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Von Simon Jacoby

Co-Geschäftsleitung & Chefredaktor

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1. November 2020 um 08:21

Ach wie gut, dass niemand weiss, wem unsere Stadt gehört

Wem gehört der Boden in unserer Stadt? Dazu gibt es einige Daten, aber diese sind alle anonymisiert. Warum dürfen wir nicht wissen, wem Zürich gehört?

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Wem gehört Zürich? (Bild: Elio Donauer)

Wir alle wohnen. Und selbst jene, die keinen festen Wohnsitz haben oder obdachlos sind, wohnen auf dem Boden der Stadt. Nur: Wem dieser Boden gehört, wissen die meisten nicht. Gerade dank der Digitalisierung und Open Data-Bestrebungen sind inzwischen viele Daten öffentlich zugänglich: Informationen über Verwaltungsrät*innen einer Firma, die beliebtesten Hundenamen der Stadt, der Live-Fahrplan des öffentlichen Verkehrs, ja gar Zürichs Brunnenverzeichnis – sie alle sind im Netz nur einen Klick entfernt.

Brunnen, Hunde und Fahrpläne sind optional. Aber städtischen Boden müssen wir alle zwingend nutzen; wir können nicht wählen. Die Schweiz ist ein Land der Mieter*innen, Zürich ist eine Stadt der Mieter*innen. Das heisst, wir gehen arbeiten, verdienen Geld und geben einen Teil davon denjenigen ab, die Boden besitzen. Das können ganz normale Menschen sein, aber auch der Staat, die Pensionskassen oder Investitionsgesellschaften, die an unseren Mieten so viel wie möglich verdienen wollen.

Eigentlich könnten wir auf unserem Mietvertrag nachschauen, wem die Liegenschaft und damit meistens auch das Land gehört. Eigentlich könnten wir das Grundbuchamt anrufen und fragen, wem welches Grundstück gehört. Doch ist das wirklich gewollt?

Pseudo-öffentliches Grundbuch

Wem gehört Zürich? Diese Frage lässt sich nicht im Detail beantworten. Es ist schlicht unmöglich. Die Stadt liefert nur aggregierte Daten. Auf der Webseite heisst es zum Beispiel:

«Betrachtet man die gesamte Stadtfläche, so ist die öffentliche Hand mit Abstand die grösste Eigentümerin: Ihr gehören rund 57,5 Prozent des Bodens in der Stadt Zürich (allerdings nur 1 Prozent des Wohnraumes). An zweiter Stelle stehen mit 20,1 Prozent die natürlichen Personen, knapp vor den privaten Gesellschaften, in deren Eigentum sich 15,4 Prozent des Bodens befinden. Bezüglich Grundbesitz nur eine kleine Rolle spielen hingegen die Wohnbaugenossenschaften (4,4 Prozent) und die Stockwerkeigentümergemeinschaften (2,7 Prozent).»

Ok, das ist interessant. Aber wer versteckt sich hinter den 20,1 Prozent natürlichen Personen? Und wer sind die privaten Gesellschaften, welche 15,4 Prozent der Stadt besitzen? Antworten darauf gibt es keine, denn diese sind versteckt im Grundbuch.

Dieses ist eigentlich öffentlich. Doch sind serielle Abfragen per Gesetz verboten. Konkret: Im Kanton Zürich dürfen täglich nur circa drei Eigentümer*innen-Informationen abgefragt werden. Wer mehr wissen will, muss zahlen oder die Auskunft wird ganz verweigert.

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Auch die Besitzer*innen der Langstrasse sind nicht öffentlich bekannt (Bild: Elio Donauer)

Die ganze Stadt Zürich besteht aus 39’945 Grundstücken. Zieht man den Besitz der öffentlichen Hand ab, bleiben noch rund 30’000 Grundstücke; nach den Genossenschaften und Stiftungen sind noch gut 22’000 übrig.

Wem diese 22’000 Grundstücke gehören, ist geheim. Entsprechende Anfragen muss das Grundbuchamt von Gesetzes wegen ablehnen, und selbst wenn es erlaubt wäre, würde diese Auskunft gemäss dem Gebührenreglement 110’000 Franken kosten.

Warum die Geheimniskrämerei?

Offenbar ist es nicht erwünscht, dass die Menschen, die den Boden als Wohnfläche nutzen, wissen, wem dieser gehört. Warum das so ist? Unklar. Bis in die 90er-Jahre wurde das Grundbuch in gedruckter Version im Orell Füssli verkauft. Danach wurde das Gesetz geändert und die Informationen liegen seither im Dunkeln. Die Immobilien-Lobby setzte sich für diese quasi Geheimhaltung ein.

Eigentlich komisch, denn der Besitz von Boden ist in der Schweiz nicht verboten. Bodenbesitzer*innen sind nicht per se böse oder gar Abzocker*innen. In der Debatte um günstigen Wohnraum heisst es immer wieder, die allermeisten Immobilienbesitzer*innen seien ganz normale Menschen, die für ihre Objekte anständige Mieten verlangen würden. Das ist gut möglich, denn auch mit anständigen Mieten lässt sich anständig Geld verdienen. Die richtig hohen Abzocker-Mieten stammen vermutlich nicht von den ganz normalen Hüüsli-Besitzer*innen, sondern von grossen Firmen mit einem grossen Appetit auf grosse Rendite.

Die Informationen dazu gibt es. Aber leider nur im Grundbuch. Dieses ist zwar wie bereits erwähnt öffentlich, doch die Einsicht gestaltet sich wegen den genannten Gründen schwierig. Darum wissen wir bei gut der Hälfte aller Grundstücke in der Stadt nicht, wem diese gehören. Eigentlich ein Skandal, nicht?

Fokusmonat «Wohnen» 2020
Dieser Artikel ist im Rahmen unserer Fokusmonats «Wohnen» entstanden. Neben dem hier veröffentlichten Bericht, sammeln wir mit einem Crowdfunding momentan Geld, um herauszufinden, wem Zürich gehört. Zudem organisieren wir auch dieses Mal eine Pitch-Night, Podien und machen mit einer Stadtforscherin einen Spaziergang durch die Weststrasse.

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