Ein:e Aktivist:in fragt: «Wie können wir als Gruppe zugänglich bleiben für neue Mitglieder?»
Bist du im Vorstand eines Vereins, der Nachwuchs sucht? Bist du Teil eines aktivistischen Kollektivs, welches noch Verstärkung braucht? Engagierst du dich in einem Kultur- oder Freiraum, der offen sein will für alle, aber keine:r kommt? Für diese Kolumne suchte die Urban Equipe nach Tipps für mehr Zugänglichkeit.
Illustration: Anna Brückmann
Von Urban Equipe.
Bestimmt kennst du das: Du traust dich endlich mal zu einem Treffen der Gruppe, die du schon lange aus der Ferne toll findest. Doch dann stehst du irgendwo am Rande oder sogar im Weg rum, weisst nicht, was es anzupacken gibt, oder hältst dich an deinem Pappteller am Buffet fest und denkst dir: Shit, jetzt muss ich eine Person ansprechen oder steh hier für die restliche Zeit dumm rum – und die kennen sich ja irgendwie alle schon. Kommt dir bekannt vor? Dann mach es in deiner eigenen Gruppe, in deinem Verein besser!
Du fragst dich, wie das geht? Das fragen sich viele Aktivist:innen. Wir haben Tipps gesammelt, die bei uns oder anderen schon mal gut funktioniert haben.
«Was sind erste Schritte für mehr Zugänglichkeit?»
- Frag deine Mitstreiter:innen, wie es für sie war, dazu zu stossen. Was hat ihnen dabei geholfen, was war schwierig? Und versuch auch dich zu erinnern, wie es für dich selbst war, das neue Mitglied mit dem Pappteller zu sein.
- Kommuniziert klar, wer, wo, wie mitmachen kann – und auch wer nicht – und zwar so, dass diejenigen es auch mitbekommen, für die ihr zugänglich sein wollt (also in deren Sprache, in deren Räumen oder auf deren Kommunikations-Kanälen). Next Level: Bietet Anknüpfungspunkte in unterschiedlichen Intensitäten und verschiedene Mitmach-Möglichkeiten, sodass für alle Menschen mit diversen Zeitressourcen, Fähigkeiten und Interessen etwas dabei ist.
- Definiert klare Ansprechpersonen pro Anlass, die auf neue Mitglieder zugehen, sie ansprechen und quasi an die Hand nehmen; ihnen erzählen worum es euch geht, ihnen eure Abläufe, Regeln und Begriffe erklären, sich beim Mittagessen zu ihnen setzen. Diese Personen könnten auch mal bei den Neuen nachhaken, falls diese nicht zum nächsten Treffen erscheinen.
«Mit welchen Aktivitäten können wir Interessierte einfach einbinden?»
- Organisiert Essen und Partys, da traut sich auch hin, wer einfach mal reinschnuppern will, ohne sich gleich zu verpflichten oder gar Verantwortung zu übernehmen. Kochen, Essen und Feiern ist ausserdem etwas, was wir fast alle können, was keine grossen Vorkenntnisse braucht. Und es ist von sich aus etwas geselliges, bei dem wir ins Gespräch kommen. Wer so neu dazukommt, könnt ihr dann ansprechen und in Kontakt kommen.
- Gemeinsames Machen motiviert und verbindet! Drückt neuen Mitgliedern sofort einen Hammer oder eine Kelle in die Hand und gebt ihnen eine einfache Aufgabe ohne viel Verantwortung. Gut sind auch Aufgaben, die keine:r alleine schafft, zum Beispiel etwas aufhängen oder tragen. Wer etwas zu tun hat, fühlt sich nützlich statt verloren, und wer gemeinsam anpackt, fühlt sich sofort als Kompliz:innen.
«Was können wir tun, wenn wir schon erste Erfahrungen mit Zugänglichkeit haben, aber noch mehr ausprobieren wollen?»
- Macht wichtige Infos verfügbar, zum Beispiel in einem gemeinsamen Chat, mit Manifest und Hausregeln an der Wand oder durch Protokolle in einer gut strukturierten Datenablage. So erspart ihr Neuen, sich blöd und ahnungslos zu fühlen, oder ständig jemand fragen zu müssen.
- Denkt Offenheit auch räumlich: Offene Türen statt geschlossene, runde Stuhlkreise statt Rednerpult vor Publikum, Rampe statt Leiter, Licht und Übersicht statt dunkle, unheimliche Ecken, einfach verständliche Signaletik.
Intern zugänglich sein ist nochmal eine ganz andere Nummer. Dann müsst ihr euch mit eurer Struktur beschäftigen, mit Hierarchien und Machtverhältnissen, mit der Verteilung von Wissen und Zeitressourcen. Weil das hier nur eine Kolumne und der Platz beschränkt ist, verweisen wir an dieser Stelle auf unser 350-seitiges Handbuch «Organisiert euch!» ab Seite 45. Aber sowieso gibt es – wie überall – keine Universallösung. Eine Gruppe, die offen und zugänglich sein will, hat diese Arbeit nie erledigt, wird das nie auf der To-Do Liste abhaken können. Wer das ernst meint, muss dran bleiben und sich immer wieder neu damit beschäftigen.
Am allerschwersten ist es, Hürden abzubauen, die ausserhalb deines Blickfeldes liegen: So taucht beispielsweise jemand, der ausserhalb wohnt und kein Geld für ein Zugbillet hat, gar nicht erst bei euch auf. Wer kein Internet hat, macht nicht bei eurem Online-Tool mit. Wer Zuhause eine Grossfamilie betreuen muss, hat keine Zeit sich einzubringen. Wer nicht eure Sprache(n) versteht, weiss gar nicht erst, dass es euch gibt. Wer einen ungewissen Aufenthaltsstatus hat, kann es sich oft nicht leisten, sich aktivistisch zu exponieren. Und wer Diskriminierungs-, Gewalt- und Stigmatisierungserfahrungen gemacht hat, fühlt sich in eurem Rahmen vielleicht nicht willkommen oder sicher. Das alles und viel mehr hast du vielleicht gar nicht auf dem Schirm, vor allem, falls du selbst mehr Glück und Privilegien hast – das kann zum Beispiel heissen: Weiss, Mann, deutschsprachig, Akademiker:in, Schweizer Pass, Sparkonto.
Zugänglichkeit hat übrigens immer auch Grenzen: Wer sich nicht an die Hausregeln hält, fliegt raus. Wer die Sicherheit anderer gefährdet, ist nicht willkommen – vor allem in Räumen, die explizit für spezifische Gruppen einen sicheren Rahmen schaffen wollen. Und wo geheime Infos ausgetauscht werden, wo zum Beispiel Proteste oder Strategien gegen Repression ausgeheckt werden, darf verständlicherweise nicht jede:r einfach so mitlesen oder mithören.
Es ist schwierig bis unmöglich, für «alle» offen zu sein. Wer für bestimmte Gruppen besonders zugänglich sein will, schliesst dadurch automatisch andere aus, bewusst oder unbewusst. Und sei dir selbst nicht zu böse, wenn es nicht immer klappt mit der Zugänglichkeit. Denn selbst wenn du an alles gedacht und alles getan hast: Manchmal haben Menschen auch einfach keine Lust, mitzumachen – hast du ja auch nicht immer!
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