das Publikum und die Performer wahr. Du bist wieder zurück. Du fühlst dich ausgelaugt und atmest noch einmal tief durch. Du denkst: Ein simples Konzept mit unglaublicher Wirkung.

«Ich bin wach»

– 19. April, Photobastei (Premiere)
– 21. April, Kauz
– 25. Mai, Photobastei
– 26. Mai, Zukunft
– 23. Juni, Mehrspur

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