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Von Lara Blatter

Co-Geschäftsleitung & Redaktorin

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22. März 2020 um 07:00

60 Menschen auf engem Raum: Social Distancing im Asylzentrum

Social Distancing ist das Credo der Stunde: Möglichst wenig Kontakt mit möglichst wenigen Menschen. Für die meisten von uns ist dies zumindest organisatorisch kein Problem. Nicht so für abgewiesene Asylsuchende, welche auf engstem Raum mit vielen Menschen zusammenleben müssen.

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Fotos: zVg

In Rückkehrzentren leben Menschen, auf deren Gesuch nicht eingetreten wurde oder deren Asylgesuch abgewiesen wurde. Von der Sozialhilfe sind sie ausgeschlossen. Im Kanton Zürich gibt es fünf solche Unterkünfte: in Adliswil, Kemptthal, Rohr, Urdorf und in Hinteregg (eigentlich ein Durchgangszentrum, momentan auch RKZ). Für die Menschen in diesen Unterkünften sind die geforderten Massnahmen des Bundes kaum umzusetzen. So wendete sich das Solinetz am 18. März in einem offenen Brief an das kantonale Sozialamt Zürich. Darin fordern sie, sofort alle Rückkehrzentren zu schliessen und die Menschen, die dort wohnen, vorübergehend dezentral in leerstehenden Unterkünfte unterzubringen. Wenn man irgendwo hilflos gegen das Virus sein wird, dann dort, wo Menschen sich teils zu zwanzigst ein Zimmer teilen müssen. Die Regel der Fünfergruppe ist schlicht nicht umsetzbar.

Der Betrieb dieser Unterkünfte hat der Kanton Zürich an die private ORS Management AG ausgelagert. Auf Anfrage, ob sie demnächst Massnahmen ergreifen werden, sagt Mediensprecher Lutz Hahn, dass man in erster Linien die Bewohner*innen auf die Empfehlungen des BAGs zu sensibilisieren versuche. Hygiene und der nötige Abstand sei wichtig, zudem suche man das persönliche Gespräch und informiere mit Aushängen. Natürlich seien die Möglichkeiten begrenzt, aber man wolle die Belegungszahlen in Zimmern reduzieren und Personen, welche zu Risikogruppen gehören, weitere Unterkünfte zur Verfügung stellen.

Bargeld, keine Handschuhe und volle Zimmer

Seit 2014 ist A.* in der Schweiz. Die 21-jährige Eritreerin lebt im Rückkehrzentrum in Adliswil und berichtet, dass die Menschen dort verunsichert seien. Einige alte und gefährdete Leute seien umgezogen. Informiert werde via Aushängen und es wird geraten, nicht mehr mit Bargeld zu zahlen. «Wir haben ja gar keine Karte. Ohne Ausweis haben wir keine Chance auf eine Bankkarte», so die Eritreerin. Sie fühlt sich im Stich gelassen: «Ich finde es unglaublich, dass wir immer noch so viele Leute im Zimmer sind.»

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Um die täglich zustehenden 8.50 Franken zu bekommen, müssen die Bewohner*innen täglich unterschreiben. In diesem Raum gäbe es Desinfektionsmittel. Wer nicht unterschreibt, kriegt kein Geld. A. hofft, dass sich das ändert für die nächste Zeit, dass sie vielleicht nur noch wöchentlich unterschreiben müssen.

T.* wohnt in der Unterkunft in Rohr. Dort musste bis vor wenigen Tagen zweimal täglich unterschrieben werden, um das Geld zu bekommen. Nun ist nur noch eine Unterschrift pro Tag nötig. Für den Eritreer macht das keinen Unterschied: «Ein oder zweimal unterschreiben ist egal, ich muss dort sein. Unterschrift ist Unterschrift.» Das Leben in der Unterkunft sei müde und jetzt erst recht langweilig, wo sie nicht in die Schule gehen könnten. «Was machen wir? 24 Stunden schlafen? Ohne Schule geht es nicht», sagt er.

Das Wissen, dass zwölf Leute ein- und ausatmen und diese Krankheit hier sein könnte, macht Angst.

M.

M.* wohnt ebenfall in Rohr. Oft übernachtet er bei Freund*innen ausserhalb der Unterkunft, weil er es nicht mehr ausgehalten hat. «Es ist nicht einfach mit so vielen Kulturen auf so engem Raum zu leben. Und jetzt erst recht. Das Wissen, dass zwölf Leute ein- und ausatmen und diese Krankheit hier sein könnte, macht Angst.»

Übernachtet M. nicht in Rohr, so kann er nicht unterschreiben und bekommt die 8.50 Franken pro Tag nicht. Die Bedingungen aufgrund des Coronavirus zu lockern sei aber kein Thema laut Hahn von ORS: «Damit lösen wir das Problem nicht. Die Personen, welche in den Unterkünften wohnen, haben einen negativen Bescheid, sie auszulagern ist daher kein allgemeiner Grundsatz. Grundsätzlich ist es schon eine Möglichkeit. Personen, die sie aufnehmen, tragen dann aber das entsprechende Risiko. Ausserdem haben die Bewohner eine Präsenzzeit von seiten der Behörden. Wer nicht präsent ist, bekommt seine Gelder nicht.»

Von der Gesellschaft im Stich gelassen

Ob mit oder ohne der Corona-Krise, A. fehlt das Verständnis in der Gesellschaft: «Die Leute denken wir sind anders als sie, dabei sind wir doch alle gleich.»

Die Sicherheitsdirektion des Kanton Zürichs verweist bei Fragen betreffend Asylbereich und Corona auf die Medienkonferenz vom 13.03. Regierungsrat Mario Fehr spricht von einem Besuchsverbot, welches auch auf die Asyl-Infrastruktur ausgedehnt wurde. Sowohl Durchgangszentren und Rückkehrzentren sollen gesundheitspolitisch aufgerüstet werden und besonders vulnerable Personen sollen in spezielle Einrichtungen gebracht werden. Zudem sei beispielsweise die Unterkunft in Urdorf derzeit nicht mal zur Hälfte belegt. «Wir versuchen unter diesen Rahmenbedingungen das bestmögliche für diese Menschen herauszuholen», so der Regierungsrat zu Tsüri.ch. Fehr ruft zu gemeinsamer Solidarität auf.

Wenn wir das Coronavirus schnell stoppen wollen, dann müssen auch wir weniger werden.

T.

T. spürt von dieser Solidarität noch nichts. Er hofft, dass das BAG auch die Menschen in Rohr und anderen Zentren nicht vergesse. «Wir sind hier auf engem Raum etwa 60 Leute, an uns denken sie nicht. Wenn wir das Coronavirus schnell stoppen wollen, dann müssen auch wir weniger werden», so der Eritreer. Im Aldi sehe er Verkäufer*innen, welche Bargeld nur noch mit Handschuhen anfassen, im Rückkehrzentrum sei das kein Thema.

*Namen der Redaktion bekannt

Corona-Krise: die Schwächsten leiden am meisten
Asylsuchende, Sans-Papiers, Obdachlose und Prostituierte – Menschen, welche am Rande der Gesellschaft leben, haben es derzeit besonders hart. Verschiedenste Projekte und Institutionen stellen derzeit ihren Betrieb ein. So schreibt das Sozialwerk Pfarrer Sieber, dass sie die Notschlafstellen Pfuusbus und Iglu sowie das Gassencafé Sunestube vorübergehend schliessen müssen. Die Gassenarbeit werde nun ausgebaut und Obdachlose werden tagsüber im Pfuusbus mit Informationen und Mahlzeiten versorgt.

Das Magazin Surprise musste seinen Verkauf einstellen und startet einen Spendenaufruf. Die Einstellung der Verkäufe ist verheerend für die rund 450 Verkaufenden, welche armutsbetroffen und abhängig vom Verkauf des Magazins sind.

Ebenfalls sieht die Lage für viele Sans-Papiers prekär aus, sie verlieren ihren Job und können nicht mehr für ihren Grundbedarf aufkommen. Werden sie krank, so sind die wenigsten krankenversichert. Der Verein Züri City Card startete eine Kampagne um die Sans-Papiers in der Notlage zu unterstützen. Mehr zur aktuellen Situation der Sans-Papiers findet ihr hier oder in unserer Sans-Papiers-Kolumne: «Gesund bleiben, bitte!».

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