Aufwertung der «Piazza Cella»: Die Piranha Bar soll einem Coop weichen - Tsüri.ch #MirSindTsüri
account iconsearch
Von Isabel Brun

Redaktorin

emailwebsite

20. März 2023 um 05:00

Salat statt Shisha: Die «Piazza Cella» bekommt ein neues Gesicht

Der Club Zukunft und die Piranha Bar: Beide Kultlokale des Langstrassen-Quartiers müssen per Ende März 2024 ihre Tore schliessen – zugunsten von Wohnraum und einem grossen Detailhändler. Das wird auch Auswirkungen auf die «Piazza Cella» haben, die heute nicht nur von Feiernden als Treffpunkt genutzt wird.

Coop Pronto statt Piranha Bar? Alles deutet darauf hin. (Foto: Elio Donauer)

Wenn die Nacht über Zürich hereinbricht, verändert sich auch die Atmosphäre auf der Piazza Cella. Dann wird der Platz an der Ecke Lang-/Dienerstrasse zum Treffpunkt für Feierwütige und Einzelgänger, für Dealer und Sexarbeitende, Alkoholtrinkende und Kokskonsumierende. Nervös blinken die farbigen Lichter der umliegenden Lokale in der Dunkelheit, laute Reggaeton-Musik rauscht vorbei.

Kaum ein Ort in der Stadt erinnert mehr an das Lebensgefühl, das einen in fremden Städten überkommt als die Piazza Cella an einem lauen Sommerabend. Noch ist März, die meisten Besucher:innen tragen ihre Winterjacken, viele von ihnen wissen nicht, dass dem Platz ein Wandel bevorsteht. 

Restaurant ja, Club nein

Per Ende März 2024 müssen der Club Zukunft und die Piranha Bar ihr Feld räumen. Ersterer kommunizierte schon früh; installierte eine Uhr auf seiner Webseite, welche die Tage zählt, die den Betreibern und Clubgäst:innen noch bleibt. Heute steht die Zahl 377. Man habe ihnen angeboten zu bleiben, erzählt Co-Geschäftsleiter der «Zuki», Alex Dallas, am Telefon, allerdings wäre nur noch eine Bar oder ein Restaurantbetrieb möglich gewesen: «Das entspricht nicht unserem Konzept. Wir möchten unseren Besucher:innen eine diverse Kultur anbieten.» Deshalb müssten sie sich nun «schweren Herzens» nach einem anderen Standort umsehen. 

18 Jahre lang kamen und gingen an der Dienerstrasse 33 Partygäst:innen – in einem Jahr ist damit Schluss. (Foto: Elio Donauer)

Man muss keine Fachperson sein, um zu verstehen, dass in erster Linie aufgrund von  gefürchteten Lärmbelästigungen kein Nachtclub mehr in die Dienerstrasse 33 soll. Wie Dallas sagt, wird das Haus nach ihrem Auszug abgerissen und ein neues gebaut. Die Kornhaus Verwaltung bestätigt: Geplant sind Wohnungen. Wie viele genau und in welchem Preissegment lässt sich jedoch nicht herausfinden. Der Verantwortliche sei gerade in den Ferien, heisst es an der anderen Leitung. Die Eigentümerin des Grundstücks, die AM Partner Immobilien AG, ist nicht zu erreichen. Was nicht erstaunt, denn hinter dem unscheinbaren Namen der Aktiengesellschaft verbirgt sich ein nicht gänzlich Unbekannter. 

Ein Coop Pronto für die Langstrasse?

Arnold Meier wurde zusammen mit seinem Bruder Werner zum Millionär. Die beiden bauten in den 80er-Jahren ein erfolgreiches Taxiunternehmen auf und investierten zur richtigen Zeit am richtigen Ort – in Immobilien in der Stadt Zürich. Eine Recherche von Tsüri.ch aus dem Jahr 2020 zeigt: Alleine an der Langstrasse gehören drei Grundstücke mit einer Gesamtfläche von über 1700 Quadratmetern der AM Partner Immobilien AG. So auch die Langstrasse 94, die an das Haus an der Dienerstrasse angrenzt. Heute wird dort im Erdgeschoss mexikanisches Bier ausgeschenkt und Shisha mit Erdbeergeschmack geraucht. Die Piranha Bar hat Kultstatus. Seit 23 Jahren wird das Lokal, das an die Piazza Cella angrenzt, von Orhan Öztas geführt. Es sei traurig, dass die Bar nach so vielen Jahren schliessen müsse, sagt Öztas. Eine Piranha Bar 2.0 wird es, zumindest in Zürich, nicht mehr geben – zu einzigartig sei die Lage an der Piazza Cella.

Erinnert an die Zeit, als 50 Cent mit «Candy Shop» durchgestartet ist: Das Innenleben der Piranha Bar. (Foto: Elio Donauer)

An jenem Abend im März bleiben die weissen Ledersofas leer. An der Theke steht eine Gruppe junger Männer, die Barkeeperin spricht auf Spanisch zu ihnen. Im Raucherbereich sitzt ein Paar vor ihrer Shishapfeife. Es läuft Rapmusik aus den 2000er-Jahren. Ein Besuch in der Piranha Bar gleicht einer Reise in jene Zeit, in welcher dieser Dancefloor voll und die Klamotten knapp gewesen waren.

Per Zufall ist der Geschäftsleiter im Laden. Er trägt Bomberjacke und Jeans. Auf das «Piranha» werde eine Filiale eines grossen Detailhändlers folgen, sagt er. Das hatte auch Alex Dallas vom Club Zukunft gesagt. Um wen es sich dabei genau handelt, wollen die beiden nicht verraten. Es sei noch nicht spruchreif. Die Kornhaus Verwaltung bestätigt zwar, dass nach der Sanierung des Gebäudes ein Lebensmittelgeschäft einziehen soll, behauptet jedoch, dass noch nicht klar sei, wer das sein wird. Andere erzählen mehr: Ein Coop Pronto soll es werden. 

Auf Anfrage verweist der Coop-Mediensprecher auf die Eigentümerschaft. Eine Sackgasse. Da jedoch sowohl Migros als auch Migrolino bestätigen, dass sie keine Filiale an der Langstrasse 94 eröffnen werden, stehen die Zeichen gut, dass es tatsächlich ein Coop-Ableger werden könnte.

So oder so, ob Migros oder Coop, Aldi oder Denner: Die Piazza Cella wird sich durch den Wegzug der beiden Nachtlokale verändern. Wie genau, zeigen Aufwertungen in ähnlichen Quartieren.

Eine turbulente Vergangenheit

Es ist noch nicht lange her, als die Szenerie auf dem Idaplatz im Kreis 3 jener der Piazza Cella glich. Hier trafen sich Menschen mit Suchtproblematiken und Jugendliche zum Vorsaufen. In den Nullerjahren begann sich das Quartier zu wandeln. Die Spelunken wurden durch hippe Cafés ersetzt, die Häuser renoviert und um einiges teurer vermietet, die Strassen beruhigt, der Platz entsiegelt und verschönert. Einzig der Lärm sei geblieben, so Anwohnende in einem Beitrag auf Tsüri.ch zur Aufwertung des Idaplatz-Quartiers aus dem Jahr 2017.

Der nächtliche Krach wird wohl auch der Piazza Cella erhalten bleiben, auch nachdem die Piranha Bar und die «Zuki» verschwunden sind. Und irgendwie passt das auch zur bewegten Geschichte des Platzes an der Langstrasse. Einst stand an der Ecke ein Haus. Während der eine Teil – die Nummer 94 – im Jahr 1952 erneuert wurde, riss man die Nummer 98 im Jahr 1956 ab. Weshalb danach an dem Ort kein neues Gebäude entstanden ist, bleibt unklar. So entstand ein namenloser Platz, der Jahre später mit einigen Parkbänken versehen wurde. Damals nannte die Stadt sowas noch «Aufwertung».

Die Ecke Lang-/Dienerstrasse im Jahr 1946. Damals stand noch ein Gebäude auf der Piazza Cella. (Foto: Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich)

Im Jahr 1952 wurde ein Teil des Hauses erneuert. (Foto: Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich)

Die Langstrasse 94 im Jahr 1954. Das Haus links wurde zwei Jahre später abgerissen. Es entstand ein Platz, der jahrelang keinen Namen hatte. (Foto: Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich)

Erst als 2008 der Türsteher Angelo D. mit fünf Schüssen an dem Ort ermordet wurde, sollte der Platz endlich ein Gesicht erhalten. Ein politischer Vorstoss forderte den Namen «Piazza Angelo», die Strassenbenennungskommission hingegen sprach sich schliesslich für «Piazza Cella» aus. In Anlehnung an Erminia Cella. Die italienische Einwanderin führte gemeinsam mit ihrem Mann Enrico Dezza bis in die 50er-Jahren das Restaurant Cooperativo an der Militärstrasse, das als Treffpunkt der antifaschi­stischen italienischen Emigration galt. Ein grosser Name für einen kleinen Platz. 

Ein teurer Trend

Seit der Eröffnung der Piazza Cella 2009 hat sich einiges getan im Kreis 4. Vor allem was die Mieten betrifft. Von einer Welle der Gentrifizierung ist die Rede, die den «Chreis Cheib» regelrecht überschwemmt. So musste beispielsweise das Familienunternehmen «Peter & Vreni» an der Langstrasse im Jahr 2019 aufgrund einer Verdoppelung des Mietzins einen Teil seiner Ladenfläche aufgeben. Dass danach ausgerechnet ein Take-Away der Migros ein- und nach wenigen Monaten wegen schlechten Umsätzen wieder auszog, sorgte für viel Unverständnis bei den Quartierbewohner:innen. Dabei ist der «orange Riese» auch ohne diesen Shop omnipräsent an der Langstrasse – auch wenn es nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist. Das zeigte erst vor kurzem eine Recherche von Tsüri.ch.

Abreissen statt aufreissen lautet das Motto an der Dienerstrasse 33 ab März 2024. (Foto: Elio Donauer)

Die Dominanz grosser Konzerne führe zu einer Homogenisierung eines ganzen Stadtteils, was wiederum der Urbanität schaden würde, so die Stadtforscherin Ilana Apostol im Beitrag: «Das Langstrassenquartier wird zerstört werden, wenn dieser Trend anhält.» Doch dieser Trend scheint ungebrochen. Auch die Lambada Bar, schräg gegenüber der Piazza Cella, soll ihre Türen bald für immer schliessen müssen. Versuche, die Gerüchte zu verifizieren, scheitern zwar, aber es würde niemanden erstaunen, wenn sie stimmten. Teure Mieten können sich die wenigsten Barbetreiber:innen leisten.

Aus dem Quartier verdrängt

Immerhin das geschichtsträchtige «Longstreet», das ebenfalls an den Platz angrenzt, wird uns noch eine Weile erhalten bleiben. Das heisst es zumindest auf Anfrage. Trotz des kleinen Lichtblicks wird sich die Atmosphäre auf der Piazza Cella durch mehr Kommerz verändern.

Die Eigentümerin des Grundstücks, auf dem die Longstreet Bar steht, scheint keine neue Pläne zu haben. (Foto: Elio Donauer)

Dass sich eine Ausstrahlung wie der Platz heute trägt, nicht so leicht in einem anderen Stadtteil finden lässt, ist sich Alex Dallas bewusst: Der Club Zukunft sei eng mit dem Quartier verbunden. Der zentrale Standort, die belebte Strasse; so etwas gäbe es sonst nirgends in Zürich, so Dallas: «Wir hatten lange mit dem Kasernenareal geliebäugelt, aber die Stadt machte schliesslich doch einen Rückzieher.» 377 Tage bleiben ihnen noch, dann müssen sie aus der Dienerstrasse 33 ausziehen. Der Clubbetreiber gibt sich wenig optimistisch, dass sie bis dahin eine Lösung gefunden haben. 

Orhan Öztas hingegen will seine Zelte in der Stadt gänzlich abbrechen und in Winterthur ein neues Lokal eröffnen. Die Piranha Bar in Zürich wird bald Geschichte sein. Die Welle der Gentrifizierung; sie macht auch vor der Piazza Cella nicht Halt. Auch wenn das Lebensgefühl an diesem Abend im März anderes vermuten lässt. 

Das könnte dich auch interessieren