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Von Simon Jacoby

Co-Geschäftsleitung & Chefredaktor

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15. September 2016 um 08:23

Fehlende Velowege machen Velofahrer*innen zu Kriminellen

Wegen fehlenden Velowegen wurden letzte Woche viele Velofahrer*innen gebüsst – und damit verärgert. Politiker*innen fordern Veränderungen, die Polizei rechtfertigt sich mit der aufgebrachten Bevölkerung.

Strasse blockiert. Velokontrolle. Sieben Polizisten stehen auf der einen Seite der Langstrassen-Unterführung, zwei in zivil auf der anderen – Tsüri.ch beobachtete. «Ausweis, bitte. Sie wurden gesehen, wie Sie über das Trottoir gefahren sind.» «Wenn es da einen Veloweg gäbe, müsste ich nicht übers Trottoir fahren.» «Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um zu Diskutieren.» Busse: 40 Franken. Die fehlende Klingel und die offensichtlich kaputten Bremsen wurden weder kontrolliert, noch gebüsst. Bahnhofstrasse, einen Tag davor: Velokontrolle in der Fussgängerzone – eine Tsüri-Userin berichtet. «Ausweis, bitte» «Aus welchem Grund kontrollieren Sie hier die Fahrräder?» Die Ladenbesitzer hätten sich über Velofahrende beschwert, gibt der Polizist gemäss Informantin zur Antwort. Busse wegen fahren auf dem Trottoir: 30 Franken.
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Letzte Woche wurden an verschiedenen Orten zahlreiche Kontrollen durchgeführt. Meist dort, wo es eh schon schwierig ist, sich mit dem Velo korrekt zu verhalten wie zum Beispiel an der Bahnhof- oder der Langstrasse.

Was sollen diese Kontrollen? Was ist das Ziel? Sind die polizeilichen Ressourcen so tatsächlich sinnvoll eingesetzt? Und: Wie gefährlich sind Velofahrende wirklich?

Marco Cortesi, der Sprecher der Stadtpolizei will gegenüber Tsüri.ch nicht auf die Kontrollen von letzter Woche eingehen – auch nicht auf die Frage, ob tatsächlich Ladenbesitzer der Auslöser waren. In der Stadt würden «immer wieder sporadisch Verkehrskontrollen durchgeführt, sowohl von motorisierten Fahrzeugen als auch Zweirad-, bzw. Velokontrollen.» So habe die Bike-Police im vergangenen Jahr bei 1000 Patrouillen 3300 Ordnungsbussen verteilt. Aus der Bevölkerung bekäme die Stapo die Rückmeldung, dass zu wenig gegen die fehlbaren Velofahrer getan werde. Gefährlich seien besonders jene, die mit ihrem Stahlesel auf dem Trottoir unterwegs seien, sagt Cortesi, und verweist auf die Unfallstatistik. Tatsächlich haben die Velo- und E-Bike-Unfälle im Jahr 2015 zugenommen, allerdings ist aus der Statistik nicht ersichtlich, ob wegen kriminellem Fahren auf dem Trottoir. Vermutlich eher nicht, denn die meisten Velounfälle passieren durch Stürze oder nach dem Missachten des Rotlichts.

img_9643 Die Gefahr ist die eine Seite, der Gesetzesbruch die andere. Egal wie gefährlich Velofahrer*innen tatsächlich sein mögen, gebüsst werden sie am häufigsten wegen «Missachtung des Fahrverbots, gefolgt von Missachten des Rotlichts und Befahren des Trottoirs», so der Stapo-Sprecher zu Tsüri.ch. Zahlreiche Velofahrende meldeten sich in der vergangenen Woche bei Tsüri und fühlten sich durch die Bussen schikaniert. SP-Politikerin Linda Bär kann dieses Gefühl verstehen: «Es ist also leider nicht so, dass diese Kontrollen per se zu mehr Sicherheit führen, weil wenn sich Velofahrerinnen über all an die Gesetze hielten, dann begeben sie sich in Gefahrenzonen zwischen Tram/Auto und Randstein, anstatt sich aufs Trottoir zu begeben. Damit sind sie zwar aus der Gefahrenzone raus, machen sich aber auch strafbar.» Deshalb wirke es für Linda Bär so, als ob die Polizei die Velofahrenden schikanieren wolle. Etwas weniger heftig reagiert Markus Knauss von den Grünen und vom VCS. Er habe grundsätzlich nichts gegen die Verkehrskontrollen: «Das Problem besteht aber häufig darin, dass die Velofahrenden dafür bestraft werden, weil die Velowegplanung komplett versagt hat.» Und genau hier liegt das Problem: Alle wissen, dass sie mit dem Velo nicht auf dem Trottoir fahren dürfen. Doch vom Hauptbahnhof zum Paradeplatz geht es nicht anders. Durch die Langstrasse darf man offiziell nur in die eine Richtung fahren, in die andere muss man (illegalerweise) die Busspur benutzen. Und selbst wenn es eine Strasse gibt, stehen da nicht selten Autos und versperren den Weg. Markus Knauss: «Wichtige Veloachsen, die den Velofahrenden ein sicheres und schnelles Vorwärtskommen ermöglichen würden, wurden in der Planung jahrelang verschlampt. Und die Polizistinnen und Polizisten werden nun ebenfalls bestraft, weil sie ein Problem lösen sollen, das andere ihnen eingebrockt haben.» Richtig, und trotzdem sei die Frage erlaubt, ob die polizeilichen Ressourcen bei diesen massiven Velokontrollen sinnvoll eingesetzt sind. Für den grünen Politiker sind sie das nicht, solange «die Polizei das Planungsversagen des Tiefbauamts kaschieren muss». Auch Linda Bär äusser sich kritisch: «Ich könnte mir vorstellen, dass die Polizei wichtigeres zu tun hat, als Velofahrende zu kontrollieren und zu büssen.»

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Die Polizei will, dass wir korrekt fahren, die Linken fordern Velorouten und -Brücken und autofreie Strassen, doch das Tiefbauamt klemmt. Wie sollen wir aus dieser Situation wieder herauskommen? Vorerst bleibt wohl alles beim Alten: Die Polizei kontrolliert, die Politik plant und die Velofahrer*innen fahren auf dem Trottoir. Und so bleibt auch die wichtigste aller Fragen ungeklärt: Was sollen diese Velokontrollen, wenn nur Trottoirfahrende gebüsst werden, ohne gleichzeitig Sicherheitsrisiken (Licht, Bremsen usw.) zu kontrollieren? Bei neun Polizisten auf einem Haufen werden sich die Bussen finanziell nicht rechnen. Eine belehrende Erziehung könnte die Absicht sein. Oder Schikane.

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