«Ein Bekenntnis, dass man Theaterschaffende aus diesem Bereich wahrnimmt»
«Heute wäre das technische Einrichten unseres aktuellen Stücks gewesen, wenn uns Corona nicht dazwischengefunkt hätte», erzählt Deborah Imhof. Die 30-jährige Theaterpädagogin ist vor drei Jahren quasi in der Halbzeit zum LAB gestossen, gegründet von Elina Wunderle, Lukas Schmocker und Henrike Gerdzen. Das LAB ist eine Art Theaterlabor, in dem mit Jugendlichen zwischen 14 und 24 Jahren spielend und probend die Welt und Gesellschaftsformen erforscht wird. So etwa beim letztjährigen Projekt «Mini Stadt», bei dem das Leben und Wohnen in der Stadt Zürich im Vordergrund stand oder beim aktuellen Stück «Whatever Love means».
Wieder ein Jahr Boden gelegt für ein bislang einzigartiges Projekt
Deborah, Elina und Lukas sitzen in einem ehemaligen Kindergarten an der Heinrichstrasse an zwei grossen Holztischen. Seit August 2019 dürfen sie dort proben und konzepten. Neben aufgeschlagenen Laptops, ungeöffneten Briefen und Notizblöcken liegen Erdbeeren und Tassen mit frischem Kaffee. Es ist Ende Mai und Zürich noch immer im Lockdown.
Die drei Theaterschaffenden haben sich zu einer ihrer regelmässigen Sitzungen eingefunden, dieses Mal unter anderem auch wegen guten Neuigkeiten seitens der Stadt: Das LAB, das bereits mit unterschiedlichen Theaterhäusern der Stadt zusammengearbeitet hat und ab nächster Spielzeit eine Kooperation mit dem Theaterhaus Gessnerallee eingeht, wird einmalig mit 45’000 Franken unterstützt. «Wieder ein Jahr gesichert», sagen sie. Wieder ein Jahr Boden gelegt für ein Projekt, das in der Stadt Zürich bislang einzigartig ist.
Während man etwa in Bern mit wenigen Ausnahmen an fast jedem Theaterhaus einen Jugendclub besuchen kann und es auch in Basel mindestens drei solche Möglichkeiten gibt, ist das Theaterangebot für Jugendliche in der Stadt Zürich dünn gesät. Dies ist auch der Grund, weshalb innerhalb des neuen Fördersystems der Stadt Zürich ein Tanz- und Theaterhaus für Kinder- und Jugendliche (KJTT) geplant ist. Quasi als Kompetenzzentrum, um die Szene zu stärken und ergänzen. (Mehr Infos zur Konzeptförderung in der Box)
Man arbeitet dabei mit unterschiedlichen Menschen aus unterschiedlichen Orten und Schichten und kommt dabei in einen ganz besonderen Austausch.
Dies sah vor 20 Jahren noch ganz anders aus. Der Theaterpädagoge und selbsternannte «Kampfchoreograf» Lukas (49) erinnert sich: «In Zürich gab es damals an fast jedem Theaterhaus einen Spielclub für Jugendliche. Etwa am Schauspielhaus oder am Theater Neumarkt. Und dann gab es auch noch das Theater an der Sihl, ein Kinder- und Jugendtheater mit einem festem Ensemble und eigener Spielstätte.»
Verblieben sind lediglich ein paar Einzelkämpfer wie die Theaterschaffenden des LAB, wobei Letztere während ihren Projekten eine sanfte Heranführung an ein professionelles Theater versuchen, eine Nachwuchsförderung, für welche die Jugendlichen jedoch keine Erfahrung oder besondere Talente mitbringen müssen: «Jeder kann kommen. Bei uns steht nicht die Talentschmiede im Vordergrund, sondern, dass man etwas künstlerisch Wertvolles erarbeitet. Mit einer Gruppe von Leuten, die nicht gecastet ist. Dass man sich auf diesen Prozess einlässt, bei dem so viel entstehen kann und der oftmals sehr inspirierend ist», sind sich die drei einig. «Die Jugendlichen werden in die Stückentwicklung mit einbezogen. Man arbeitet dabei mit unterschiedlichen Menschen aus unterschiedlichen Orten und Schichten und kommt dabei in einen ganz besonderen Austausch», so Deborah.

Das letztjährige Stück «Mini Stadt», das innerhalb des LAB mit Jugendlichen erarbeitet und vergangenen Sommer aufgeführt wurde. Bild: zvg
Man sei auch für Jugendliche zugänglich, bei denen nicht «alles glatt» laufe, wo man allenfalls immer wieder nachhaken müsse, weshalb sie nicht zu den Proben erschienen sind. Elina: «Wir haben dieses Jahr eine sehr durchmischte Gruppe. Ich musste zum Beispiel einigen Jungs regelmässig hinterher telefonieren. Man merkt: Für einige ist ein solches Projekt eine viel zu langfristige Verantwortung. Doch auch das wollen wir mittragen.» Sogar dann, wenn manche kurz vor der Premiere aussteigen. Man gehe nicht nach fixen Vorstellungen, Texte würden manchmal ohnehin noch in den letzten Zügen abgeändert.
Ein «Baby», das nie wirklich laufen gelernt hat
Elina nennt das LAB ihr «Baby», das trotz seinen sechs Jahren nie wirklich laufen gelernt hat. «Es stand finanziell gesehen immer wieder mal auf wackeligen Beinchen», so die 32-Jährige. Der Stadt seien bis anhin im Bereich ihrer Basisarbeit sprich für die niederschwelligen Jahresprojekte mit Jugendlichen die Hände gebunden gewesen, «es gab schlicht keinen Topf dafür», so Lukas. Dies habe sich mit der diesjährigen Vergabe, ohne die sich für das LAB grosse, existenzielle Fragen aufgetan hätten, geändert.
Nicht nur für sie, sondern auch kulturpolitisch sei der neu geschaffene Kredit von grosser Bedeutung und ein Bekenntnis, dass man Theaterschaffende aus diesem Bereich wahrnehme.
Trotz Masterstudium studentischer Stundenlohn
Trotzdem mache sich manchmal Frustration breit. «Ich muss immer wieder begründen, weshalb es meine Arbeit braucht und weshalb ich diejenige sein soll, die durch Anträge Geld erhalten soll», erzählt Elina. Es gäbe nur wenige Bereiche, in denen man das so konsequent machen müsse wie in der Theaterszene – und man am Ende trotz Masterstudium öfters für einen studentischen Stundenlohn arbeite.
Es sei eine Gratwanderung, denn schliesslich würden sie alle nicht zu ihrem Engagement gezwungen. Lukas: «Man geht dieses Risiko und diese Entscheidung ganz bewusst ein.» Trotzdem ärgere es auch ihn, wie auf politischer Ebene argumentiert werde und wie wenig Geld an die Kultur gehe. «Gerade während der Corona-Krise hat man gesehen, wie allen voran die SVP im Gemeinderat befand, dass Beiträge für die Kultur nicht wichtig sind. Dabei werden dafür lediglich ein Bruchteil des Gesamtbudgets der Stadt aufgewendet.»
Die grossen Häuser sind quasi der Kopf der Pyramide und unsere Vermittlungsarbeit die Basis, die den Zugang dazu schafft.
Und dann gebe es auch noch die Unterscheidung von kulturellen Angeboten, die gefördert werden und jenen, bei denen das nicht zutrifft, sagt Elina. «Wenn man sieht, wie viel Geld an ein Schauspielhaus oder ein Opernhaus geht im Vergleich zu dem, was wir erhalten, löst das in mir manchmal schon ein wenig Kopfschütteln aus. Weil: Die grossen Häuser sind quasi der Kopf der Pyramide und unsere Vermittlungsarbeit die Basis, die den Zugang dazu schafft. Da ist doch was verkehrt, nicht?» Man bekomme von offizieller Seite oft zu hören: «Es ist wichtig und total schön, was ihr macht, wir wissen aber nicht, woher das Geld kommen soll um euch zu unterstützen. Wir haben schlicht keine Mittel.»
«Fancy Zürich»
Deshalb werde nun auch das geplante KJTT begrüsst. Die Frage laute nur, ob und in welcher Form das LAB dabei miteinbezogen werde. Denn sobald Geld vorhanden sei, kämen auch andere auf die Idee, sich im betreffenden Bereich zu engagieren. Zürich habe eine sogenannte «Fancy-Kultur». Man sehe, dass etwas im Trend ist und springe sofort darauf an, um ein wenig später bereits an einem anderen Ort andocken zu können.
Eine ähnliche Dynamik spüre man nun im Bereich Kinder- und Jugendtheater. Deborah: «Wir alle und vor allem Lukas und Elina haben jahrelang steinharten Boden beackert. Jetzt kann es natürlich sein, dass andere Theaterschaffende kommen und ihren Samen in die gelockerte Erde pflanzen.» Dies sei auch eine Chance, denn am Ende gehe es darum, dass mehr Angebote in diesem Bereich entstehen, egal durch wen. Deborah, Elina und Lukas hoffen indes, dass das LAB überdauert – und die finanzielle Gehhilfe irgendwann beiseite legen kann.
Teil 1 unserer Serie «Kinder- und Jugendtheater in der Stadt Zürich» findest du hier.
Kommentare