«Züri brännt»

Vom Protest zur Kultur: Ausstellung über Jugendunruhen in der Photobastei

In den 1980er-Jahren protestierte die Zürcher Jugend für Kulturangebote in der Stadt. Die Bewegung prägte Zürich nachhaltig und legte den Grundstein für moderne Jugendarbeit. Eine Ausstellung blickt zurück und nach vorn.

Jugendunruhen Zürich Photobastei
In der Photobastei kann man derzeit Aufnahmen der Jugendunruhen betrachten. (Bild: Minea Pejakovic)

Im Treppenhaus der Photobastei haften Flugblätter an den Wänden. Sie fordern «Veränderig, aber subito!» oder «Jedem sein Jugendhaus!». Wie Relikte erinnern sie an eine Zeit, als Protest noch auf dem Papier begann.

Oben, im dritten Stock angekommen, hängen schwarzweisse Fotos und vier Monitore, die Kurzvideos abspielen. Sie zeigen Ausschnitte der Jugendunruhen in den 1980er-Jahren und lassen Besucher:innen in den damaligen Widerstand eintauchen. 

Die Ausstellung «45 Jahre Jugendunruhen» findet zurzeit anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Organisation und Kontaktstelle aller Jugendorganisationen Zürich «okaj» sowie des 45-jährigen Jubiläums der Jugendunruhen statt. 

Organisiert wurde sie von Imelda Koger, Projektleiterin der «okaj» Zürich und dem Ethnologen und Kulturvermittler Heinz Nigg, der die Inhalte kuratierte. Er hat die Jugendunruhen selbst miterlebt und war damals Lehrbeauftragter.

Das Opernhaus als Zündstoff

«Zürich ist schon in der zweiten Hälfte der 70er Jahre zu einer eher dumpfen Stadt geworden, ohne viele Ausgangsmöglichkeiten und erschwingliche Kultur», erklärt Nigg. Das Zürcher Nachtleben war beschränkt und es gab kaum Räume, in denen Jugendliche selbst Konzerte oder Events organisieren konnten.

Zwar sprach sich die Stadtbevölkerung 1977 für ein Kulturzentrum in der Roten Fabrik aus, doch die Regierung liess das Vorhaben liegen. Stattdessen plante die Stadt, 60 Millionen Franken in den Umbau des Opernhauses zu investieren. Die Jugend fühlte sich übergangen, formte eine Bewegung und besetzte die Rote Fabrik. 

Imelda Koger und Heinz Nigg
Die Gesichter hinter der Ausstellung: Heinz Nigg und Imelda Koger. (Bild: Minea Pejakovic)

Im März 1980 versammelten sich Jugendliche zu einem Protestfest in der Roten Fabrik. Dort besprachen sie, wie sie ihren Forderungen Nachdruck verleihen können. «Solche Vollversammlungen waren ein Medium, um sich auszutauschen und Aktionen zu planen», sagt Nigg.

Konkret forderte die Bewegung mehr Kulturgelder für alternative Freiräume und ein autonomes Jugendzentrum. In einer Aktion fassten sie diese Forderungen in einem überdimensionalen Brief zusammen und übergaben diesen persönlich an den Stadtrat. Dieser Moment ist in der Ausstellung auf einem der Monitore zu sehen.

Am Protestfest wurde auch eine Demonstration gegen die Vorlage über den 60-Millionen-Kredit für den geplanten Opernhausumbau angekündigt. Was am 30. Mai 1980 als friedliche Demonstration startete, verwandelte sich zur berüchtigten Opernhauskrawallnacht. Die Nacht markierte rückblickend den Anfang der Jugendunruhen.

Laut Nigg traten Polizisten mit Helmen und Schutzschildern aus dem Opernhaus heraus und drängten die Demonstrierenden von der Treppe. «Diese Aktion wurde als grosse Provokation empfunden», erzählt er. Nach und nach kippte die Stimmung. Noch in derselben Nacht lieferten sich Polizei und Demonstrierende bis in die frühen Morgenstunden eine heftige Strassenschlacht.

Durch Rebellion zur Kulturförderung

Die Unruhen verbreiteten sich bald wie ein Lauffeuer in anderen Städten, wie die Fotos aus Basel, Lausanne und Bern zeigen. In Zürich wird im Sommer daraufhin das Autonome Jugendzentrum (AJZ) eröffnet und im selben Herbst nach einer Razzia wieder geschlossen.

  • Jugendunruhen Zürich Demonstration
    Eine bewilligte Demonstration für das AJZ im September 1980 auf der Sihlbrücke. (Bild: Gertrud Vogler / Schweizerisches Sozialarchiv)
  • Jugendunruhen Zürich AJZ
    Das AJZ im März 1981 an der Limmatstrasse unweit des Zürcher Hauptbahnhofs. (Bild: Patrick Lüthy / Bibliothek der ETH)

Doch die Rebellion zeigte Wirkung: Die Interessengemeinschaft Rote Fabrik wurde 1980 gegründet und die Räumlichkeiten fortan als Kulturzentrum eröffnet. Ab 1987 wurde die Rote Fabrik dann auch subventioniert. Insgesamt  wurde das Budget für Alternativkultur in der Stadt Zürich bis 1990 verzehnfacht.

Zugleich rückte die Arbeit mit Jugendlichen vermehrt ins öffentliche Bewusstsein. «Es war sozusagen die Geburtsstunde der professionellen Jugendarbeit, davor war der Beruf kaum anerkannt», erzählt Imelda Koger, Projektleiterin der «okaj» Zürich. Heute bieten Jugendtreffs Raum, um die Freizeit zu gestalten. Wie das aussehen kann, zeigt ein Ausstellungsvideo – gemeinsam kochen, basteln oder abhängen. «In Jugendtreffs und anderen Angeboten der offenen Jugendarbeit können sich Jugendliche einbringen», sagt Koger.

Mit Mobilisierungsvideos vom Klimastreik Schweiz und dem Kollektiv «Unsere Antwort» spannt die Ausstellung einen Bogen zu gegenwärtigen Jugendbewegungen und stellt klar, «dass junge Menschen auch heute nicht einfach zusehen, sondern mitreden möchten», wie Koger sagt. 

Gleichzeitig wird deutlich, wie Bewegungen dank Digitalisierung eine weit grössere Anhängerschaft erreichen und oft Landesgrenzen überschreiten. «Über soziale Medien kann man sich in kürzester Zeit mobilisieren», sagt Koger. Der Wunsch nach Mitbestimmung ist unverändert. Nur beginnt heutzutage der Protest eher digital als auf Papier.

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Minea Pejakovic

Nach der Ausbildung zur Kauffrau EFZ beim Sozialdepartement der Stadt Zürich folgte die Berufsmaturität an der KV Zürich mit Schwerpunkt Wirtschaft. Anschliessend Bachelorabschluss in Kommunikation und Medien mit Vertiefung Journalismus an der ZHAW. Erste journalistische Erfahrungen als Praktikantin in der Redaktion von Tsüri.

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