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Von Lara Blatter

Co-Geschäftsleitung & Redaktorin

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2. Juni 2020 um 07:26

Aktivistin der 80er-Bewegung: «Fernab von diesen Plätzen ist Zürich einfach knallhart und gestört»

Josy Meier, Drehbuchautorin und Hortleiterin, schloss sich vor 40 Jahren als Studentin der «Bewegig» an. Im Interview spricht sie über Bewegungen von heute und gestern und über die wahnsinnige «Explosion», die Zürich langfristig extrem verändert hat.

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Fotos: Josy Meier

Lara Blatter: Welche Gefühle der damaligen Jugend haben euch zu den Unruhen bewegt?

Josy Meier: «Jugendunruhen» ist ein Kampfbegriff der damaligen rechten Zeitungen, welche uns als Chaoten – nicht Chaotinnen – bezeichneten. Wir selbst nannten uns «d’Bewegig».

Wir lebten innerhalb einer sehr erstarrten, jugendfeindlicher und an Jugendkultur nicht interessierten Stadt. Wir hatten Ideen, wie man das Leben anders gestalten kann, wie man öffentlichen Raum nutzen kann und wie man ein autonomes Jugendzentrum mit Projekten füllen kann. Das war die Bewegig – eine Bewegung gegen Erstarrung. Nicht Jugend und nicht Unruhen. Wir waren eine positive Bewegung. Uns verband das Bedürfnis Ideen, Projekte und politische Ziele umzusetzen. Das war ein sehr praktisches Bedürfnis. Wir wollten nicht die Weltrevolution oder sonst etwas Abstraktes.

Eine positive Bewegung, dennoch eskalierte es am 30. Mai 1980 heftig.

Unmut über die städtische Politik staute sich seit Jahren an. Die Aktionsgruppe Rote Fabrik (ARF) forderte die Öffnung der Roten Fabrik. Die Arbeitsgruppe arbeitete seriös, ging Politiker*innen an, startete Petitionen und, und, und. Aber nichts passierte. So kam es am 30. Mai 1980 zur Demo vor dem Opernhaus. Man wollte einfach zeigen, dass es ungerecht ist, dass mit 60 Millionen das Opernhaus renoviert wird und die Stadt bei der Jugend einfach klemmt und die Forderungen nicht ernst nimmt. Die Polizei stand in Vollmontur bereit, das war völlig überraschend – keine Ahnung, was die sich dabei überlegt haben, das kannten wir nicht.

Daraufhin schlossen sich viele unterschiedliche Leute der Bewegung an, die vorher nicht aktiv waren. So ging es auch mir. Ich studierte damals an der Uni Zürich Sozialpädagogik. Man traf sich im Volkshaus zu Vollversammlungen und plante Demos. Zuerst war der Ruf «Wir wollen die Rote Fabrik», danach kamen die Forderungen nach einem autonomen Jugendzentrum, dem AJZ.

Im Juni 1980 wurde das AJZ dann eröffnet. Was spielte sich da ab?

In der Bewegig gab es ganz viele Leute, die ein Flair für Handwerk und Projekte hatten. Schnell hatten wir das «Fabrikli» hinter dem Bahnhof renoviert. Es gab eine hauseigene Druckerei, wo wir Flugblätter und Zeitungen drucken konnten. Eine Kultgruppe organisierte Konzerte und sonstige kulturelle Happenings. Daneben gab es die AJZ-Frauengruppe, da war ich dabei. Wir brachten feministische Forderungen in die Bewegig, produzierten Zeitschriften und später machten wir beim Radio LoRa Sendungen.

Im AJZ gab es auch ein Restaurant und das AJZ-Kino, worin das heutige Xenix seinen Ursprung hat. Da es viele Verletzte an den Demos gab, hatten wir auch ein Sanitätszimmer. Junkies wurden aus der Stadt systematisch ins AJZ vertrieben. So wurde aus dem Sanitätszimmer ein Drogenzimmer. Ärzt*innen waren dort und Junkies konnten sicher konsumieren.

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Bevor die Heroinabgabe in Zürich überhaupt Thema wurde, hattet ihr bereits eine im AJZ?

Die Geschichtsschreibung ist oft jene der Destruktion, man spricht vom Fall, wie Zürich danach ins Drogenelend fiel. Früh entwickelten sich die Idee einer kontrollierten Heroinabgabe. Im AJZ entstanden viele positive Ansätze und progressive Ideen und Lösungen. Nur die Politik wollte diese damals nicht und wirkte dagegen.

Viele kreative Köpfe wirkten in der Bewegig mit. Übers AJZ hinaus entstanden viele WGs, Bands oder auch das Magazin Strapazin. Das AJZ war ein grosser Türöffner – oder nein, wohl eher eine wahnsinnige Explosion, die langfristig die Stadt extrem verändert hat.

Braucht Zürich wieder so eine kreative Explosion?

Vor der Bewegung war Zürich eine starke Finanz- und Wirtschaftsstadt, sehr eng in der Mentalität und im kulturellen Ausdruck. Die Wirtschaft war nach aussen gerichtet, der Rest nach innen. Jetzt ist das anders, Zürich ist eine winzige Weltstadt. Heute überlegt man sich eher wieder, wo Weltverbundenheit Sinn macht und wo es auch wieder interessant ist auf kleinere Netze zu setzen.

Wie damals mit der Heroinabgabe – die Schweiz soll sich trauen, neue Akzente zu setzen.

Hast du ein Beispiel?

Wichtig sind für mich Dinge, wie zum Beispiel die Konzernverantwortungsinitiative. Wie damals mit der Heroinabgabe, wo man sich als Schweiz traut neue Akzente zu setzen und als politisch und wirtschaftliche Vorreiterin agiert. Aber das eine Bewegung nochmals so etwas Explosives hat und die Gesellschaft eine solche Eruption braucht, denke ich nicht.

Die heutige Welt hat ja doch viele Probleme...

Wichtige Fragen werden von Leuten angegangen, es ist nicht mehr so, dass der Deckel drauf ist. Parteien, Organisationen und Gewerkschaften nehmen Anliegen auf. Damals interessierte sich niemand für unsere Anliegen und Fragen. Wir gingen deshalb auf die Strassen, daraufhin wurden wir als zerstörerische Chaot*innen abgestempelt. Wenn heute Schüler*innen auf die Strasse gehen und eine Klimawende fordern, dann nimmt man diese mehr oder weniger ernst. Die Medien, die Parteien und die Gesellschaft hören hin. Darum braucht es keine Explosion; die Ohren und die Gesellschaft sind offener. Logisch setzt sich nicht alles schnell durch, die Wirtschaft bestimmt nach wie vor, wo es lang geht.

Die Klimabewegung als Beispiel. Es wird viel über den Klimawandel gesprochen und das Problem gestehen sich langsam auch alle Parteien ein. Oder die Debatte über die Gleichstellung von Frau und Mann ist aktuell. Passiert genug?

Beim Klima geht es um grosse ökonomische und globale Fragen: Will man sich das leisten oder nicht? Vor 40 Jahren waren wir ein paar tausend junge Leute, die etwas forderten. Kleine Forderungen rissen Zürich aus einer Erstarrung auf, die zu einem nachhaltigen Veränderungsprozess führten. Aber niemand von uns hat sich diese wahnsinnig Wirtschaftsstadt gewünscht, aber dennoch besteht sie heute immer noch.

Der Frauenstreik letztes Jahr war eindrücklich. Wir waren unglaublich viele und das hatte Auswirkungen. Die politische Agenda vieler Parteien – und nicht nur die der Linken – hat sich geändert. Das sind Prozesse, die weitergehen müssen, aber wir dürfen nicht vergessen, weltweit gibt es viele mächtige Männer, die sich die Stellung der Frau ganz anders vorstellen. Das wird immer ein Kräftemessen bleiben. Und jetzt noch die Corona-Krise.

Schadet so eine Krise den jetzigen Bewegungen?

Es passierte viel im letzten Jahr. Bewegungen dürfen nicht einschlafen und müssen an den Forderungen wieder anknüpfen. In der Schweiz sah es nach dem Frauenstreik nicht schlecht aus. Und die Klimabewegung muss sich fragen, wie weiter? Ihre Aktionsform wird irgendwann redundant und langweilig.

So tickt wohl der Mensch, irgendwann wird alles langweilig.

Ja, du kannst aber als Bewegung nicht immer dasselbe tun. Man muss überlegen, wie man weiterfahren will. Eine konkrete Agenda aufstellen und diese in der Politik platzieren. Einfach auf der Strasse sein und fordern, ist lediglich ein Aktionsmittel. Wir waren damals ganz dezidiert anti-parlamentaristisch aufgestellt. Wir wollten uns keiner Partei oder Gewerkschaft anschliessen. Wenn du dich aus allen Institutionen rausnimmst und einfach auf die Strasse gehst und Forderungen rufst, dann ist das mit der Zeit ein «leeres» Mittel.

Will man etwas verändern, muss man Strukturen finden und nutzen. Und das ist sicher für die Klimajugend nicht anders, als es für uns damals war. Beim Frauenstreik ist das anders: Viele Aktivistinnen sind in Gewerkschaften und dort können Dinge umgesetzt werden.

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Dein Ratschlag an die Klimajugend?

Wir weigerten uns damals lange, uns irgendwo anzuschliessen. Aber das heisst auch, dass du über wenig Macht verfügst, um Dinge mitzugestalten. Unser Glück war vielleicht der Schock über die Militanz und das ungeschickte Verhalten der Polizei, die mit voller Gewalt dagegenhielt. Man hörte uns auf einmal zu, ohne dass wir in Parteien und Strukturen mussten. Aber wenn die Klimajugend einfach immer am Freitag streikt, läuft sich das zu Tode. Der Klimastreik muss sich mit Organisationen zusammentun und vernetzen. Aber ich bin mir sicher, dass das bereits passiert ist.

Habt ihr euch irgendwann einer Partei angeschlossen?

1990 zogen wir uns in ein Landschulheim nach Oberrickenbach zurück und überlegten, wie wir weiter politisieren können. Wie können wir arbeiten, dass man uns hört? Wir gründeten eine Partei, die «Zürich 1990» – ziemlich schnell entstand daraus die AL.

Gefällt dir Zürich heute?

Sie ist eine knallharte Wirtschaftsstadt. Der öffentliche Raum wird «züri-mässig» durchgestaltet – alles vergoldet und durchgestylt. Aber ich mag Zürich, die Stadt ist wunderschön mit dem See, den Hügel und Bergen. Es entstehen auch neue hübsche Orte, die nicht ganz so goldig und profitorientiert sind. Verrückt finde ich, dass es immer wieder neue Areale und Brachen gibt, wo Leute experimentieren können. Logisch, es ist immer klar, dass es sich um ein Provisorium handelt, das irgendwann anders genutzt werden wird. Und dann steht halt wieder etwas Goldiges darauf. Fernab von diesen Plätzen ist Zürich einfach knallhart und gestört, gerade was der Immobilienmarkt anbelangt.

Josy Meier ist Mitorganisatorin vom Festival «Come Together: D’Bewegig» lädt zum Festival – 40 Jahre nach dem 80gi», das im Juni in der Roten Fabrik stattgefunden hätte. Aufgrund des Coronavirus ist es auf nächstes Jahr verschoben worden. Das Festival soll ein Ort des Wiedersehens und Austausches über die Generationen hinweg werden: «Es will alle(s), und zwar subito, mitten im kommenden heissä Summär

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