Ausstellung «Natur. Und wir?» – wo Staunen noch möglich ist

Kategorisiert, katalogisiert, in Schaukästen geordnet, erlegt und als Präparate und Trophäen unschädlich gemacht: So hat sich der Mensch die Natur über Jahrhunderte fassbar und verstehbar gemacht. Über diese Bilder tritt man ein in die Ausstellung “Natur. Und wir?” im Stapferhaus. Die Natur ist Bedrohung, ist zu ordnen, ist zu schützen. Aber ist das alles? 

Vom nüchternen, archivalischen ersten Raum taucht man in den Hauptsaal mit den acht Themenpavillons ein und weiss sofort: Nein, das ist nicht alles. Der dunkel gehaltene Saal erinnert an die Weite des Weltalls. Auf Stoffbahnen und hohen Stelen werden Satellitenbilder projiziert und Nahaufnahmen etwa von einem Spinnennetz oder von einer Schneelandschaft. Die Makro- und Mikroperspektiven zeigen, dass die menschliche nur eine Sicht auf die Komplexität der Natur ist – und auch diese kennt unterschiedliche Perspektiven.

Immer wieder wird das Publikum mit Fragen konfrontiert: Was ist Natur? Sind wir Teil von ihr oder ist sie Teil von uns? Sei es bei einer Station, wo es um jene Tiere geht, die uns Gefährten sind, wie etwa Blindenhunde. Oder im Pavillon, der einen Basilikum beherbergt: Die Pflanze reagiert mit elektrischen Impulsen auf Berührungen, die in Ton- und Bildsignale umgewandelt werden. Die Antworten auf die dabei aufgeworfenen Fragen sind entscheidend, denn mit unserer Haltung zur Natur stellen wir Menschen die Weichen für die Zukunft.

Ein Beitrag zur Demokratie

Die interaktive Ausstellung setzt undogmatisch bei jedem einzelnen an. Es kommt hier noch nicht darauf an, wie man zur Klimakrise und den Lösungen dazu steht. Vielmehr geht es um das Sich-Auseinandersetzen mit etwas viel Grundsätzlicherem. Das Stapferhaus möchte gesellschaftliche Themen aufgreifen und zum Diskurs anregen – als Beitrag zur Demokratie. Gerade bei einem politisch so geladenen Thema wie der Klimakrise sind die Meinungen häufig schon gemacht, höchst emotional und festgefahren. Die Ausstellungsmacher:innen versuchen deshalb, die Leute thematisch eine Stufe vorher abzuholen, dort, wo neugieriges Entdecken und Staunen noch möglich sind. Und gestaunt wird: Zum Beispiel über den Boden eines Ausstellungsraumes, der aus Pilz gezüchtet ist. Oder darüber, dass die Ausstellung barfuss begangen werden kann und welchen entschleunigenden Effekt dies hat.

Die Ausstellung berührt die Menschen auf eine Weise, die über blosse Informationsvermittlung nicht erreicht wird. Viele Leute verlassen die Ausstellung in einer andächtigen Stimmung, wie nach einem Besuch in einer Kirche. Das Gefühl erinnert an die Erhabenheit der Natur, die man mitten im Wald oder auf einem Berggipfel spürt. 

Vom kritischen Zustand der Erde

Dass wir Menschen diese Natur kaputtmachen, das wird in der Ausstellung aber nicht ausgeklammert: Im Zentrum des Ausstellungsraumes wird zum Beispiel gezeigt, wie viel Müll an einem Tag aus der Limmat gefischt wird und wie viele Mastküken täglich geschlachteten werden. Zeitzeug:innen erzählen, was die Klimakrise für ihren Alltag bedeutet.

Wie nun aber weiter? Eine Videoinstallation zur Klimadebatte regt am Schluss der Ausstellung zum Gespräch an. Die Besucher:innen hören ihre eigenen Argumente zum Umgang mit der Klimakrise, die Gegenpositionen und dann neue Ansätze. Das hilft, dass man sich nicht in eine Ecke gedrängt fühlt, dass man offen zuhört, nochmals vorbehaltlos und selbstkritisch mitdenkt. Denn am Schluss der Ausstellung wird man auf sich selbst zurückgeworfen mit der Frage: «Welche Spuren hinterlässt du?»