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31. Juli 2015 um 12:18

Dieser Dichter schreibt eine Novelle auf Google Docs – simultan mit zwei anderen Autoren

Gian Fermat im Interview



Ich treffe den Autoren Gian Fermat an einem sonnigen Nachmittag im Piccolo Giardino im Zürcher Langstrassen-Quartier. Der 23-jährige Bündner hat am Literaturinstitut in Biel studiert und lebt seit einigen Jahren in seiner Wahlheimat Zürich. Vor einer Woche erschien sein neuer Gedichtband wolken bröckeln. Als ich ankomme sitzt er bereits an einem der roten Gartentische im Freien und nippt an einem Gazosa. Den für ihn typischen Schlapphut hat er in den Nacken geschoben und ist bei meiner Ankunft schon so sehr ins Schreiben vertieft, dass er erst gar nicht bemerkt, wie ich mich zu ihm setze. Auf meine Begrüssung gibt er ein unverständliches Grunzen von sich und schaut mich böse unter seiner Hutkrempe hindurch an. Ich will schon wieder gehen, als er dann doch seinen Kugelschreiber ablegt und mich freundlich grüsst.

Daniel: Gian Fermat, gerade erschien dein Gedichtband wolken bröckeln, kannst du uns eine kleine Preview auf dein Buch geben? Gian: Ich darf –ohne übertreiben zu müssen – sagen, dass es bahnbrechend wird. Die Position in die sich die moderne Lyrik manövriert hat, entblösst ihre Schwächen, sie hat sich zu sehr von festen Formen gelöst, um noch einen Blick für die wahre Poesie zu haben. Ich renke sie wieder ein. Meine Gedichte sind eine existenzielle Erfahrung, Licht auf Papier.

Du hast ja bereits für einigen Wirbel in der Schweizer Literaturszene gesorgt- Erst kürzlich hast du eine Lesung auf dem Binz-Areal gehalten, die gleich ein ganzes Wochenende gedauert hat. Ich bevorzuge es, den Terminus Lesung zu verabschieden, und für meine Aktionen den Begriff pervasiv-multimediales Ereignis zu nennen. Das englische Wort ‚Event’ erscheint mir zu roh, um  die feinen Unterschiede zwischen Ereignis und Geschehnis zu erfassen. Meine Aktion während der Party auf dem Binzareal ist dafür ein perfektes Beispiel: Die Lesung erstreckte sich über das ganze Wochenende. Ich las ohne Pause, egal ob jemand zuhörte oder nicht. Tag und Nacht rund um die Uhr. Der springende Punkt war die totale Ausblendung des Teilnehmers, die existenzielle Erfahrung erfasste nicht mein Publikum, sie erfasste mich. Ohne Nahrung, nur mit einem Glas Wasser und ohne Pause, brachte ich mich aus Liebe an den Rand der Sprache.

Die Begebenheit wurde nur kurz durch die Polizei unterbrochen, die das Areal räumte. Sie mussten dich lesend vom Gelände entfernen. Doch lass uns noch weiter über deine Ereignisse reden. Du verwendest gerne auch andere Mittel, Videos oder Musik, um deine Poesie zu unterstützen. Ja, man muss solche Mittel Bilder und Klang nicht einfach nur unterstützend sehen, vielmehr bilden Sie zusammen ein Gesamtkunstwerk, welches die Wahrnehmung der Zuhörer durchdringt. So kommt es zum totalen Kunsterlebnis. Es geht mir dabei darum, durch die Erweiterung des Gedichts auf verschiedensten Kanälen, den Zuhörer ganz zu erfüllen und dadurch das Gedicht als Form zu überwinden. Ich fordere das Gesamtkunstwerk! Unser aller Leben muss Kunst werden. Meine Leseereignisse verstehen sich in wagnerischer Tradition und lassen sie gleichzeitig weit hinter sich zurück.

Ist das nicht etwas gar hochgestochen? Nein, das leuchtet mir nicht ein.

Du hast diesen Sommer deinen Bachelor in Kreativem Schreiben am Literaturinstitut in Biel gemacht. Inwiefern hat dich dieses Studium in deinem literarischen Schaffen geprägt? Zwiegespalten stehe ich dieser Institution gegenüber. Zeit braucht es natürlich. Zeit sein Schreiben zu entwickeln und zu perfektionieren, das ist wichtig, und sie wird einem zur Verfügung gestellt. Doch das wahre, nackte Leben, das, um was es beim Schreiben wirklich geht, bleibt vielen verborgen. Berggeschichten, sei es im Berner-Oberländer Pflotsch oder in Bündner Beizen. Glaubst du wirklich, einer dieser Autoren hätte die Lebenswelt eines Bündner Bergbauern wirklich verstanden? Glaubst du, diese Schreiber wüssten etwas über die Alltäglichkeiten eines Gemeindeverwalters? Nein, sie verstecken sich hinter Lokalkolorit und dialektalen Spielereien, wie man es sie im Institut gelehrt hat, um sich einen Anschein von Nähe zu den existenziellen Fragestellungen zu geben.

Das sind harte Vorwürfe. Wie sieht denn dein Gegenkonzept aus? Natürlich geht es in der Literatur gar nie um Authentizität, sondern vielmehr um Unauthentisches. Literatur ist immer schon durch ihre Natur als Literatur unauthentisch –und genau darin liegt doch ihre Stärke. Hier können Berner Bauern Plattdeutsch sprechen und Bündner Bürgermeister Portugiesisch. Das macht sie erst wahrlich existenziell!

Mit welchen zukünftigen Projekten von dir können wir rechnen? Mein nächstes Projekt ist eine Novelle, die ich gemeinsam mit zwei anderen Autoren schreibe, und zwar simultan auf Google Docs. Wir haben uns bereits auf die Grundzüge geeinigt, aber die spannende Frage ist, wie die Geschichte ausgearbeitet wird. Ich bin optimistisch, dass wir uns beim Schreiben mehr unterstützen als gegenseitig im Weg stehen. Es soll zum synergetischen Overflow kommen.

 

Gians Bücher können direkt bei ihm über seine Email-Adresse [email protected] bestellt werden.

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