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12. April 2015 um 08:25

6 Beweise, dass die Stadt Zürich die Bevölkerung für dumm verkauft

Sanierung der Fritschiwiese

Zusammen mit meiner Familie lebe ich seit genau zehn Jahren im Quartier zwischen Bullingerplatz und Friedhof Sihlfeld. Zu diesem Jubiläum schenkt uns die Stadt eine neue Parkanlage.

Nicht ganz.

Die Stadt schenkt uns die so genannte «Aufwertung» einer bestehenden Parkanlage.

Vor ein paar Jahren wurde der nahe gelegene Idaplatz «verschönert». Es war also absehbar, dass die Gentrification auch vor der Fritschiwiese nicht Halt machen wird.

Keine Frage, die Stadt meint es mit diesen «Quartier-Upgrades» nur gut. Sie hat (scheinbar) viel Geld und möchte es zu Gunsten der Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt ausgeben. Was gibt es also naheliegenderes, als ein heruntergekommenes Pärklein zu verschönern.

Nichts.

Die Stadt ...

(Wenn ich «die Stadt» schreibe, dann meine ich die Verwaltung und deren politische Führung)

... hat bezüglich der Umgestaltung der Fritschiwiese die Quartierbewohnerinnen und -bewohner zu zwei Partizipationsanlässen eingeladen.

Da waren jeweils (gefühlt) zwanzig Leute aus der Verwaltung anwesend. Das zeigt zwar, dass die Stadt keinen Aufwand scheut. Diese Übermacht an Fachleuten aus den unterschiedlichen Ämtern wirkt jedoch auch etwas einschüchternd.

Dem gegenüber machten beim ersten Event, bei dem es um die Ideenfindung ging, (gefühlt) nur halb so viele Menschen aus dem Quartier mit. Beim zweiten Anlass, an dem die Neugestaltung präsentiert wurde, waren sogar nur noch (gefühlt) fünf Quartierbewohnerinnen und -bewohner anwesend.

Obwohl immer nur davon die Rede war, einzelne Teile des Parkes «aufzuwerten», präsentierte die Stadt letztendlich eine Totalüberholung.

Dieser Tage sind nun die Baumaschinen aufgefahren und Orientierungstafeln wurden aufgestellt. Dabei werden folgende sechs Punkte klar.

1. Der Stadt Zürich sind die Pflanzen wichtiger als die Menschen

Der Umbau der Fritschiwiese hat eben erst begonnen. Ergo: Die Fritschiwiese kann diesen Frühling und Sommer nur sehr eingeschränkt genutzt werden. In dieser Zeit befinden sich jedoch bekanntlich die (leider viel zu) wenigen Wochen, in denen wir uns in Parks aufhalten können.

Als Landschaftsgärtnermeister mit zehnjähriger Berufserfahrung weiss ich jedoch, dass die meisten der geplanten Umbauarbeiten auch im Winter durchgeführt werden könnten. Einzig die Begrünung ist erst im Frühling möglich.

Natürlich ist es sinnvoller, Grünflächen bei trockener Witterung zu befahren.

Aber:

1. Auch gefrorener Boden bietet Schutz gegen die zerstörerische Verdichtung

2. Es gibt unzählig Schutzmassnahmen, um Grünflächen auch bei Feuchtigkeit zu befahren: Fahrzeuge mit breiten Pneus oder Raupen; aber auch grossformatige Platten verlegen.

Des Weiteren kann es bekanntlich auch im Frühling und Sommer regnen.

2. Die Stadt Zürich hält die Kinder für total bescheuert

Auf der Infotafel von Grün Stadt Zürich zur «Aufwertung» der Fritschiwiese steht geschrieben:

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Es ist nicht so, dass es auf der Fritschiwiese gar kein Spielangebot mehr hat. Es hat unzählige Schaukeln, eine grosse Rasenfläche, einen Bereich mit Sandkastencharakter, ein zweiteiliges Wasserbecken mit Höhenunterschied und eine kleine Spielanlage mit Rutschbahn und Häuschen.

Für eine Stadt mit (viel) Geld ist es jedoch kaum auszuhalten, dass gewisse Teile veraltet sind (Schaukeln und Sandkastenzone) und anderes als Ersatz nur improvisiert platziert wurde (Spielanlage).

Aber was bedeutet es eigentlich, in einer (kleinen) Parkanlage (scheinbar) zu wenige Spieleinrichtungen zu haben?

Richtig: Die Kinder werden kreativ!

Diesbezüglich stellt ein dreiteiliges bauliches Element alle anderen Spielangebote auf der Wiese in den Schatten: Drei grosse Entlüftungsrohre, die schräg aus dem Boden ragen. Diese werden als Aussichtspunkte, als Startrampen für alle möglichen Objekte mit Rädern und für Kletter- und Hüpfspiele benutzt.

Aber auch der Hügelbereich, der der Stadt ebenso ein Dorn im Auge ist (dazu jedoch später), ist bei vielen Kindern und Jugendlichen beliebt.

Dazu kommt, dass klar definierte Spielangebote oft nicht zu kreativem Spiel animieren. Respektive, dass viele Eltern reflexartig dann eingreifen, wenn die Kinder wirklich kreativ werden (z.B. wenn sie Steine eine Rutschbahn runterrollen lassen)<br><br>

3. Die Stadt Zürich trennt die Menschen, statt sie zusammen zu bringen

Auf der Infotafel von Grün Stadt Zürich zur «Aufwertung» der Fritschiwiese steht geschrieben:

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WTF?! Was sagt diese Formulierung über unsere Gesellschaft???

Jede Nutzungsart und jedes Alter braucht seine eigene Zone? Und wenn dann wegen diesem orchestrierten Neben- statt Miteinander (neue) Nutzungskonflikte entstehen, benötigt die Stadt neben der bereits bestehenden Einsatztruppe SIP (Sicherheit Intervention Prävention) eine zweite SIP: Diese ist dann für «Sozial Integration Partnerschaft» zuständig.

Nachdem unzählige Generationen separiert wurden, geht eigentlich der Trend aktuell wieder viel stärker in Richtung Integration. Da werden beispielsweise die Sonderschulen aufgelöst und die Schülerinnen und Schüler in «Normalklassen» integriert. Oder es werden Kindergärten in Altersheimen angesiedelt.

Und wie wird hier eigentlich «Konflikt» definiert? Geht es allenfalls auch um die Verdrängung von so genannten «Randständigen» oder (fürs Schweizer Ohr teilweise etwas) lauten Ausländergruppen?

Wenn die Stadt diese Wiese attraktiver macht, dann werden die Konflikte zunehmen. Die Nutzung des kleinen Parkes wird zunehmen oder sich einfach verändern (anstelle von ein paar lallenden Alkis wird es vermehrt feuchtfröhlich feiernde Menschengruppen geben. Der nahegelegene Idaplatz lässt grüssen)

4. Die Stadt Zürich bekämpft Abfall mit noch mehr Abfall

Auf der Infotafel von Grün Stadt Zürich zur «Aufwertung» der Fritschiwiese steht geschrieben:

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Liebe Stadt, wenn ihr diese Wiese mit vielen tollen Spielangeboten und einer schicken Neugestaltung attraktiver macht, dann wird die Nutzung noch viel intensiver. So wird aus einem grünen Park ein intensiv genutzter Platz. Dann steigt auch die Abfallproblematik.

Und für mehr und grössere Abfalleimer braucht es mit Sicherheit keine grosse Umgestaltung.
Gut möglich, dass diese Abfallthematik der Auslöser für diese Umgestaltung der Fritschiwiese war. Es passiert nämlich (gefühlt) nicht selten, dass die Stadt wegen fehlenden Abfallkübeln einen ganzen Platz umbaut.

5. Die Stadt Zürich unterschätzt nicht nur Kinder. Die Jugendlichen hasst sie sogar

Auf der Infotafel von Grün Stadt Zürich zur «Aufwertung» der Fritschiwiese steht geschrieben:

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Die Stadt kann scheinbar keinen Ecken mehr dulden, der unübersichtlich ist. Überall werden Gebüsche ausgeholzt und dunkle Nischen mit Lampen ausgeleuchtet. Dass dabei wichtige Orte für Jugendliche verschwinden, passt zur Jugendfeindlichkeit einer Gesellschaft, in der alle jung bleiben wollen.

In unübersichtlichen Ecken können sich die Jugendlichen treffen, die nicht mehr Zuhause bei «den Alten» abhängen möchten und oft noch nicht die Kohle haben, um sich in Bars und Clubs zu treffen. Hier Küssen sie sich zum ersten Mal oder sie drehen hier ihre ersten Joints.

Sie machen jedoch gelegentlich Lärm und auch Abfall. Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass unsere Stadt oft einen Unterschied macht, wo und wer Abfall produziert (je kommerzieller, umso einfacher scheint er zu managen).

Und um die Park querende Veloverbindung für alle Nutzer und Nutzerinnen sicherer zu machen, braucht es keine Totalsanierung der Fritschiwiese.

Ein von RUN ZRH (@runzrh) gepostetes Foto am

6. Die Stadt Zürich saniert sich zu Tode

Auf der Infotafel von Grün Stadt Zürich zur «Aufwertung» der Fritschiwiese steht geschrieben:

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Niemand bei der Stadt scheint Patina Charme abgewinnen zu können. Sogar alles Alte ist nur dann gut genug, wenn es renoviert und totalsaniert ist.

Bei der Sanierung des Planschbeckens wurde das obere Becken mit dem tieferen Wasserstand so umgebaut, dass es kein tiefes Becken mehr ist. Dadurch hat die Stadt die Wasseranlage für ältere Kinder unattraktiver gemacht. Das ist wohl eine Massnahme, um Nutzungskonflikte zwischen kleinen und weniger kleinen Kindern zu verhindern.

Die Stadt Zürich ist wirklich eine sehr vermögende Stadt, wenn sie dringend zu behebende Altersschäden immer gleich dazu benutzt, um das Ganze darum herum auch noch zu «sanieren».

Ein von @twijo gepostetes Foto am

Transparenzbox
Alle diejenigen, die die Gentrification kritisieren, sind oft Teil des kritisierten Problems. So auch ich. Mit meinem Zuzug ins Quartier vor zehn Jahren, zählte ich zur (späten) Vorhut derjenigen, die das Quartier «attraktiver» machten (z.B. mit meinen schwärmerischen Posts auf Instagram, Twitter und Facebook). Vor zehn Jahren hatte ich das Gefühl, dass ich schon fast an den Stadtrand zog. So verändert sich das Gefühl zur Stadt.

Gegen Gentrification zu wettern ist im Kern konservativ und reaktionär. Alles beim Alten zu belassen (musealisieren) kann ähnlich «lusttötend» sein, wie alles immer neu machen zu müssen.

Eine Stadt verändert sich und soll sich auch verändern dürfen. Kritik an Gentrification stellt jedoch auch die Diskussion ins Zentrum, wie(!) sich die Stadt verändern soll. Diese Liste ist ein Beitrag an diese Diskussion.

Ich bin Initiant eines kleinen Open-Airs, das jeweils am 1. August auf der Fritschiwiese stattfand. Es hiess «Motherland calling from Fridji» und war eine Liebeserklärung an die (gefühlt) multikulturellste grüne Insel der Stadt Zürich.

Wegen dem Umbau der Fritschiwiese kann seitens der Stadt Zürich die diesjährige Durchführung nicht garantiert werden. Ich nehme das zum Anlass, dieses kleine Quartiefest sterben zu lassen. Zum einen als Protest gegen diese Totalsanierung und zum anderen sollte es in der Stadt Zürich öfters vorkommen, dass etablierte Feste verschwinden, um neuen Veranstaltungen Platz zu machen.

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