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8. September 2020 um 12:00

Der Vaterschaftsurlaub sollte nicht so heissen

Wieso bezahlt die Schweiz den frisch gebackenen Müttern einen ‹Urlaub›, während Deutschland sie zuerst ‹schützt› und den ‹Eltern› dann ‹Zeit› schenkt? Unsere Redaktorin Vivienne Kuster macht sich in diesem Meinungs-Mittwoch über die Wortwahl in politischen Diskursen Gedanken und plädiert dafür, dass wir die Wörter sorgfältiger und überlegter wählen.

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In der Artikel-Reihe «Meinungs-Mittwoch» leistet sich jeden Mittwoch ein Redaktionsmitglied von Tsüri.ch eine Meinung. Sei es als Kolumne, Glosse oder eventuell als Video mit Tanzeinlage. Denn wie hat es Clint Eastwood als Dirty Harry damals so schön auf den Punkt gebracht: Meinungen sind wie Arschlöcher, jeder hat eins.

«Mami, wieso heisst ‹Wecker› Wecker und nicht Teppich?», habe ich als 5-jährige meine Mutter regelmässig gefragt. «Man nennt ihn ‹Wecker›, weil er uns weckt», hat meine Mutter jeweils geduldig geantwortet und wusste bereits, dass sie mich mit ihrer Antwort nicht zufriedenstellt.

Wie damals, beschäftigen mich heute immernoch Begriffe und ich will tiefer bohren. Heute stecke ich nicht mehr in der Fragespirale rund um das Ding, das uns am Morgen aus dem Schlaf reisst oder uns für lange Zeit aus dem Schlaf gerissen hat. Seit im Sommer die Initiative für den Vaterschaftsurlaub zustande gekommen ist, hat ein anderes Wort meine Aufmerksamkeit erweckt: der Mutterschaftsurlaub.

Wenn meine Mutter jeweils die Fragespirale zu einem Ende bringen wollte, sagte sie: «Wenn du das wirklich herausfinden möchtest, musst du Philosophie studieren.» Sie meinte damit wohl, dass man unterschiedliche Blickrichtungen auf das Wort anwenden sollte, um es richtig zu verstehen und über das Alltagsverständnis hinauszukommen. Und das hätten sowohl die Initiant*innen des Vaterschaftsurlaubes als auch andere Sprecher*innen der Politik öfters tun sollen. Denn mit dem Begriff des ‹Vaterschaftsurlaubes› eröffnen sie auch die Frage, was und zu welchem Zweck es den Mutterschaftsurlaub gibt.

Urlaub nur für schaffende Mütter?

Was sagt denn der Begriff ‹Mutterschaftsurlaub› aus? Macht es einen Unterschied, dass wir in der Schweiz, in unserer Bundesverfassung von einem Urlaub sprechen, während Deutschland zwischen Mutterschutz und Elternzeit unterscheidet?

Urlaub steht für eine Pause von der Arbeit. Urlaub für die Mutterschaft klingt also schön und positiv. Der Begriff ist aber nur für Mütter reserviert, die einer ‹Arbeit› nachgehen, die auch vor dem Gesetz als Arbeit gilt. Alle Frauen, die nicht berufstätig sind und durch die Geburt des Kindes zu einer Mutter werden, profitieren von diesem ‘Urlaub’ leider nicht.

Damit wird der Urlaub nicht jeder Frau zugestanden, geben weder Gesetz noch der Begriff (Urlaub als Gegenbegriff zu Arbeit) Anzeichen, dass Mutterschaftsurlaub mit gesundheitlicher Erholung nach dem körperlichen Anstrengungen einer Geburt verbunden wäre. So wird der ‹Mutterschaftsurlaub› zu einem Begriff der Sozial- und nicht der Gesundheitspolitik.

Im Wespennest der Begrifflichkeiten

Was ist nun aber der Mutterschaftsurlaub, wenn es einen Vaterschaftsurlaub gibt? Die konservativen Parteien argumentieren einerseits medizinisch und benutzen den Begriff des Mutterschaftsurlaubs auch dafür: Die Frau brauche eine Pause nach der Geburt, der Mann nicht. Gleichzeitig wird unter ihnen auch mit einem sozialkonservativen Gedanken, der den Mutterschaftsurlaub als eine soziale Einrichtung sieht, gegen die Initiative argumentiert: Die Frau sei natürlich dazu gemacht, sich um die Kinder zu kümmern, deshalb müsse man nur ihr einen ‹Urlaub› ermöglichen.

Mit der Wortwahl bei der Initiative für einen Vaterschaftsurlaub sind die Initiant*innen in ein Wespennest getreten. Sie argumentieren einerseits dafür, dass Erziehung kein Geschlecht kennen sollte, und wünschen sich eine Gesellschaft, in welcher Mütter und Väter die gleichen Bedingungen und Chancen haben, sich um Kinder kümmern zu können.

Gleichzeitig möchten sie das Gesetz so ergänzen, dass der Bund dafür zuständig ist, dass es eine ‹Mutterschaftsversicherung und Vaterschaftsversicherung› gibt und macht den Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub vollkommen zu einer sozialen Strategie; medizinische Bedürfnisse ausgelassen.

Ich bin für mehr begriffliche Sorgfalt und unsere nördlichen Nachbarn, die zwischen gesundheitlichen Bedürfnissen (Mutterschutz) und gesellschaftlichen Werten (Elternzeit) unterschieden, könnten uns dabei ein Beispiel sein. Sie unterscheiden deutlich zwischen gesundheitlichen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Werten.

Die Grundlage für Gleichberechtigung

Die unterschiedlichen Begriffe bedeuten für mich auch unterschiedliche politischen Aussagen: Die Mütter müssen geschützt werden, weil sie spezifische biologische Bedürfnisse haben, und die Eltern erhalten Zeit, womit die Deutsche Politik eine Familienpolitik betreibt, welche Frauen und Männer auf gesetzlicher Ebene gleichermassen für die Kindererziehung verantwortlich macht.

Ich bin also gegen einen ‹Vaterschaftsurlaub›, wie ich auch gegen einen ‹Mutterschaftsurlaub› bin. Ich bin dafür, dass wir begrifflich unterscheiden, um bei politischen Diskussionen die Argumentationen besser kritisieren zu können: Reden wir jetzt über Gesundheitspolitik oder Gesellschaftspolitik? Wollen wir einen Mutterschutz, einen Mutterschaftsurlaub oder Elternzeit? Es spielt eine Rolle, wie wir sprechen und welche Wörter wir wählen. Und das sollten wir vorallem dann beachten, wenn wir Gesetze formulieren.

Info zum ‹Mutterschaftsurlaub›

Der ‹Mutterschaftsurlaub› hat 2004 den Weg in unser Gesetz gefunden. Ein ganzes Jahrhundert lang gab es immer wieder Petitionen, Initiativen und parlamentarische Bemühungen, Frauen, die ein Kind erwarten, eine arbeitsfreie Zeit zu ermöglichen, ohne dass sie auf ein Einkommen verzichten müssen. Denn es gab zwar schon länger einen Schutz der Mutter wie das Arbeitsverbot nach der Niederkunft, das finanzielle Risiko trug aber bis 2004 die Frau selbst, ausser sie war privat versichert.

Titelbild: Laura Kaufmann / Timothy Endut

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