Folge 4: Der Tsüri-Krimi: Rot ist eine langsame Farbe - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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23. Januar 2017 um 08:51

Folge 4: Der Tsüri-Krimi: Rot ist eine langsame Farbe

Folge 4

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Was bisher geschah:
Am Ende einer Silvesterparty kommt die Wohnungsmieterin versehentlich zu Tode. Dave, Fabbä und Schmerolinchen schliessen Jill, die einzige Zeugin, ins WC. Ihr Plan, Jill bewusstlos zu machen und das Haus in Brand zu stecken, scheitert. Das Mädchen entkommt aus der Wohnung und versteckt sich in dem ansonsten unbewohnten Mietshaus. Bei der Suche nach ihr erleidet Fabbä einen tödlichen Sturz und Dave verblutet. Nun ist es an Schmerolinchen, die Zeugin zu beseitigen...

»So ein verschissener Jahresanfang!« ächzte Schmerolinchen.
Jill wog Tonnen, trotz der guten Figur, die sich unter ihren Kleidern abzeichnete.
Tapfer zerrte Schmerolinchen das bewusstlose Mädchen aus dem Estrich. Erst auf der Treppe zur nächsttieferen vierten Etage kam ihr die Schwerkraft zur Hilfe. Sie schleifte Jill durch die weit offenstehende Tür mit dem nach aussen geborstenen Fenster, quer durch das heruntergefallene Geschirr neben dem leergefegten Tisch, hinein in die Küche auf schwarz-weisse Fliesen. Dort lehnte sie Jills Oberkörper an den Kühlschrank, riss die Weihnachtsbeleuchtung von den Wänden, wickelte sie erst um die Handgelenke und Stiefel des Mädchens und knüpfte den Rest an die Griffe der Küchenschränke. So fest, dass Jills Hände über ihrem Kopf hingen. Zuletzt drückte sie Klebeband auf den Mund der Zeugin.
Dann streifte sie müde in der geschändeten Küche umher, fand eine geöffnete Rotweinflasche und ein halbwegs sauberes Weinglas. Sie nahm einen grossen Schluck, lehnte an den Spüle und studierte die abgedeckte Leiche. Die Blutlache war zwischenzeitlich zum Stillstand gekommen. Ein Stöhnen liess ihren Blick zum Mädchen schweifen. Jill war gerade erwacht und zerrte ungelenk am Kabel, doch sie vermochte sich nicht befreien und blieb mit gestreckten Beinen sitzen.
Schmerolinchen verdrehte die Augen, packte das Kabel, mit dem sie gefesselt war, und drückte es in die Steckdose. Weisse Dioden leuchteten an Jills Körper auf.
Die Antwort war ein wenig amüsiertes Grunzen.
»Besser so?« Der Rotwein hatte irgendwie allen Geschmack verloren. »Verzeih die Fesseln, aber ich musste sicherstellen, dass du nicht davon schleichst, während ich die Festlichkeiten vorbereite. Weißt du, wir hatten dich eigentlich vor Schmerzen bewahren wollen. Doch nun möchte ich, dass du mitkriegst, wie die Bude abbrennt. Diesmal, Schätzchen, ist es persönlich.« Sie stellte das Glas weg und begann nach brennbaren Materialien zu fahnden. In einer Schublade fand sie eine Stange Streichhölzer und streute eine Schachtel nach der anderen auf dem Boden aus. Sie fand zwei Plastikflaschen mit Brennsprit, ein entflammbares Insektenmittel, Pinselreiniger und weitere mit Flamme gekennzeichnete Bouteillen. Genüsslich goss sie die Inhalte auf den Korpus gegenüber und begab sich ins Wohnzimmer zu den teuren Flaschen. Sie nahm einen Stroh Rum vom Regal. »Was denkst du?« murmelte sie. »Ob Schnaps brennt?« Zumindest waren die Inhalte allesamt hochprozentig. Kurzerhand schleuderte sie die Flasche gegen die Tapete. Griff nach einem Gin und liess ihn am hinteren Ende Wohnzimmers bersten. Sie fuhr damit fort, bis sich die ganze Minibar in eine Galerie aus Wandflecken verwandelt hatte. Als sie zurück in die Küche gehen wollte, blieb sie mit dem Mantel am Tisch hängen. Er hatte sich an einem herausragenden Nagel verfangen. Verärgerte tippte sie an den kleinen Metallstift. Fabbä hatte wirklich recht gehabt. An solchen Partys lauerten Gefahren an jeder Ecke.
Fabbä ...
Ein dumpfer Schmerz flammte in ihrem Bauch auf. Sie verdrängte den Gedanken. Denn noch war es nicht an der Zeit zu verschwinden. Mit gewählten Schritten trat sie um Jill herum, liess sie nicht aus den Augen und zückte ihr Streichholzbriefchen. Sie entzündete das erste, labte sich an der tanzenden Flamme und warf es zwischen die Glastürme in der Spüle.
Jill beäugte sie still.
Schmerolinchen schielte auf sie herab. »Sag mal, was machst du wirklich hier? Ich meine, wer hängt an einer Silvesterparty auf dem Klo herum? Nicht mal betrunken bist du. Nicht dass es mir aufgefallen wäre.« Schon brannte das zweite Streichholz. Sie blickte zu den hunderten Streichhölzern auf dem Boden. »Denkst du, ich sollte Google fragen, ob das Feuer unsere Fingerabdrücke wirklich verschwinden lassen wird?« Auch dieses Streichholz stürzte in die Spüle. Sie seufzte aus tiefstem Herzen. »Weißt du, ich hatte mir fürs neue Jahr so viel vorgenommen. Aber du musstest ja unbedingt meine besten Freunde umbringen. Nach Island hatten wir fahren wollen. Hast du eigentlich irgendeine Vorstellung davon, wie lange ich darauf gewartet habe?« Ohne hinzuschauen entfachte sie den nächsten Schwefelkopf. »Ich hatte solche Hoffnungen auf das neue Jahr gesetzt. Aber Zwanzigsiebzehn wird wohl die böse Zwillingsschwester von Zwanzigsechzehn.«
Unvermittelt begann Jill wieder an den Kabeln zu zerren, nur um kurz darauf stöhnend aufzugeben.
Schmerolinchen warf das Hölzchen weg. »Was denn?« knurrte sie und bückte sich, um den Streifen von Jills Lippen zu reissen.
»Bitte.« flehte Jill »Lass mich gehen. Das mit deinen Freunden war ein Unfall. Es tut mir leid, aber ihr hattet mich umbringen wollen.«
»Hm. Lass mich mal scharf überlegen, an wen der Oscar geht.«
»Die werden wissen, dass ihr hier wart. Irgendeiner der Gäste wird sich an euch erinnern.«
Das nächste Streichholz flammte auf. »Sag mal, was hast du letzten Silvester getrieben?«
Jill schaute irritiert und wandte sich ab, um nachzudenken.
»Siehst du? Niemand erinnert sich an Silvester.«
»Findest du es nicht ein wenig dumm, mit Streichhölzern herumzuspielen?«
»Es beruhigt meine Nerven. Ich muss nämlich nachdenken, womit ich dir den Rest gebe.« Sie atmete lange aus und linste durch die Fenster der Balkontür. Dahinter wurde der Nachthimmel über den Tannen allmählich heller. Oder bildete sie sich das bloss ein? »Als ich klein war, sah ich dabei zu, wie mein Grossvater eine Gans tötete. Ich war entsetzt, wie rasch das ablief. Axt, zack, Kopf ab. Das war’s. Schluss mit Zucken. Ich fragte ihn, ob Menschen auch so rasch sterben. Er lachte nur und sagte, ’Ann-Carolin; Rot ist eine langsame Farbe’.« Sie zündete das nächste Streichholz und bedachte Jill mit bösem Blick. »Seit heute Nacht weiss ich: Er hat sich geirrt.« Auch dieses Streichholz flog in die Spüle, doch es sollte ein Zischen verursachen. Grelles Licht flackerte neben Schmerolinchen auf. Sie bückte sich danach und fand zwischen den Gläsern mehrere Feuerwerkskörper ruhen. Sofort erkannte sie die Sorte. Es waren jene Zylinder, mit denen böse Schulkinder am Schulsilvester Briefkästen in die Luft jagten. Die Lunte des obersten war beinahe abgebrannt. »Welcher Idiot würde Feuerwerk in die Spüle –«
Sie beendete den Satz nie. Eine gewaltige Detonation löschte den Gedanken und schleuderte ihren Körper quer durch die Küche, direkt gegen den Korpus, neben die Leiche. Ihr Gesicht war halbseitig verbrannt und steckte voller Glassplitter. Sie würde die Augen nicht mehr schliessen. Die Explosion hatte jenen Vorhang, der noch hing, in Brand gesteckt, und das Feuer begann sich in die Küche hinein zu fressen.
Mit aller Macht zerrte Jill am Kabel. Es gelang ihr, die Küchenschrankflügel aus den Angeln zu reissen und ab den Grund krachen zu lassen. Die Dioden erloschen. Sie beugte sich nach einem Messer, das auf den Boden gefallen war. Damit schnitt sie das Kabel um ihre Fussgelenke durch, und konnte danach die Hände befreien. Sekunden später stand sie auf wackeligen Beinen, fast vollständig von einem stürmischen Flammenmeer umgeben. Ihr Blick fiel auf Schmerolinchen, die leblos vor ihr lag. »Rot ist vor allem meine Lieblingsfarbe.« flüsterte sie bitter. Sie entschwand dem Inferno durch die Küchentür, und obwohl sich das Feuer rasch in den Eingangsbereich frass, bewahrte sie Haltung, als sie die Stufen hinab trat.
Sie hasste es, zu rennen.
Dem, was nun vor ihr lag, konnte sie ohnehin nicht entrinnen. Die Polizei würde unzählige Fragen stellen. Ihre Freunde würden unzählige Fragen stellen. Diese Nacht würde sie noch weit in ihre Zwanziger hinein verfolgen. Aber so erschüttert und erschöpft sie auch war; tief unter den schrecklichen Gefühlen, die ihr diese Nacht bereitet hatte, verspürte sie Hoffnung.
Noch vor acht Stunden hatte sie Tines Silvesterparty besucht, um mit ihr zu sprechen, um sie zur Vernunft zu bringen.
Tine war nämlich ihrem grossen Geheimnis auf die Schliche gekommen.
Sie hatte damit gedroht, es auszuplaudern, hatte sie gezwungen, ihre Prüfungsarbeiten zu schreiben und sogar ihre Installationen zu planen. Damit Tine an ihrer Stelle die Lorbeeren einheimsen konnte, hatte sie überdies möglichst unauffällig bleiben müssen. Schliesslich, nach zwei Semestern Erpressung. hatte sie Tine erschöpft angefleht, sie endlich in Ruhe zu lassen. Aber Tine hatte nicht hören wollen.
Den ganzen Abend über hatte sie immer wieder versucht, mit Tine zu reden. Aber diese war ständig von Freunden umgeben gewesen. Tine hatte nicht mal versucht, sie von der Party zu weisen, nein; sie hatte es richtiggehend genossen, sie leiden zu sehen. Dann, kurz vor Mitternacht war sie mit ihren Freunden ins Freie gegangen, um das Feuerwerk zu bestaunen. Fast drei Stunden lang hatte sie in der ausgestorbenen Wohnung geweint, sich im WC eingesperrt, sich die Augen ausgeheult, in eine endlose Leere gestarrt. Bis Tine zurückkehrte und die drei sie tot machten. Und mit ihr war auch ihr Geheimnis gestorben. Ein schrecklicher Weg, die Freiheit zu erlangen, aber frei war sie nichtsdestotrotz.
Der Hauseingang liess sich diesmal beim zweiten Versuch öffnen. Sie schmiegte sich tief in ihren Mantel, als sie in eiskalte Dunkelheit trat. Dichter Nebel entwich ihrem Mund mit jedem Ausatmen. Laternenlicht schimmerte durch die Tannen in den Garten, mischte sich mit dem orangen Schein der Feuersbrunst. Sie stolperte vom Trottoir auf eine Quartierstrasse und hob die Hand, als sich ein Auto näherte. Abrupt bremste es ab und schnitt mit seinen Scheinwerfern an Jill vorbei in den Nebel. Es war ein Polizeiwagen. Jill hob die Arme und wies zum Garten.

Ende

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