Prämierte Pressefotografie thematisiert Homophobie – auch in Zürich ein Thema? - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Viviane Stadelmann

Redaktorin

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12. Mai 2015 um 11:47

Prämierte Pressefotografie thematisiert Homophobie – auch in Zürich ein Thema?

World Press Photo Award 15



Die World Press Photo 15 Ausstellung im Sihlcity zeigt seit Donnerstag beeindruckende Pressefotografien. Der diesjährige Gewinner beleuchtet mit seiner Arbeit Homophobie in Russland. Ist auch in Zürich die Angst vor Homosexuellen noch spürbar?

Sobald die Lifttüren oberhalb der Rüsterei im Sihlcity im ersten Stock auseinandergleiten, bleibt der Blick an einer Aufnahme hängen, bei der manche möglicherweise das Gefühl eines leicht voyeuristischen Betrachters aufgedrängt bekommen. Obwohl auf der Fotografie durch den abgedunkelten Raum weder schockierend viel Haut noch explizite sexuelle Handlungen zu erkennen sind, schafft es der Fotograf Mads Nissen mit geballter ästhetischer Kraft soviel Intimität einzufangen, dass der Geruch der schweren Vorhänge und des Schweisses beinahe erlebbar wird. Abgebildet ist das homosexuelle Paar Jon und Alex in Sankt Petersburg, Russland. Das Foto ist Teil des fotografischen Projekts «Homophobia in Russia» des Dänen Mads Nissen und zurzeit im Westflügel in Zürich ausgestellt. Es gewann den ersten Preis in der Kategorie «Contemporary Issues» des World Press Photo Award 2015.

Foto 1

Wo sich Kunst, Journalismus und Politik treffen World Press Photo ist der weltweit grösste und wichtigste Wettbewerb im Bereich der Pressefotografie. Die Wanderausstellung ist in 45 Ländern zu sehen und macht momentan Halt in Zürich. Zu bestaunen sind die prämierten Fotos in 8 Kategorien, die von 42 Fotografen aus 17 Ländern ausgewählt und gekürt wurden. Beim Durchschreiten der Ausstellung überkommt einen schnell das Gefühl, sich hier an einer aussergewöhnlichen Schnittstelle zu befinden. Die verstörend schöne Explosionswolke in Syrien, der Ausdruck einer Demonstrantin in Nahaufnahme, die von Polizisten zu Boden gedrückt wird, von Regen überströmt: das ist Fotografie-Kunst aus den Brennpunkten unserer Gesellschaft. Ein Stück Zeitgeschichte der politischen Geschehnisse des vergangenen Jahres, festgehalten in fotografischer Schönheit, die bei vielen Fotos die Kluft zwischen Kunst und der eingefangenen Situation beinahe unfassbar stark zu Tage treten lässt. Dem Schaudern, das einen beim Betrachten der Bilder über den Rücken kommt, kann man sich hier nicht entziehen.

Foto 3

Der Kontext ist entscheidend Eine internationale 17-köpfige Jury entschied, welche Werke aus den diesjährig fast 5'600 eingereichten Fotografien prämiert wurden. Beim Ausscheidungsverfahren wird in einer ersten Runde die reine ästhetische Kraft der Bilder berücksichtigt. In der darauffolgenden Selektion bezieht die Jury den jeweiligen Kontext mit ein. Das macht Sinn: Bei eingehender Betrachtung der Werke läuft automatisch ein Kopfkino ab, in der man sich die Situation, die sich vor dem Fotografen abgespielt hat und in der er sich selbst befand, direkt vorstellt. Der Kontext ist wichtig, ja essentiell. Dank des Infotextes und den Barcodes an den Bildrändern, die mit dem Smartphone eingescannt werden können, erschliessen sich dem Besucher zusätzliche Informationen zu den Hintergründen und zu den ausgestellten Fotografen.

[caption id="attachment_2084" align="alignnone" width="600"]Second Prize Nature Category, Singles Ami Vitale, USA, National Geographic  Second Prize Nature Category, Singles Ami Vitale, USA, National Geographic[/caption]

Auch beim Siegerbild von Mads Nissen fliessen die politischen Hintergründe unausweichlich in die Arbeit ein. Die US-Amerikanerin Michelle McNally, Vorsitzende der Jury und Direktorin für Fotografie der NY Times, sagt zum World Press Photo of the Year: «Es ist ein historischer Zeitpunkt für das Bild. Das Siegerbild muss ästhetisch und bedeutungsvoll sein und zugleich das Potential haben, eine Ikone zu werden. Dieses Bild ist ästhetisch, kraftvoll und besitzt Menschlichkeit.» Gerade in Osteuropa und besonders in Russland wird die Situation für lesbische, schwule, bisexuelle und transsexuelle Menschen immer prekärer. Sexuelle Minderheiten müssen täglich mit Belästigungen, juristischen und sozialen Diskriminierungen leben und sind häufig gewalttätigen Hassverbrechen konservativer oder religiöser Kreisen ausgesetzt.

Homophobie – totgeschwiegen in Tsüri? Homophobie mag in Westeuropa im Vergleich zum porträtierten Russland weniger ein Thema sein. Doch ist die Angst vor Schwulen und Lesben hierzulande tatsächlich vom Tisch? Oder wird Homophobie in Zürich einfach totgeschwiegen? «Homophobie ist sicher gesamtgesellschaftlich gesehen immer noch ein Thema, mit dem wir konfrontiert werden. Wobei man festhalten muss, dass dies im breiten Umfeld von Zürich nicht so ausgeprägt ist im Vergleich zu Osteuropa», sagt Marcel Tappeiner, Mitglied beim schwulen FCZ-Fanclub «Letzi Junxx». «Aus der Perspektive des Sports hinkt diese Entwicklung aber sicherlich hinterher. Gerade im Fanbereich des Fussballs gibt es nach wie vor homophobe Fangesänge. Das ist zwar kein Standard, kommt aber vor», meint Tappeiner.

Auch der Fandelegierte Stefan Wächli des Zürcher Hockeyclubs ZSC kennt diese Fangesänge. Immer wieder tauche der Begriff «schwul» in Fangesängen gegen die gegnerische Mannschaft auf. Das stehe aber seinem Eindruck nach keineswegs in Korrelation zu einer homophoben Fangemeinde. In seinen zahlreichen Fanjahren habe er die Szene diesbezüglich als sehr tolerant und weltoffen wahrgenommen und noch nie negative Erfahrung in Bezug auf Ausgrenzung gemacht.

[caption id="attachment_2083" align="alignnone" width="600"]Second Prize Contemporary Issues Category, Stories Tomas van Houtryve, Belgium, VII for Harper’s Magazine Second Prize Contemporary Issues Category, Stories Tomas van Houtryve, Belgium, VII for Harper’s Magazine[/caption]

«Es gibt aber gewisse Begriffe, die sich in den jüngeren Generationen als Schimpfworte eingeprägt haben, ohne dass der eigentliche Sinn dahinter wirklich wahrgenommen wird. Das hat sich bedauerlicherweise einfach irgendwie im Sprachgebrauch so verankert. Schwul ist so ein Beispiel.» Dabei sehe er schon einen gewissen Widerspruch, wenn die gesamte Fankurve mitsinge, um den Gegner fertig zu machen, die meisten dabei aber absolut nicht das Geringste gegen Homosexuelle hätten.

Homosexuelle Spitzensportler als Tabu Ein anderer wichtiger Aspekt sei aber besonders die Tabuisierung von Homosexualität der Spitzensportler selbst. «Es gibt nach wie vor kaum geoutete Fussballer – völlig konträr zu jeglichen Untersuchungen der Statistik», sagt Marcel Tappeiner von den Letzi Junxx. «Besonders im Mannschaftssport ist es ein Tabu. Dort gelten klassisch männliche Attribute wie kämpferisch und stark, das verbindet man heutzutage immer noch nicht mit Homosexuellen.» Es sei wichtig, auf diese Diskrepanz aufmerksam zu machen. Dem pflichtet auch Stefan Wälchli bei: «Grundsätzlich herrscht unsinnigerweise das Verständnis, dass jeder Sportler per se mal nicht schwul ist. Das Outing des Fussballers Thomas Hitzlsperger hat deswegen auch weltweit für soviel Aufsehen gesorgt.» Der ehemalige deutsche Nationalspieler hatte mit seinem Outing für internationale Aufruhr gesorgt und die Debatte um die Enttabuisierung von Homosexualität im Sport angestossen.

Mit einem Gesetz gegen Schwulendiskriminierung? Im März erst wurde im Nationalrat die Initiative des SP-Nationalrat Mathias Reynard (VS) mit 103 zu 73 Stimmen bei 9 Enthaltungen angenommen, den Diskriminierungsartikel im Strafgesetzbuch um die sexuelle Orientierung zu erweitern. Der Vorstoss geht nun an den Ständerat. Damit soll künftig die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung strafbar sein. Braucht es eine solche Gesetzesänderung?

«Ich habe diesbezüglich stets zwei Herzen, die in meiner Brust schlagen», sagt Marcel Tappeiner. Einerseits glaube er, man könne kein Gesetz machen, das den Leuten vorschreibt, wie sie denken sollen. «Andererseits braucht es in gewissen Bereichen durchaus ein Diskriminierungsverbot. Wenn man ein solches schon für Rassen und Geschlechter hat, macht es durchaus Sinn, dies um die sexuelle Orientierung zu erweitern. Grundsätzlich finde ich es richtig, dass dieser Askpekt auch im Gesetz Gewicht bekommt.»

 

Die gesamte Ausstellung des World Press Photo Award 15 inklusive des Siegerbildes ist im Folium im Sihlcity noch bis zum 31. Mai 2015 zu sehen. Im Westflügel sind die weiteren Arbeiten der Serie „Homophobia in Russia“ von Mads Nissen bis am 30.Mai 2015 ausgestellt.

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