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19. Oktober 2021 um 04:00

«Badi 409»: Auf das Kinderheim folgt die Zwischennutzung

In ein ehemaliges Kinderheim in der Nähe vom Albisriederplatz ist wieder Leben eingekehrt. Doch nicht etwa von Kindern, wie man vermuten könnte: Die «Badi 409» ist eine von zwei neuen Zwischennutzungen, die diese Jahr in der Stadt entstanden ist. Die Menschen und Kollektive, die hier arbeiten, engagieren sich sozial und politisch. Ein Einblick.

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Im grossen Eingangsbereich bieten zwei Bänke, ein Sofa und eine Matratze Sitzgelegenheit. Hinter dem grauen Ecksofa schwebt ein violettes Transparent mit dem Symbol für weiblich, männlich und transgender. Von der Decke hängt eine weisse Papierlampe. Darin ist ein selbstgebasteltes Gesicht zu erkennen. Die Bastelarbeit ist eine von vielen Erinnerungsstücke an das ehemalige Kinderheim, in dem bis vor kurzem Kinder und Jugendliche wohnten.

Hier an der Badenerstrasse 409, drei Minuten vom Albisriederplatz entfernt, ist nun etwas Neues entstanden: Die Urban Equipe und die Raumbörse haben sich zusammengeschlossen und im leerstehenden Gebäude die «Badi 409» organisiert. Seit diesem September arbeiten verschiedene Kollektive und Menschen hier, bleiben dürfen sie voraussichtlich bis im Februar 2022. Danach soll das Gebäude abgerissen und ein neues Kinderheim gebaut werden.

Ort für sozialpolitische Kollektive und Menschen

Der schönste Raum im Haus, das «Planschbecken», befindet sich im Erdgeschoss. Den lichtdurchfluteten Raum dürfen alle Bewohner:innen gegen Nebenkosten nutzen. An der Wand hängen farbige Post-It. Ein Mitglied der Urban Equipe sammelt gerade Ideen für ein neues Projekt. Gleich nebenan hat der Verein, der sich für mehr Partizipation in der Stadtentwicklung einsetzt, ihr Büro. So auch Sabeth. Sie erzählt über die «Badi 409». «Bei der Ausschreibung waren wir auf der Suche nach Menschen oder Kollektiven, die sich im sozialen oder politischen Bereich engagieren». Dies sei auch ganz im Sinne des Evangelischen Frauenbunds Zürich, dem dieses Haus gehört. Ausserdem sei ihnen wichtig gewesen, dass hier Menschen jeglichen Alters einen Raum mieten dürfen.

Rund 100 Personen teilen sich nun das 1'400 Quadratmeter grosse Haus, das in sechs Atelier-Cluster unterteilt ist. Ein Cluster umfasst fünf bis sechs Zimmer, sowie ein Bad und eine Küche. Die Cluster sind nach Tiernamen benannt, auch ein Überbleibsel der jungen Bewohner:innen. Ein Zimmer kostet etwa 100 Franken im Monat. Auch die Keller werden benutzt, um Kunst aufzubewahren, zu basteln oder zu werken. Auch ein Fahrrad, das jeweils Ende Monat an der Critical Mass seinen Einsatz hat, findet im Keller seinen Platz.

Ein Rundgang durch das zweistöckige Haus:

Mieter:innen schätzen den Austausch

Ein Blick in «Delfin»: Der erste Raum im 1. Stock ist liebevoll eingerichtet: Mätteli und farbige Kissen sind auf dem Boden ausgebreitet. Der Ort lädt zum Verweilen ein. Hier, hinter der stets offenen Tür, befindet sich das Kollektiv «Empathie Stadt Zürich». Evelyn erzählt mir, dass die Hausbewohner:innen den Raum benützen dürfen, wenn ihnen danach ist: egal ob für kurze oder lange Ruhemomente, Meditation oder um seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Evelyn sitzt gleich im Zimmer nebenan an ihrem Schreibtisch und tippt fleissig an ihrem Laptop. Ihr junger Vorgänger hat an die Decke des Zimmers Leuchtsterne geklebt. «Ich arbeite unter einem Sternenhimmel», sagt sie und lacht. An der Wand hinter ihr steht eine grosse Leinwand, daneben liegen Ölfarben.

Die 31-Jährige hat gerade ihren Master in Literarischem Schreiben in Bern begonnen, nachdem sie ihr Kunststudium erfolgreich abgeschlossen hat. Da sie nicht nur das Studium, sondern auch eine neue Stelle angetreten hat, ist die Zwischennutzung die ideale Lösung für sie. So muss sie sich noch nicht festlegen, wo sie ihren zukünftigen Arbeitsplatz haben will. Obwohl: Von hier weg gehen, möchte sie eigentlich gar nicht. Sie schätzt den Austausch mit den anderen; dass sie sich von ihnen inspirieren lassen und ihre Meinung einholen kann. Auch die Idee mit den Clustern findet sie grossartig: «Das bringt Menschen näher zusammen.»

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Ein Blick in «Summervögel»: Auf einer gelben Tür im 2. Stock steht in schwarzen Grossbuchstaben «Vo Da». Das Kollektiv spricht in der Öffentlichkeit, beispielsweise an Schulen, über Rassismus und Diskriminierung. Ein Mitglied des Kollektivs sitzt hinter der gelben Tür an einem Holztisch, der ihnen als Sitzungszimmer dient. Hier sammeln und diskutieren sie Ideen für Projekte. Gleich daneben arbeitet Leiv. Leiv's Zimmer steht offen. Er sitzt an seinem Schreibtisch, vor ihm sein Mac, hinter ihm ein schwarzes Ledersofa und gleich daneben ein DJ-Pult. Der 24-Jährige ist Teil des Kollektivs «Distressed Public».

Mit Musik und Mode mischen sie das Zürcher Stadtleben auf und veranstalten Events, wie Partys oder Podiumsdiskussionen. Auch er schätzt den Austausch mit Gleichgesinnten. Das Kollektiv hat auch einen Atelierraum gemietet: Im Zimmer stehen zwei Nähmaschinen und auf Tischböcken stehen lange helle Holzplatten. An einer Kleiderstange hängen ausgefallene Outfits für Theateraufführungen, an der anderen die aktuelle Herbstmode des Kollektivs.

Sehnsucht nach einem sicheren Arbeitsplatz

Ein Blick in «Stern»: Luca steht am Fenster und dreht sich eine Zigarette. Das Zimmer ist fast leer. Der 38-Jährige ist gerade aus seiner Reise nach Italien zurückgekommen und verbringt seinen ersten Nachmittag hier. Auf dem Boden sind schön säuberlich zugeschnittene Lederstoffe ausgelegt. Aus diesen möchte Luca Brillenetuis herstellen. Anfänglich wollte er den Raum nutzen, um Brillengestelle anzufertigen. Für ihn stellte sich jedoch heraus, dass der dafür erforderliche Aufwand zu gross wäre; Maschinen und Werkzeuge beschaffen, hertransportieren und einzurichten, das würde sich für sechs Monate nicht lohnen. Luca arbeitete bereits in diversen Zwischennutzungen. Die «Badi 409» wird wohl seine letzte Zwischennutzug sein. «Ich wünsche mir einen Ort, an dem ich langfristig arbeiten kann», sagt er. Ausserdem würden auch die Mieten von Zwischennutzungen stetig steigen, diese könne er sich nicht mehr leisten.

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Ein Blick hinter die letzte Tür im Erdgeschoss: Sam hat gerade Tee gemacht und bietet gleich ein «Täfeli» an. Der 39-Jährige ist Lehrer an der Zürcher Hochschule der Künste und in der Theaterkommisson der Stadt Zürich tätig. In der «Badi 409» arbeitet er mit einer Freundin für das «About us» Festival. Von seinem Fenster blickt er in den grünen Innenhof des Gebäudes. «Was hier entstanden ist, finde ich grossartig; die grossen Räume, die Bewegungsfreiheit, aber auch die regelmässigen Hausversammlungen», sagt Sam. An diesen Zusammenkommen treffe er auf Menschen mit anderen Interessen als die seinen. Dass er dadurch neue Perspektiven und Inputs kriegt, schätzt er besonders.

Zum Abschied lacht mich das Gesicht in der weissen Papierlampe wieder an. Lustigerweise, so erfahre ich später, ist ausgerechnet dieses Gesicht kein Überbleibsel der Kids; die lachende Begrüssung ist mit dem Einzug der «Badi 409» entstanden.

Du willst mehr über Kollektive erfahren? Et voilà:

Serie «Zürcher Kollektive»
Immer mehr Menschen dieser Stadt schliessen sich zu einem Kollektiv zusammen. Für diese Serie wollten wir im vergangenen Jahr wissen: Was treibt diese Menschen an? Wie gehen sie mit Entscheidungsprozessen um? Wie haben sie, die das kulturelle Leben dieser Stadt prägen, das erste Corona-Jahr gemeistert? Und was planten sie trotz der widrigen Umstände?

1. Was ist eigentlich ein Kollektiv?
2. Urban Equipe
3. Ziegel oh Lac
4. Organ Tempel
5. Zentrum für kritisches Denken
6. Jungthaeter
7. Vo da.
8. Literatur für das, was passiert
9. F 96
10. Tempofoif
11. Regula Rec
12. Lauter
13. Tauchstation
14. Radio Megahex
15. Fagdom
16. #RFSC
18. Czarnagora

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