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Von Seraina Manser

Community-Verantwortliche

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10. August 2017 um 08:16

«Du bist dein eigener Chef»

Gibt es eine Alternative zum klassischen Nine-to-five-Job im Büro? Was ist wichtiger: Selbstständigkeit oder Selbstverwirklichung? Wie wärs denn eigentlich mit einem Startup? In der Artikelreihe «Arbeit 2.0» widmet sich tsüri.ch neuen und innovativen Formen von Jobs im 21. Jahrhundert.

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Das Startup 2324.ch im Interview über Privathelikopter und Zweifel an der eigenen Idee.

Mit dem digitalen Dorfplatz 2324.ch wollen Amanda Sauter, Mauro Bieg und Nicolas Hebting Einwohner*innen miteinander vernetzen und so den Zusammenhalt in den Schweizer Gemeinden stärken. Die Gemeinden, Vereine aber auch einzelne Personen sollen auf News publizieren und so voneinander erfahren, was lokal läuft. Tsüri.ch traf die drei auf ein Gespräch an ihrem Arbeitsplatz im Impact Hub.

Die Köpfe hinter 2324.ch (von links nach rechts):

  1. Mauro Bieg studierte Informatik an der ETH, ging nach dem Master reisen und arbeitete als Programmierer. Die Idee für einen Online Dorfplatz geisterte schon länger in seinem Kopf herum.
  2. Nicolas Hebting ist Jurist, arbeitete an einem Gericht und kümmert sich um das Marketing, Kommunikation und Sales von 2324.ch.
  3. Amanda Sauter studierte Kommunikationsdesign und entwickelte im Rahmen ihrer Bachelorarbeit die Corporate Identity für 2324.ch. Jetzt ist sie für das Design und Frontend des Startup verantwortlich.

tsüri.ch: Wer will sich heute überhaupt lokal vernetzen?

Nicolas: Auf Facebook verfügst du über ein riesiges Netzwerk: Du hast Freunde in Finnland und siehst ihre Ferienfotos von Hawaii. Das gibt dir das Gefühl, du seist ein richtiger Weltbürger, aber in Wirklichkeit entfernst du dich mehr und mehr von deiner unmittelbaren Umgebung. Das hat ein Bedürfnis zur Folge und zwar, dass du dich je länger je mehr dafür interessierst, was bei dir vor der Haustüre passiert.

Amanda: Früher wusste ich, mein Nachbar Herr Müller hat eine Bohrmaschine, die ich ausleihen kann. Heute wohne ich seit drei Jahren in meinem Block, aber geh trotzdem nicht einfach beim Nachbar klingeln. Das soll sich wieder ändern.

Und da kommt 2324.ch ins Spiel?

Mauro: Die Gemeinden sollen unseren Dorfplatz als Werkzeug brauchen, damit man sich auch in der wirklichen Welt wieder mehr vernetzt. Wir nehmen das Beste aus den partizipativen, sozialen Medien und das Beste aus den lokalen Medien. Darin steht zwar viel darüber, was vor deiner Haustüre passiert, aber nicht in einem ansprechenden Format und nicht jeder kann etwas beitragen. Oder es geht extrem lang bis dein Leserbrief publiziert wird. 2324.ch hingegen fördert auch spontane Aktivitäten.

Die meisten Gemeinden haben eine Webseite und Facebook. Reicht das nicht aus?

Mauro: Auf Facebook kann die Gemeinde zwar etwas posten, aber auf Artikel ist Facebook eigentlich nicht ausgelegt. Auch gehen diese neben den anderen Posts von Freunden schnell unter. Es entsteht kein lokal relevanter, gesellschaftlicher Diskurs.

Die Zeit der Gemeindeversammlungen ist vielerorts passé: Wenn du heute die Energie der Leute nutzen willst, brauchst du eine soziale Plattform, über die du als Gemeinde auf Augenhöhe mit deinen Einwohner*innen kommunizieren kannst. Die Gemeindewebsite ist dafür wenig geeignet. Hier suche ich nach anderen Informationen.

Wenn du eine Familie, ein Haus und einen Privathelikopter hast (lacht), dann gründest du nicht mehr dein eigenes Startup.

Mauro Bieg

In wie vielen Gemeinden seid ihr online?

Amanda: Bisher in Sargans und Winterthur. Wir sind aber bereits mit weiteren Gemeinden im Gespräch. Das Feedback ist grösstenteils sehr positiv. Bis ein solches Projekt jedoch bei allen Instanzen durch ist, ist es ein langer Prozess.

Im Herbst 2015 hast du, Mauro, beschlossen, deine Idee umzusetzen.

Mauro: Ich dachte, wenn ich nicht jetzt etwas anpacke, dann wahrscheinlich nie mehr. Wenn du eine Familie, ein Haus und einen Privathelikopter hast (lacht), dann gründest du nicht mehr dein eigenes Startup.

Im Dezember 2015 habt ihr mit 2324.ch den mit 28’000 Franken dotierten Wettbewerb des Impact Hub gewonnen.

Amanda: Wir mussten unsere Idee vor der Jury pitchen; es war krass, als wir dann tatsächlich gewonnen hatten. Dann mussten wir weitermachen. Ohne das gewonnene Geld und die Verpflichtung hätten wir irgendwann sagen können: «Ja, war schön, aber das war’s.»

Zum Preis gehören auch neun Monate Mitgliedschaft im Impact Hub. Warum seid ihr immer noch hier?

Amanda: Wir haben uns überlegt, wo wir weitermachen könnten, als wir hier nicht mehr gratis arbeiten konnten.

Mauro: Aber uns hat der Impact Hub sehr geholfen. Es gibt ganz banale Fragen wie: «Wie gründe ich einen Verein?» oder «Wie fülle ich ein Steuerformular aus?» bis hin zu strategischen Fragen, zu denen du hier immer von jemandem Hilfe bekommen kannst. Ausserdem wollen alle immer wissen, was du machst, und so lernst du schnell dein Projekt in zwei, drei Sätzen zu beschreiben.

Startup assoziieren viele mit Zuckerberg und Uber. Wir wollen aber nicht möglichst viel Geld verdienen ...

Nicolas Hebting

Habt ihr noch Geld übrig?

Amanda: (lacht) Vom Wettbewerb? Nein, schon lange nicht mehr.

Und wie finanziert ihr euch?

Amanda: Vom Ersparten. Und wir machen nebenbei auch kleinere Aufträge, damit wir so zu Geld kommen.

Nicolas: Unser nächstes Ziel ist aber Break Even, also das Kosten und Erlös gleich hoch sind.

Wie funktioniert euer Business-Model?

Nicolas: Die Gemeinden zahlen einen Beitrag pro Jahr und zwar etwa einen Franken pro Einwohner. Wenn man schaut, wieviel sie sonst für ihre Homepage ausgeben, sind das geringe Kosten.

Wer ist der Chef?

Nicolas: Wir sind zu dritt in der Geschäftsleitung und fällen strategische Entscheide miteinander. Jeder hat zudem sein Ressort, für das er oder sie hauptverantwortlich ist.

Arbeiten bei einem Startup klingt attraktiv: Kein Chef, eine Idee, hinter der du stehst und deine Freunde sind deine Mitarbeiter*innen.

Nicolas: Startup assoziieren viele mit Zuckerberg und Uber. Wir wollen aber nicht möglichst viel Geld verdienen ...

Mauro: ... sondern etwas Positives bewirken.

Amanda: Es stimmt aber schon, dass die Arbeit Spass macht! Sonst würden wir die Nachteile sicher nicht so gerne in Kauf nehmen. Es ist toll, jeden Tag etwas tun zu können, das man für sinnvoll hält.

Welche Freiheiten habt ihr?

Mauro: Du bist dein eigener Chef und wir müssen nur uns gegenüber Rechenschaft ablegen.

Nicolas: Aber wenn du nichts machst, dann passiert auch nichts. Du musst dir selber Deadlines setzen.

Wir haben auch schon gezweifelt, aber irgendwann gemerkt, dass wir gar nicht so schlecht sind...

Amanda Sauter

Schreibt ihr eure Stunden auf?

Amanda: Nein. Wir versuchen aber klassische Arbeitstage zu machen. Um halb zehn haben wir ein Standup Meeting. Bis dann sind alle im Büro. Es macht keinen Sinn, wenn wir uns um sechs Uhr treffen würden. Wir sind alle keine Morgenmenschen.

Nicolas: Wir versuchen, nicht am Wochenende zu arbeiten oder nachts. Das ist die klassische Gefahr, wenn du eine starke eigene Motivation hast. Du könntest immer noch etwas machen und irgendwann wird es zu viel und macht keinen Spass mehr.

Amanda: Das ist auch das Gute daran, wenn du zu dritt bist: Wir schauen gegenseitig, dass wir es nicht übertreiben. Es passiert eigentlich nie, dass zwei um 17 Uhr gehen und der andere bis 21 Uhr bleibt.

Und Differenzen innerhalb des Teams?

Mauro: Wir diskutieren viel. Es war noch nie so, dass wir uns nicht einig geworden wären. Sonst wären wir nicht mehr zu dritt hier.

Amanda: Wir haben schon Glück. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir uns alle so gut verstehen.

Welches sind die Schattenseiten im Startup-Leben?

Amanda: Du musst selber dem Geld nachrennen. Am Anfang erinnert es ans Studium, dort musst du auch rechtzeitig deine Arbeiten abliefern. Mit dem Unterschied: Dass du hier nicht einfach die Prüfung nicht bestehst, sondern du dann deine Miete nicht mehr bezahlen kannst.

Gab es nie Momente, in denen ihr das Projekt abbrechen wolltet?

Amanda: Wir haben auch schon gezweifelt, aber irgendwann gemerkt, dass wir gar nicht so schlecht sind...

Nicolas: Du musst dich darauf einstellen, dass nicht alle deine Idee lässig finden. Aber wenn jemand dein Projekt hart kritisiert, dann weisst du auch, dass er es ernst nimmt.

Könnt ihr euch vorstellen, wieder mal Angestellte zu sein?

Amanda: Ja, aber meine Ansprüche sind gestiegen.

Mauro: Für mich wäre es wichtig, eine Firma zu finden, hinter deren Zweck ich stehen könnte. Für eine Bank etwas programmieren, das würde ich nicht machen.

Welche Tipps habt ihr auf Lager für jemanden, der sein eigenes Startup gründen will?

Mauro: Erzähle möglichst vielen Leuten davon. Der grösste Denkfehler ist: «Meine Idee ist so gut, ich behalte sie für mich». Die Idee ist cheap - was zählt, ist die Umsetzung. Ohne Feedback und ohne Kontakt mit der Realität ist eine Idee nichts wert.

Amanda: Und frag nicht nur deine Kollegen und Freunde um ihre Meinung, sondern auch dein weiteres Umfeld. Die Freunde sagen schnell, «Ja, find ich gut», aber wenn es dann konkret ums Kaufen geht, sieht die Welt wieder anders aus.

Mauro: Sprich möglichst früh mit deinen Kunden. Die Gemeinderäte sitzen in einer anderen Welt als wir im hippen Impact Hub. Und ganz wichtig: Teste das Produkt mit ihnen. Wir hatten früh ein «Minimal Viable Product».

Das heisst?

Mauro: Unsere Plattform hat die wichtigsten Funktionen. Gegenüber den Gemeinden benutzen wir das Wort aber nicht, sie hören «minimal» und das tönt nach unfertig. So ist es nicht. Es funktioniert alles, wir haben einfach noch keine eierlegende Wollmilchsau erfunden. Aber die kommt noch!

Foto: Laura Kaufmann

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