Nach 1. August-Rede von trans Mensch: So politisch ist Tanzen im Club - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Philipp Mikhail

Redaktor

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9. August 2021 um 11:19

Nach 1. August-Rede von trans Mensch: So politisch ist Tanzen im Club

Am vergangenen 1. August wurde in der Shedhalle der Roten Fabrik die wohl erste Rede eines trans Menschen zum Nationalfeiertag der Schweiz übertragen: Während Mo Brunold in Langnau am Albis die Probleme des Landes aufzeigt, fiebert die Rote Fabrik mit. Danach wurde im Clubraum getanzt. Ein wertvoller Kontakt, der neue Standards setzt und beweist, dass das Private auch politisch ist.

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Am 1. August 2021 hielt die erste trans Person eine Rede zum Nationalfeiertag der Schweiz. (Alle Bilder: Carla Schleiffer)

«Es war für mich eine Art moralischer Imperativ, die Anfrage anzunehmen.» So erklärt die queer-feministische Anarcha-Marxist:in Mo Brunold, die Zusage für die Festrede zum Nationalfeiertag in Langnau am Albis. Es komme nicht oft vor, dass non-binäre Menschen für eine solche Rede angefragt würden. Mo zitiert in der Ansprache gleich zu Beginn das Lied «Dynamit» von Mani Matter und zeigt auf, dass die Schweiz ein reaktionäres Land ist. Dort und da schmunzelt das Publikum auf dem Albis etwas, als Mo ausführt, sich keinem Geschlecht zugehörig zu fühlen.

Die tägliche Tortur, die mit dieser Identität einhergeht, berührt die Zuhörerschaft in Langnau dann doch – es kullern Tränen. In der Roten Fabrik herrscht indes Stille. Die Organisator:innen des Queer Bay Day (Gessnerallee, Shedhalle und IG Rote Fabrik) haben für die Ansprache die Musik auf dem Areal ausgemacht. Das Publikum hört aufmerksam zu. Zahlreiche Gäste erzählen Mo später am Abend an der Afterparty, sie hätten Gänsehaut gehabt. Viele wissen jedoch nicht: Die Aktion in Wollishofen war spontan zustande gekommen.

Akzeptanz statt Ignoranz

Als Isi von Walterskirchen, die Leiterin des Clubbüros der IG Roten Fabrik, nur wenige Wochen zuvor bei einem Event von Zürich schaut hin im Gespräch mit einer dort gemachten Bekanntschaft zufällig von Mos Ansprache erfuhr, war für sie klar: «Das müssen wir sichtbar machen.» Sie trat mit Mo in Kontakt und entschloss kurzerhand, die Rede am Queer Bay Day zu übertragen. Während des Summer Camps der Roten Fabrik waren die Voraussetzungen dafür perfekt: Für einen ganzen Monat wurden diverse Räume des Areals inklusive Infrastruktur für öffentliche Projekte zur Verfügung gestellt. «Wir wollen auf die individuellen Bedürfnisse der Menschen eingehen und darüber hinaus kleine Projekte unterstützen», führt von Walterskirchen aus. Dies verfolge unter anderem das Ziel, Synergien innerhalb der Communities zu nutzen und damit Diversität zu fördern.

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In der Roten Fabrik in Wollishofen wurde der Auftritt von Mo gefeiert.

Die Übertragung von Mos Rede mag marginal erscheinen, doch sie beweist Spontanität und Flexibilität. Besonders effizient war die Aktion nicht zuletzt dank Freund:innen und Bekannten von Mo, die tatkräftig mithalfen. Zuschauer:innen konnten die Ansprache sowohl am Event selbst als auch online mitverfolgen. Lobenswert ist im Fall der Ansprache von Mo sicherlich auch, dass die Gemeinde Langnau am Albis diese überhaupt möglich gemacht hat. Mo ist vor einigen Jahren von Oerlikon nach Bern gezogen, um einen Master in politischer Philosophie zu absolvieren und war beeindruckt «wie sich mir wie aus dem Nichts plötzlich die Möglichkeit bot, meine Anliegen aus dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, nach Zürich zu tragen». Noch nie habe sich Mo so verstanden und akzeptiert gefühlt, wie am vergangenen Nationalfeiertag.

Spannend ist der Stream einerseits, weil er die Unterscheidung des privaten, gesellschaftlichen und politischen Lebens dekonstruiert. Die gesellschaftlich entworfene Intimität einer herkömmlichen – meist bürgerlich geprägten – Nationalfeier in einem Dorf wird gebrochen und infrage gestellt. Mo bezeichnet diese Unterscheidung im Übrigen als patriarchalisch, sexistisch und rassistisch. Die Unterscheidung zwischen Privatem und Politischem sei beispielsweise der Grund, weshalb es in der Schweiz als legitim erachtet werde, dass Männer über das Frauenstimmrecht und Cis-Heterosexuelle über die Ehe für alle entscheiden.

Im Kanton Zürich haben Frauen erst seit gut 50 Jahren das Stimm- und Wahlrecht. Ende September stimmt das Schweizervolk über die Ehe für alle ab. Der Zürcher SVP-Nationalrat Roger Köppel schreibt dazu auf Twitter: «Ein Tisch heisst Tisch. Ein Stuhl ist ein Stuhl. Eine Ehe ist die Verbindung zwischen Mann und Frau. Das soll so bleiben.» Andererseits entstand ein aussergewöhnlicher Kontakt in einem ungewöhnlichen Moment. Von Stadt-Land-Graben keine Spur.

Ein Tummelplatz für alle

Die Zürcher Clubs vermögen es jedenfalls längst, die angebliche Lücke zwischen Land und Stadt zu schliessen. Die Rote Fabrik ist nur ein Katzensprung vom Albis entfernt. Dennoch wird deutlich, wie wichtig Orte sind, die Platz für Diskurse schaffen. Diskotheken waren derweil im Zusammenhang mit Sexualität und Geschlecht stets ein Schmelztiegel. So feierte in den Sechziger Jahren die damalige Zürcher LGBTQI+-Community im «Barfüsser» im Zürcher Niederdorf ausgelassene Feste, obschon die Polizei die Betreibenden und Besucher:innen schikanierte und wiederkehrend Razzien durchführte. In den Siebzigern veranstaltete die Homosexuelle Frauengruppe (HFG) an der Leonhardstrasse die «Disco Rapunzel». Seither hat die Zahl der Parties, die gezielt LGBTQI+ fördern wollen, zugenommen. Sei dies nun im Hive, im Provitreff, im Heaven, in der Roten Fabrik oder in etlichen weiteren Etablissements. Trotzdem: Es stellt sich die Frage, ob in Zürich genügend Raum für solche Communities geboten wird. In puncto Gleichberechtigung stehen viele Institutionen ausserdem immer wieder in Kritik.

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Politik und Party – eine Symbiose auf der Tanzfläche.

Nur ein paar Wochen nach dem Queer Bay Day doppelt die Rote Fabrik indes nach. In den selben Gemäuern findet nämlich erneut ein Event in Zeichen der sexuellen Vielfalt und Freiheit statt: Das Lila Queer Festival ist eine Kooperation des Musikbüros und der Milchjugend. Die Milchjugend ist die schweizweit grösste Jugendorganisation für lesbische, schwule, bi, trans, inter und asexuelle Jugendliche und für alle dazwischen und ausserhalb. Die Bezeichnung «falschsexuell» auf der Website der Milchjugend ist bestimmt diskussionswürdig.

Nichtsdestotrotz: Der Verein wird Mitte September gemeinsam mit der Roten Fabrik während zwei Tagen das Areal in Wollishofen mit Musik, Tanz, Performance, Poesie und Workshops bespielen. Man wolle neue Räume schaffen, um Kontakt und Austausch zwischen Jugendlichen zu ermöglichen, die sich mit heteronormativen Geschlechter-, Sexualitäts- und Beziehungskonzepten nicht identifizieren wollen, schreibt die Milchjugend online. Und weiter: «Welten, in denen wir uns frei fühlen und in denen wir uns ausprobieren können.»

Es scheint kein Zufall zu sein, dass die Jugendorganisation dafür in einem Zürcher Club ein lauschiges Plätzchen gefunden hat. Die Übertragung der erste Rede eines trans Menschen zum Nationalfeiertag wird also sicher nicht der letzte Beweis dafür bleiben, wie eng umschlungen das Private und das Politische auf dem Dancefloor sein können.

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