Klima Kleber: Die geplanten Pistenverlängerungen am Flughafen im Check - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Isabel Brun

Redaktorin

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21. Februar 2024 um 05:00

Klima Kleber: Führen längere Pisten am Flughafen zu weniger CO2?

In knapp zwei Wochen stimmt der Kanton Zürich darüber ab, ob der Flughafen Zürich zwei Pisten verlängern darf oder nicht. Dadurch soll auch CO2 eingespart werden. Im Rahmen unserer neuen Rubrik «Klima Kleber» nehmen wir in unregelmässigen Abständen Ideen aus der Politik und Wirtschaft unter die grüne Lupe. Heute mit dem Klimaforscher Anthony Patt.

Etwa 5 Prozent des gesamten Treibstoffs eines Fluges werde während des Rollens verbraucht, so der Klimaforscher Anthony Patt. (Foto: Unsplash / Claudio Schwarz)

Am 3. März stimmt die Stimmbevölkerung des Kantons Zürich darüber ab, ob die Flughafen Zürich AG ihre Pisten auf eigene Kosten verlängern darf oder nicht. Dabei handelt es sich um die Pisten 28 und 32, die um 400 Meter nach Westen respektive 280 Meter nach Norden wachsen sollen. Dadurch würde der Flugverkehr sicherer und pünktlicher werden und zudem mehr Nachtruhe bringen, sagen die Befürworter:innen. Für ein Ja sprechen sich neben dem Flughafen selbst die Parteien FDP, Mitte und SVP sowie verschiedene Verbände aus Industrie und Wirtschaft aus. Als weiteres Argument wird die Einsparung von CO2 genannt, da durch die verminderten Rollzeiten weniger Kerosin verbraucht wird. 

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Für die Gegner:innen aus dem links-grünen Lager und verschiedene Umweltorganisationen ein fadenscheiniger Grund, sie befürchten, dass durch mehr Kapazität auch der Flugverkehr zunehmen würde, was im Widerspruch zur Klimastrategie des Kantons stehe. Dadurch würde auch die Lärmbelastung in den umliegenden Gemeinden zunehmen. SP, Grüne, AL und EVP empfehlen deshalb die Ablehnung der Vorlage. Die GLP indes hat die Stimmfreigabe entschieden. 

Wer hat recht und wie viel CO2 verbraucht ein Flugzeug tatsächlich, wenn es über die Pisten rollt? Der Klimaforscher Anthony Patt von der ETH Zürich schätzt die Lage ein. 

Einschätzung von Anthony Patt, Professor für Klimapolitik an der ETH Zürich

Ich kann die Position der Links-Grünen durchaus verstehen. Der Luftverkehr verbraucht viele fossile Brennstoffe und trägt damit wesentlich zum Klimawandel bei, vor allem in wohlhabenden Ländern wie der Schweiz. Daher scheint jede Investition in die Infrastruktur für das Fliegen eine falsche Investition zu sein. Heute ist geplant, die Start- und Landebahnen zu verlängern; vielleicht wird der nächste Schritt darin bestehen, eine weitere Start- und Landebahn zu bauen, die es noch mehr Flugzeugen ermöglichen würde, zu fliegen. Das alles geht in die falsche Richtung, und wir müssen grundsätzlich damit aufhören.

Klima Kleber

Wie grün ist ein politischer Vorstoss? Betreibt ein Unternehmen Greenwashing oder handelt es tatsächlich klimafreundlich? Und hilft eine Forschungsarbeit wirklich dem Klima? Wir kleben hartnäckig – und lassen Ideen aus der Politik, Wirtschaft und Forschung von Expert:innen einschätzen. Dabei lassen wir es uns nicht nehmen, Punkte in den Kategorien Wirksamkeit, Symbolkraft, Kosten und Umsetzbarkeit zu verteilen. Ein Spiel, das wohl ernster nicht sein könnte.

Aber während die Pistenverlängerungen symbolisch in die falsche Richtung gehen, finde ich in der Praxis die Argumente auf der Ja-Seite stärker. Längere Start- und Landebahnen bieten den Flugzeugen eine grössere Fehlertoleranz, was besonders bei schlechtem Wetter wichtig sein kann. Sicherere Landungen bedeuten weniger Verspätungen und damit eine geringere Wahrscheinlichkeit, dass Flugzeuge spät in der Nacht landen.

Auch ist es tatsächlich so, dass durch die längeren Pisten CO2-Emissionen reduziert werden können. Etwa 5 Prozent des gesamten Treibstoffs eines Fluges wird während des Rollens verbraucht. Der Flughafen Zürich ist so konzipiert, dass eine der drei Start- und Landebahnen weitaus weniger Rollvorgänge erfordert als die anderen beiden. Durch die Verlängerung dieser Start- und Landebahn können mehr Flüge diese Bahn nutzen, anstatt eine der beiden anderen. Möglicherweise könnten damit die Emissionen von Flügen, die von Zürich aus starten, im Durchschnitt um ein Prozent gesenkt werden. Das macht das Fliegen überhaupt nicht sauber, aber es ist besser als gar nichts. 

Was wirklich passieren muss: Bis spätestens 2050 müssen wir die klimaschädlichen Emissionen des Fliegens vollständig beseitigen. Ich bezweifle, dass die Menschen komplett auf das Fliegen verzichten werden. Und das müssen sie auch nicht, wenn die Fluggesellschaften vollständig von herkömmlichen fossilen Treibstoffen auf nachhaltige Flugtreibstoffe – sogenannte Sustainable Aviation Fuels: SAF – umsteigen. SAF entsteht dadurch, dass CO2 aus der Luft gefiltert und in einer chemischen Reaktion mit Wasserstoff kombiniert wird. Der Prozess erfordert viel erneuerbare Energie und ist am wirtschaftlichsten in Teilen der Welt mit sehr starken Sonnen- und Windressourcen, wie Australien, Chile oder Südafrika. Weltweit gibt es heute so gut wie keine Produktionskapazitäten für SAF.

Ein wichtiger Teil der Klimapolitik besteht daher darin, Investitionen in diese Kapazitäten zu fördern, damit die Welt bis 2050 genügend SAF produziert, um fossile Treibstoffe ganz abzulösen. Die EU verfügt über eine entsprechende Politik. Wenn alle Länder eine ähnliche Politik verfolgen, dann bin ich zuversichtlich, dass wir bis 2050 ungefähr so viel fliegen können wie heute, und zwar zu den gleichen Preisen wie heute – vielleicht etwas höher, aber kaum merkbar – ohne dem Klima zu schaden.

Insgesamt 9 von 20 Sternen vergibt die Tsüri-Redaktion für die verkürzten Rollzeiten am Flughafen Zürich – sofern dadurch nicht mehr Flüge stattfinden.

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