7 Dinge, die der Zürcher NachtStadtrat in seinem ersten Jahr erreichte – oder auch nicht - Tsüri.ch #MirSindTsüri
account iconsearch

22. September 2016 um 08:06

7 Dinge, die der Zürcher NachtStadtrat in seinem ersten Jahr erreichte – oder auch nicht

Endlich ist Herbst! Das freut nicht nur die vielen Club- und Bar-Betreiber, sondern auch den NachtStadtrat, denn damit steht er mit der nachfolgenden Metapher nicht total im saisonalen Schilf:

Weltweit schiessen Nachtbürgermeisterinnen und Nachtbürgermeister fast wie Pilze aus dem Boden. Das ist zwar ein Bisschen übertrieben formuliert, aber nach Amsterdam, Tokyo, Paris und weiteren Städten, vornehmlich in Holland und Frankreich, sind inzwischen in weiteren Metropolen wie Sydney oder London ähnliche Ämter angedacht oder stehen zur Diskussion.

In allen Städten, die einen Nightmayor haben, sind diese Ämter jeweils anders organisiert und mehr oder weniger offizialisiert. Das Einzigartige an Zürich ist, dass es keine Nachtbürgermeisterin, respektive keinen Nachtbürgermeister gibt, sondern, dass es ein mehrköpfiges Gremium ist – was der typisch schweizerischen Tradition entspringt, dass wir keine klassischen Präsidenten-Ämter kennen.

Deshalb hat Zürich einen NachtStadtrat und keinen Nightmayor.

Im ersten Jahr fanden viele informelle Treffen und Sitzungen statt. Der NachtStadtrat tastete sich in Aufgaben- und Themenfelder vor, die er wichtig findet oder an ihn herangetragen wurden. Diverse Male wurde er selber aktiv oder er wurde seitens der Stadtverwaltung beratend beigezogen. Aus diesen Unzähligen Sitzungen, Aktivitäten und Beratungsmandaten pickt der NachtStadtrat sieben heraus und erzählt kurz, was dahinter steckt.

1. TagStadtrat

img_8997

Im letzten Herbst wurde der NachtStadtrat von einer vierköpfigen Stadtrats-Delegation empfangen. Es war ein rein informeller Austausch. Die Stadträtinnen und Stadträte wollten die Menschen hinter dem NachtStadtrat kennenlernen und in Erfahrung bringen, was die Absichten und Ziele dieses Gremiums sind.

Umgekehrt wollte der NachtStadtrat in Erfahrung bringen, wo der Stadt die Ausgeh-Schuhe drücken. Neben dem Mehraufwand im Gesundheitswesen über die Wochenenden und der Langstrasse als Ausgeh-Hotspot, war vor allem das Heranwachsen von vielen Jugendlichen ein grosses Thema (die Stadt baut aktuell viele Kindergärten). Gleichzeitig herrscht bezüglich den Interessen von und Angebote für die jungen Menschen von heute eine gewisse Ratlosigkeit. Dies bestärkte den NachtStadtrat darin, einer seiner Themen-Schwerpunkte auf die Jugendlichen zu legen.

2. OffeneJugendArbeit 2.0

img_8999

Die Jugend in Zürich hat ein Problem. Zuhause finden sie es oft langweilig oder nervig. In die Clubs kommen sie noch nicht rein. Und in den Bars können sie sich die Drinks nicht leisten und fühlen sie sich meistens nicht wohl. Deshalb hängen sie gerne im öffentlichen Raum ab. Aber auch dort sind sie selten geduldet.

Es ist einer der grossen Widersprüche in unserer Gesellschaft: Alle wollen jung sein, aber niemand mag die (pubertierenden) Jugendlichen.

Die Sitzungen des NachtStadtrates finden immer wieder in anderen Locations und Stadtquartieren statt. Einmal traf er sich in einem Jugend-Treff und tauschte sich dabei mit einem Jugendarbeiter aus (der die eingangs erwähnte Einschätzung teilte).

Als der NachtStadtrat einen Roundtable für Jugendliche Party-Veranstalter und -Interessierte organisierte, machte er die Erfahrung, dass es nicht einfach ist, diese Zielgruppe anzusprechen und abzuholen. Die wenigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren denn auch eher um die zwanzig Jahre alt, jedoch dafür umso interessierter. Bei diesem Austausch realisierte der NachtStadtrat, dass eine Vernetzung zwischen Generationen sehr sinnvoll sein könnte (von Infrastruktur über technisches Leih-Material bis hin zu Know-How).

3. WelcheKulturPlakate?

img_9002

Für viele, nur beschränkt kommerziell orientierte Party- und Konzert-Veranstalterinnen und -Veranstalter gibt es keine Möglichkeit, im Stadtraum für eine Veranstaltung Werbung zu platzieren. Die Kleinplakat-Säulen sind schlicht zu teuer (CHF 10.- pro Plakat und Woche). Dieses Problem wurde an einer Sitzung im Stall 6 an den NachtStadtrat herangetragen (da wurde ihm u.a. auch geschildert, dass Clubs, Konzertlokale und Bars in Kultur-Institutionen oft Geld einspielen sollen, weshalb deren kulturellen Ansprüche leider nur sehr bescheiden sein können).

Daraufhin wurde der NachtStadtrat aktiv und motivierte einen kleinen, lokalen Kulturpromoter, das Duopol aus Propaganda und ALIVE zu knacken. Sein Ziel war es, den Preis pro Plakat um 25% zu reduzieren. Umgekehrt wollte er verständlicherweise die Abgabe pro Plakat an die Stadt etwas kürzen. Sein Ansinnen wurde von der Bar- und Clubkommission sowie vom NachtStadtrat mit sehr engagierten Schreiben unterstützt. Die Stadt wies jedoch sein Angebot mit dem Hinweis zurück, dass sie dadurch weniger Einnahmen kriege. Damit wurde die ursprüngliche Absicht dieser Plakatstellen – günstige Werbeflächen für nicht rein kommerziell orientierte Kulturveranstaltungen – desavouiert. Es gäbe jedoch unzählige andere Modelle in anderen Städten, die für Zürich interessant sein könnten. Der NachtStadtrat bleibt dran.

4. JungleOhneRegeln?

img_9062

Vor einem Jahr machte eine Facebook-Seite Furore, die lustige Filmchen von der Langstrasse teilte. Die Seite fand eine grosse Resonanz und die Clips gingen zum Teil viral. Das Problem: In den Clips wurden oft betrunkene oder sonst wie berauschte Menschen unverpixelt blossgestellt und gewisse Posts hatten einen rassistischen oder sexistischen Unterton.

Der Ansatz der Seite, dass sie eine Hommage an die wilde und bunte Ausgehmeile sein möchte, teilte der NachtStadtrat. So gesehen war er auch nicht gegen die Seite als solches, sondern einzig gegen das Blossstellen von berauschten Passanten. Was im Schutze der Nacht passiert, soll wenn möglich nicht ans Tageslicht der Öffentlichkeit gerissen werden.

Nach diverser Kritik, die unter anderem auch vom NachtStadtrat in den Medien geteilt wurde, haben die Betreiber der Seite diese von sich aus gelöscht.

5. HotSpotLangstrasse

img_9004

Die Gründung des NachtStadtrates fiel mit der öffentlichen Diskussion zusammen, die ein Zusammenschluss von Langstrassen-Anwohnerinnen und -Anwohner angestossen hat. Die Bewilligung einer Bar in einem Innenhof hat das Fass der Immissionen zum Überlaufen gebracht.

Kaum konstituiert, beteiligte sich der NachtStadtrat aktiv an dieser Debatte. Dabei vertrat er die Interessen derjenigen, die in solchen Diskussionen fast nie zu Wort kommen; die Menschen, die Ausgehen. So auch am Roundtable Langstrasse, den die Stadt zur Klärung des Konfliktes ins Leben gerufen hat.

Die allermeisten Leute, die Ausgehen, sind nicht ignorant. Sie finden oft im öffentlichen Raum schlicht zu wenig Abfall-Eimer und WCs. Auch können sie mit lokalen Kampagnen angesprochen werden. Umgekehrt sollen aber auch die Hausbesitzer der Anwohner in die Pflicht genommen werden (an anderen, immissionsreichen Strassen werden ganz selbstverständlich Lärmschutzfenster eingebaut).

Diese Punkte hat der NachtStadtrat an den Roundtable Langstrasse herangetragen – leider mit relativ bescheidenem Erfolg. Es ist immer noch einfacher, eine höhere Polizei-Präsenz einzuführen und die Nachtlebenlokale (Clubs, Bars & 24-Stunden-Shops) in die Pflicht zu nehmen (die grösstenteils die Sensibilisierungskampagne finanzierten).

6. WirSindVernetzt

img_9061

Erstmals in der Geschichte der Nachtbürgermeister, die Ende des vergangenen Jahrhunderts in den Niederlanden ihren Ursprung hat, trat mit dem NachtStadtrat Zürich ein mehrköpfiges Gremium in die internationale Gemeinschaft der NightMayor ein. Und da wurde es auch mit offenen Armen empfangen.

Neben regem Mailverkehr und diversen Gesprächen via Skype, nahm der NachtStadtrat Zürich diesen Frühling am erstmals stattfindenden «Night Mayor Summit» in Amsterdam teil. Neben dem sehr aufschlussreichen informellen Austausch sass er zusammen mit dem Delegierten fürs Nachtleben des Bürgermeisteramtes Paris im Panel «A Night Mayor for every City».

Der internationale Austausch zeigt, dass es zwischen den Städten in den Funktionen, Aufgaben und Brennpunkte teils grosse Unterschiede gibt. Trotzdem gibt es genügend An- und Verknüpfungspunkte, um voneinander lernen zu können und sich gegenseitig zu inspirieren und zu bestärken, gegebenenfalls aber auch zu kritisieren.

7. GentrificationOlé

img_9069

Bezogen auf die gesamte Fläche der Stadt Zürich sind die Zonen, in denen die Bürgersteige um Mitternacht NICHT hochgeklappt werden, verschwindend klein. Zu den wenigen Hotspots zählt neben der Lang- und der Geroldstrasse einzig noch ein vergleichsweise kleiner Teil der Altstadt.

Mit der gestiegenen Attraktivität der beiden Quartierteile in Kreis 4 und 5 ist es ums Niederdorf bereits etwas ruhiger geworden. Dahinter steckt vor allem auch das grosse Engagement des ansässigen Quartiervereins, dessen sehr effektiv agierende «Arbeitsgruppe Lärm» weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist.

Den Überlebenskampf einiger traditionsreicher Lokale nahmen wir zum Anlass, uns mit dem für den Lärm zuständigen Verantwortlichen des Quartiervereins, Charles A. Weibel auszutauschen. Dieses Treffen haben wir in einer kleinen Facebook-Notiz festgehalten (wir verfasse übrigens auf unserer Facebook-Seite fast zu allen unseren Sitzungen eine solche Notiz).




Tsüri-Mail: Willst du gratis in den Ausgang? Im Newsletter verlosen wir wöchentlich 2x2 Gästelistenplätze. Einmal abonnieren bitte. #Partyhard 





Der NachtStadtrat zeigt zwar für Anwohnerinnen und Anwohner Verständnis, die um ihre Nachtruhe gebracht werden, und möchte wenn immer möglich auch konstruktiv vermittelnd wirken. Letztendlich setzt er sich jedoch in erster Linie für ein buntes und vielfältiges Nachtleben ein. Dazu appelliert er an alle beteiligten Akteure, aus Zürich keine Schlaftstadt machen zu wollen. Die vergleichsweise wenigen und räumlich sehr beschränkten Hotspots – wozu auch das Niederdorf zählt – müssen erhalten bleiben

SchlussBemerkungen

Wir haben uns zu Beginn einiges vorgenommen, das leider liegen geblieben ist (u.a. eine interaktive Karte zu den nächtlichen Lärmquellen der Stadt erstellen und ein Wiki zur Geschichte der Zürcher Clubkultur aufbauen). Nach ein paar Recherchen liegen diese Projekte jedoch eher auf Eis, als dass sie ganz gestorben sind. Der NachtStadtrat sieht seit Beginn bei der Zusammensetzung des Gremiums Optimierungsbedarf. Er besteht zwar aus wichtigen und sehr unterschiedlich positionierten und vernetzten Köpfen, aber gerade in einem ehrenamtlich arbeitenden Organisation ist es von Vorteil, die anstehenden Arbeiten auf möglichst viele Schultern verteilen zu können. Auch ist der Frauen-Anteil nach wie vor zu klein und der Altersdurchschnitt ist etwas zu hoch. Weil sich das Gremium selber ins Leben gerufen hat, steht es natürlich auch allen offen, die sich fürs Nachtleben engagieren möchte. Interessierte melden sich via [email protected]




Links: Facebook-Seite Webpage




Transparenz: Philipp Meier ist seit Beginn Teil von der Tsüri-Redaktion und Mitgründer vom NachtStadtat.

Titelbild:Screenshot/Intsagram

Dieser Artikel wurde automatisch in das neue CMS von Tsri.ch migriert. Wenn du Fehler bemerkst, darfst du diese sehr gerne unserem Computerflüsterer melden.

Das könnte dich auch interessieren