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27. Oktober 2017 um 08:32

«Annabelle» lädt zur Männerdebatte: Fünf Männer erklären 300 Frauen die Welt

Frauen trinken Champagner, Männer Bier aus der Flasche. Und dann reden wir.

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Was macht man denn so an einem Montagabend in Zürich? Ins Kino gehen, in der Boschbar ein psychodelisches Drum ‘n’ Base Konzert hören, im Theater Neumarkt Michel Houellebecq schauen, zu Hause bleiben und Pizza von Avanti bestellen, denn die sind jeden Montag halber Preis. Oder man geht an eine Soirée im Park Hyatt Hotel und diskutiert dort mit einem Glas Champagner in der Hand über Männer.

Man fragt sich, ob wir wirklich schon wieder über Männer reden müssen. Eigentlich ist es eher «immer noch» als «schon wieder», denn die Debatte über die männliche Identität und deren Rolle in der Gesellschaft scheint kein Ende zu finden. Die Frauenzeitschrift «Annabelle», genauer gesagt Chefredaktorin Silvia Binggeli, lässt die Männer sich nun selber erklären und stellt sie auf ein Podium, während die Frauen zuhören – und Champagner trinken. Die Idee funktionierte, die Soirée zum Thema «Baustelle Mann» war ausverkauft, der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt.

Um Sieben soll’s losgehen, aber um zehn vor Sieben sitzen schon alle. Das Publikum besteht fast ausschliesslich aus Frauen jeden Alters, die erwartungsvoll nach vorn schauen. Man hat sich hübsch gemacht, die Kleider sind frisch gebügelt, die Haare geföhnt, die Stiefeletten poliert. Lippenstift, Mèches und dezentes Parfüm.

Dann kommen die Männer, einer nach dem andern, in den Saal: Der Autor Michalis Pantelouris hat ein Buch geschrieben, nachdem ihm das Herz gebrochen wurde. Titel: «Liebe zukünftige Lieblingsfrau». Seit das Buch publiziert wurde, hat er tausende Liebesbriefe erhalten, ist aber immer noch Single. Iouri Podladtchikov, der Snowboardprofi, der gerade einen Bildband publiziert hat mit dem Titel «True Love is Hard to Find», ist auch Single. Der Psychologe Markus Theunert ist nicht Single und der (Annabelle)-Redaktor Sven Broder ist schon zwanzig Jahre lang verheiratet. Zuletzt kommt Marco Caimi, der die erste «Männerpraxis» in der Schweiz gegründet hat, «weil auch Männer eine Anlaufstelle brauchen. Nicht nur für gesundheitliche Themen, auch für andere Fragen.»

Silvia Binggeli darf sich in die Mitte setzen und dann werden die Flaschenbiere auf dem Salontischchen aufgemacht.

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Es ist mucksmäuschenstill im Saal. Dreihundert Frauen schweigen und warten. Die Champagnergläser sind leer. Man will nur endlich hören, was jetzt Sache ist.

Dann geht’s los, dann wird diskutiert. Der Männerarzt sagt: «Mir sind ja alles nur Mänsche. Und mir Männer sind ganz spezielli Mänsche.» Ja, aber wie jetzt genau? «Wollt ihr erobert werden oder wollt ihr lieber erobern?», fragt Binggeli. «Was gefällt euch an den Frauen? Was beängstigt euch?» Der Journalist gesteht, er findet es erstaunlich, «wie gross eure Handtaschen sind und dass ihr die zum Mittagessen mitnimmt und ständig etwas darin sucht und dann behauptet, ihr seid eher praktisch veranlagt». Iouri sagt, er wisse es nicht genau, ihm gefallen verschiedene Sachen, aber Silvia Binggeli beispielsweise «schnuft so schön». Er sitzt neben ihr und lehnt sich gar weit über die Armlehne des Sessels. Das Publikum lacht.

Der Psychologe stellt fest, dass die Frage nach der Männlichkeit nicht geklärt sei, denn «das mit dem Aussitzen» funktioniere irgendwie nicht, schliesslich sei schon die dritte Frauenbewegung über die Bühne und die Männerbewegung lasse immer noch auf sich warten. Da bezieht der Autor Stellung und erklärt: «Man könnte fast alle Probleme der Welt darauf herunterbrechen, dass Männer Angst haben vor Frauen.» Sogar der IS funktioniere so: Man strebe nach einem mit Jungfrauen gefüllten Paradies. Auch der US-Amerikanische Präsident funktioniere so, wenn er sagt, sein Penis sei lang genug für das Präsidentschaftsamt. Alles wäre gut, wenn Männer keine Angst vor Frauen haben müssten. Friede würde einkehren. Weltfriede.

Aber wie sieht das denn genau aus mit dieser Angst, warum haben Männer Angst vor Frauen? Iouri rauft sich die Haare und stellt fest: «Ich weiss nöd, ich han nur Brüscht im Chopf», und es ist ziemlich klar, wessen Brüste damit gemeint sind. Das Publikum applaudiert, die Männer lachen, Silvia Binggeli lacht auch, aber ein wenig tadelnd. Dann reisst sich der Klassenclown kurz zusammen und stellt fest: «Angst davor, ignoriert zu werden von der Frau, von der man nicht ignoriert werden will.» Noch ein Applaus.

Das ist eine gute Antwort, aber so weit waren wir doch auch schon mal. Die Angst vor Ablehnung als grösste Angst des Menschen, das ist nichts Neues.

Wie sieht’s denn aus mit Vaterschaftsurlaub oder mit Vater werden grundsätzlich? Was ist mit der Vaterrolle passiert? Wie sieht die aus, wenn der Papi zwar keinen Vaterschaftsurlaub bekommt, aber trotzdem von ihm erwartet wird, dass er mehr ist als nur der Versorger? Das weiss man nicht so genau. Der Psychologe sagt, es brauche Vaterschaftsurlaub, der Autor sagt, es brauche auch eine «Achtzig Prozent Frauenquote in öffentlichen Ämtern». Der Männerarzt sagt, so etwas Blödes, eine Achtzig Prozent Frauenquote, habe er noch nie gehört.

Der Journalist sagt, er versteht nicht, warum nicht mehr Männer einen Familienwunsch haben und diesen auch ausleben. Es gebe keinen Tag, wo er sich nicht freut, nach Hause zu kommen und seine Frau und seine Kinder zu sehen. Dagegen gibt der Autor zu bedenken: «Glück wird oft verwechselt mit einer Situation, die bequem ist.» Das bricht eine Diskussion darüber vom Zaun, ob die Menschheit in unseren Breitengraden denn eigentlich zufrieden ist. Der Journalist meint, die Menschen seien am Morgen im Tram schon genervt, und Iouri meint, das stimme nicht. Aber vielleicht fährt er auch zu einer späteren Stunde Tram als ein Redaktionsmitglied.

Dann wird noch über vieles geredet wie beispielsweise über die Weinstein-Debatte und die Triebhaftigkeit der Männer. Auch da waren wir schon: Männer seien triebgesteuert, könnten nicht mehr denken, wenn ein Decolleté vor ihnen sitzt. Das sehen die einen als Affront, die Andern als Vorteil, den es auszunutzen gilt. Aber schlimm ist es eigentlich nicht, ausser es führt zum Missbrauch. So weit, so gut. Auch da waren wir schon einmal und trotzdem lauscht das Publikum noch immer wie gebannt. Man kann die Person neben sich atmen hören, so still ist es.

«Habt ihr noch eine Botschaft an uns Frauen?», fragt Silvia Binggeli. Leider geht einem die Zeit aus. Es ist schon fast halb Neun, wir müssen zum Schluss kommen. «Macht nicht hunderttausend Sachen auf einmal», sagt der Journalist, «versucht nicht ständig, alles unter einen Hut zu bringen. Entscheidet euch für etwas und macht das mit Leidenschaft.»

«Macht das, was ihr liebt», sagt Iouri, «So haben wir euch am Liebsten.»

Der Autor denkt kurz nach und erzählt eine Geschichte von einem Blumenstrauss, den er einer Frau schenkte, weil sie einen wollte, aber als sie ihn dann bekam, war sie wieder nicht zufrieden, weil sie danach fragen musste. Zum Schluss stellt er fest: «Frauen könnten trotzdem die Welt besser machen, indem sie sagen, was sie wollen.»

Das gibt einen zünftigen Applaus. Die Flaschenbiere sind leer. Die Frauen dürfen aufstehen und mehr Champagner holen. Die Männer dürfen sich ins Publikum gesellen.

Und was lernt man daraus? Ist die Männerdebatte jetzt geklärt? Nein. Aber es sagt schon einiges aus, dass dreihundert Frauen eineinhalb Stunden lang die Luft angehalten haben um fünf Männern zuzuhören, die über «Baustelle Mann» reden. Vielleicht dass Frauen nicht nur öfter sagen sollten was sie wollen, aber auch mehr zuhören sollten. Genauer gesagt: Dass sie eigentlich zuhören wollen. Und wenn man lange genug zuhört, bekommt man irgendwann eine Antwort. Eineinhalb Stunden reichen dafür vielleicht nicht, aber wir haben ja genug Zeit. Und zuhören kann man auch, wenn man am Montagabend eine Pizza auf dem Sofa isst oder in der Boschbar an der Theke steht und Bier trinkt.

Das mit dem Zuhören funktioniert übrigens auch für Männer. Und für die Menschheit im Allgemeinen.

Fotos: Andrea Ganz

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