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Von Coraline Celiker

Praktikantin Redaktion

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24. August 2022 um 15:00

Grundeinkommen zu gewinnen: Zürich könnte zur Pionierstadt werden

Wer «bedingungslos» 2500 Franken gewinnen möchte, wird ab Donnerstag in der Zürcher Innenstadt fündig. Dabei geht es allerdings um mehr als einen einmaligen Gewinn: Das bedingungslose Grundeinkommen erobert erneut das politische Parkett und möchte in der Stadt Zürich mit einem wissenschaftlichen Pilotversuch bedachte Schritte wagen.

Silvan Groher vom Verein Grundeinkommen möchte Zürich mit seinem Team zur Pionierstadt machen. (Foto: Coraline Celiker)

Silvan Groher, Geschäftsführer des Vereins Grundeinkommen, steht neben der Kaffeemaschine in der Küche. Ein Bürokollege steht neben ihm. Groher erzählt angeregt: «Ja, am Donnerstag um 17 Uhr geht’s los. Auf dem Paradeplatz. Wir sind mega gespannt.»

Die kurze Führung durch das gemeinschaftlich genutzte Büro endet abrupt vor einem grün leuchtenden Kasten. «Das ist er», verkündet Groher stolz und führt vor, wie die Maschine funktioniert. «Sogar der Knopf leuchtet.» «Bedingungslos» steht darauf. Bei Knopfdruck spuckt der «Bankautomat» ein Rubbellos aus. 

Mit einem Knopfdruck bis zu 2500 Franken gewinnen. (Foto: Coraline Celiker)


Es stehen einige Standorte in Zürich auf dem Plan. Beginnen wird die «Bankautomaten-Roadshow» am Donnerstag, 25. August, um 17 Uhr auf dem Paradeplatz. «Wer dem Bankautomaten ab da einen Besuch abstattet, kann bis zu 2500 Franken gewinnen», eröffnet Groher. Ein Grundeinkommen für einen Monat, sozusagen. 

Der Zweck dieser Aktion: Auf die städtische Volksinitiative für einen wissenschaftlichen Pilotversuch zum Grundeinkommen am 25. September aufmerksam machen und die Frage aufwerfen «Was, wenn das jetzt jeden Monat passieren würde?».

Der bedingungslose Bankomat steht bald in der Zürcher Innenstadt. (Foto: Coraline Celiker)

Kleine Schritte im «innovativen» Zürich

Nachdem die erste Volksinitiative «Für ein bedingungsloses Grundeinkommen» im Juni 2016 vor dem Volk mit einer klaren Mehrheit gescheitert ist, wagen Groher und sein Team vom Verein Grundeinkommen einen neuen Versuch. «Zürich ist ideal für den Start. Die Stadt liebt es schliesslich, sich innovativ zu geben und hat auch ein gewisses Volumen an finanziellen Mitteln. Ausserdem verfügt sie über eine spannende demografische Mischung.», erklärt Groher.

Was im Sommer 2020 mit der Idee begann, das bedingungslose Grundeinkommen wieder «unter die Leute zu bringen», mündete im Entscheid, politisch kleinere Schritte zu gehen. «Nach unserer Einschätzung, auch im Austausch mit internationalen Aktivisten, wurde klar, dass es erst Experimente sein müssen», führt Groher aus.

«In der Zwischenzeit machen wir Experimente und schauen, ob die Menschen wirklich alle den Job aufgeben.»

Silvan Groher, Geschäftsführer des Vereins Grundeinkommen

Die Initiative fordert die städtische Finanzierung und Durchführung eines dreijährigen wissenschaftlich begleiteten Pilotversuchs in der Stadt Zürich mit rund 500 Proband:innen. Diesen soll ein monatliches Grundeinkommen ausgezahlt werden, das in Zürich als existenzsichernd gilt. Damit sollen Fakten zum Thema Grundeinkommen in der Schweiz geschaffen werden. In Luzern und Bern starten derzeit ähnliche Initiativen. Auch in Winterthur, Basel und Genf wird darüber diskutiert. Eine nationale Volksabstimmung zur Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens kommt aber frühestens wieder 2027 vors Volk. Derzeit läuft dazu noch bis Ende Jahr eine schweizweite Unterschriftensammlung. «In der Zwischenzeit machen wir Experimente und schauen, ob die Menschen wirklich alle den Job aufgeben und ob das bedingungslose Grundeinkommen eine bessere soziale Alternative wäre. Weil: Das wissen wir ja nicht. Darum möchten wir diesen Pilotversuch starten», so Groher.  

Totschlagargument: Niemand arbeitet freiwillig

Der Vorschlag eines ersten Pilotversuches ist auch bei den Parteien mehrheitsfähig. Ausschliesslich SVP und FDP sprachen sich laut Groher gegen die Initiative aus. Doch der Zürcher Stadtrat sowie der Gemeinderat, abgesehen von der AL, können dem wissenschaftlichen Pilotversuch nichts abgewinnen. Sie erachten die bestehenden Sozialsysteme als ausreichend und den zusätzlichen Erkenntnisgewinn einer Studie als minimal gewinnbringend. Bereits 2017 wurde eine ähnliche Motion abgelehnt, mit der Begründung, dass das bedingungslose Grundeinkommen die Existenzsicherung von der bezahlten Arbeit trennt, was im Extremfall zu einem Rückgang der bezahlten Arbeit und damit zu einem Rückgang der Erwerbseinkommen führt, wodurch auch der gesellschaftliche Wohlstand reduziert werde.

Groher und die Unterstützer:innen der Initiative sehen das anders: Das bedingungslose Grundeinkommen sei als Alternativlösung zum heutigen Sozialsystem zu verstehen, das sie als nicht nachhaltig finanzierbar, nicht befähigend und veraltet betrachten. Das Argument eines Rückgangs der Erwerbstätigkeit beurteilen sie zudem als Falsch-Annahme, was durch den Pilotversuch näher untersucht werden soll.

Andere Fragen sind zentral

Auch Prof. Dr. Katja Rost, Soziologieprofessorin und Privatdozentin für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Zürich, erachtet das Argument des Stadt- und Gemeinderates als überzogen. «Wir haben ja jetzt bereits ein Sozialsystem, welches aufzeigt, dass die meisten Menschen, sicher über 90 Prozent, einen Beitrag leisten möchten», stellt Rost fest.

Aus wissenschaftlicher Sicht sieht sie allerdings noch Lücken im vorgeschlagenen Pilotversuch: «Zum Beispiel ist die Kontrollgruppe nicht festgelegt, das Experiment basiert auf Freiwilligkeit statt wissenschaftlicher Rigorosität und die Proband:innen erhalten ihr Grundeinkommen unter Laborbedingungen. Das führt zu teilweise extremen Verzerrungen der Ergebnisse. Das müsste also alles noch diskutiert werden», eröffnet Rost.

«Früher oder später wird ein bedingungsloses Grundeinkommen sowieso kommen.»

Prof. Dr. Katja Rost, Soziologieprofessorin und Privatdozentin für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Zürich

Die Frage sei für Rost zudem nicht, ob ein bedingungsloses Grundeinkommen funktioniert, sondern wie es funktionieren kann. «Denn früher oder später», so Rost, «wird ein bedingungsloses Grundeinkommen sowieso kommen.» Allerdings gibt es diverse Hürden, die sowohl von den Initiant:innen als auch den Gegner:innen der Initiative nicht thematisiert werden: «Zum Beispiel die Frage, wer Anspruch auf dieses Grundeinkommen hat. Wie lange muss eine Person in der Schweiz wohnhaft sein? Dies kann wiederum zur Diskriminierung gewisser Personengruppen führen. Auch die Frage: Was sind die Vor- und Nachteile für Geringverdienende und Teilzeitarbeitende, speziell zum Beispiel für Frauen? Was sind die Auswirkungen auf die bisherigen Sozialsysteme und welche müssen umgestaltet oder abgeschafft werden? Das sind für mich die wichtigeren Fragen, die bei der Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen zu stellen sind», führt Rost aus.

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