Das war die Pitch-Night zur Wohnungskrise - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Ladina Cavelti

Projektleiterin Civic Media

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18. Oktober 2023 um 13:47

Das war die Pitch-Night zur Wohnungskrise

Vergangenen Montag präsentierten sieben Redner:innen ihre Lösungsansätze zur Frage: «Wie lösen wir die Wohnungskrise?» Neben der Idee von Enteignung werden Ansätze des kompakten Wohnens diskutiert sowie faire Vermietungs-Modelle. Die Pitch-Night im Kraftwerk war der Auftakt des Fokusmonats zum Thema Wohnen.

Co-Geschäftsleiterin und Redaktorin Lara Blatter moderiert durch den Abend. (Alle Fotos: Ladina Cavelti)

Moderatorin Lara Blatter eröffnete die Pitch-Night mit Fragen an das Publikum: «Wer wohnt in einer Mietwohnung? Wie viele haben das Gefühl, sie würden keine neue Wohnung finden, wenn sie aktuell suchen würden?» Bei beiden schnellen praktisch alle Hände in die Luft. Dass das Thema Menschen beschäftigt, erkennt man auch an dem vollen Saal. Alle wollen wissen, wie wir die Wohnungskrise in Zürich lösen können. In je sieben Minuten haben die sieben eingeladenen Redner:innen aus verschiedensten Bereichen die Möglichkeit, ihre Ideen zu präsentieren.

1. Philippe Koch – ZHAW Architektur

Der Wissenschaftler Philipp Koch betrachtet die Wohnungskrise im Zusammenhang mit der Eigentumskrise. Eigentum diene heute hauptsächlich der Gewinnerzielung. Viele Eigentümer:innen spekulierten deshalb auf die weitere Steigerung der Bodenpreise, bevor sie bauen. Wenn sie aber bauen, sind Wohnungen dann oft sehr teuer, so Koch. Eine mögliche Lösung sieht der ZHAW-Professor dabei in der Entkopplung von Bau- und Bodenrecht. Das heisst, die Bodeneigentümer:innen können weiterhin Wohnungen erstellen, aber der Boden ist nicht mehr das ökonomische Fundament. Als vergleichbares Beispiel nennt er das Wasser, welches grundsätzlich dem Staat gehört, aber von Privaten genutzt wird. Solche Bestrebungen gab es bereits: 1998 wurde eine entsprechende Volksinitiative lanciert, die jedoch bereits im ersten Stadium scheiterte, da zu wenig Unterschriften zusammenkamen.

Philipp Koch beschäftigt sich mit der Eigentumskrise.

2. Eva Schumacher – Verband Casafair

Casafair verschreibt sich der Aufgabe, Vermieter:innen zu vertreten, die ökologisch und fair sowie nicht renditeorientiert handeln wollen. Eva Schumacher erzählt, dass der Stadt Zürich 1414 Mitglieder zählt, hauptsächlich bestehend aus Privatpersonen, welche ein Einfamilienhaus oder ein Stockwerk besitzen. Casafair verfolgt dabei ein eigenes Modell mit fairen Renditen, etwa 0,5 Prozent über dem Referenzzinssatz. Dieses soziale Modell lohne sich  für beide Seiten, erklärt Schumacher. Casafair nimmt dabei eine beratende Rolle ein, schlussendlich entscheiden die Eigentümer:innen jedoch selbst. Es braucht deswegen nach Schumacher noch immer mehr gesetzliche Regulierungen.

Eva Schumacher erklärt, wie der Verband Casafair seine Mitglieder berät.

3. Patrick Tscherrig – Verband Wohnbaugenossenschaften Zürich

Die Bodenpreise in der Stadt Zürich haben sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Dies hat steigende Mieten und Verdrängung zur Folge. Um dem entgegenzuwirken, brauche es eine stärkere Gewichtung der öffentlichen Interessen. Patrick Tscherrig präsentiert in seinen sieben Minuten deswegen den Vorschlag eines Vorkaufsrechts für Gemeinden. Das bedeutet, dass wenn sich Käufer:in und Verkäufer:in einig werden, eine Meldung an das zuständige Grundbuchamt geht und dieses das  dann der Exekutive meldet. So hätte eine Gemeinde die Möglichkeit, zu entscheiden, ob sie selbst Bedarf hat. Dadurch könne der Boden der Spekulation langfristig entzogen werden, so Tscherrig. Der Verband für Zürcher Wohnbaugenossenschaften hat dazu eine kantonale Initiative lanciert. 

Patrick Tscherrig möchte ein Vorkaufrecht für Gemeinden.

4. Antonia Steger – Bündnis «CS Immobilien enteignen!»

Antonia Steger präsentiert in ihren sieben Minuten, warum das Enteignen als Lösungsansatz für die Wohnungskrise gilt. Die Vergangenheit zeige, dass die Entwicklung der steigenden Bodenpreise in der Regel nicht rückgängig gemacht werden könnten – «ausser durch Kriege und Krisen», sagt Steger. Die Petition «CS Immobilien enteignen» wurde von über 12’000 Menschen unterschrieben. Die Vergesellschaftung des Immobilienportfolios der Credit Suisse heisse konkret, dass die Anleger:innen ausbezahlt werden und die Immobilien an gemeinnützige Trägerschaften übergeben werden. So kann laut der Aktivistin langfristig bezahlbarer Wohn- und Arbeitsraum garantiert werden. Enteignungen seien bereits gesetzlich reguliert und werden für Infrastruktur immer wieder angewendet; als Beispiel nennt Steger die Autobahnen in der Schweiz.

Antonia Steger erläutert die Petition, welche die Vergesellschaftung des Immobilienportfolios der Credit Suisse möchte.

5. Daniel Leupi –  Zürcher Stadtrat

Stadtrat Daniel Leupi beginnt seinen Pitch mit der Bemerkung, dass das Thema nicht neu ist: Zürich fördert den gemeinnützigen Wohnbau bereits seit über 100 Jahren. Mittlerweile zählt die Stadt 9500 eigene Wohnungen, die nach dem Prinzip der Kostenmiete funktionieren, sowie vier Wohnbaustiftungen. Weitere Instrumente der Wohnbauförderung beinhalten unter anderem die Beteiligung am Genossenschaftskapital oder ein Planungs- und Baugesetz. Trotzdem ist es Leupi zufolge in einer boomenden Stadt nicht möglich, für alle Menschen bezahlbaren Wohnraum anzubieten, selbst wenn alles gemeinnützig wäre. Denn solange die Stadt attraktiv sei, werde die Nachfrage immer zu gross sein. Um dem Problem entgegenzuwirken, plädiert der Politiker für ein höheres Engagement von Bund, Kantonen und Gemeinden, für unterschiedliche Initiativen und gesteigerte Landkäufe durch die Stadt.

Daniel Leupi plädiert für ein höheres Engagement von Bund, Kantonen und Gemeinden.

6. Sabina Ruff – Genossenschaft Kalkbreite

Auch Sabine Ruff betont, dass sich die Wohnungskrise nicht nur im Perimeter der Stadt lösen lasse. Die Genossenschaft Kalkbreite habe zwar eine grosse Ausstrahlung, jedoch nur einen kleinen Anteil von 130 Wohnungen – das seien 0.05 Prozent an der Gesamtzahl der Stadt. Ruff appelliert deshalb an mehr Dialog, welcher geführt werden müsse, um den urbanen Lebensraum weiterzuentwickeln. Der Fokus muss gemäss Ruff  immer auf einem attraktiven Lebens- und Quartierraum liegen. Dies beinhalte unter anderem Kulturangebote, Grün- und Erholungsräume, Arbeitsplätze oder Care-Arbeit. Wichtig sei dabei, dass nicht dieser Raum nicht nur verdichtet gebaut, sondern dass kompakt bewohnt werde Die Wohnfläche pro Person solle möglichst gering bleiben: In der Kalkbreite seien dies im Durchschnitt  28,3 Quadratmeter, während in den Liegenschaften der Stadt Zürich 39,6 Quadratmeter einer Person zur Verfügung stünden, so Ruff.

Sabina Ruff steht für kompakteres Wohnen ein.

7. Walter Angst – Mieterinnen- und Mieterverband Zürich

Der Mieterinnen- und Mieterverband würde seit Jahren nach Lösungen suchen, um die gewaltige Mietpreisexplosion zu stoppen, beginnt Walter Angst seine Präsentation. Innerhalb der Gesellschaft gebe es jedoch keinen Konsens, dass es Regulierungen braucht. «Die Volkswirtschaftsdirektion des Kanton Zürichs, Carmen Walker Späh, meint zum Beispiel, dass das beste Mittel für zusätzlichen Wohnungsbau ist, wenn man aufhört, dem Markt die Lust am Investieren zu nehmen», sagt Angst. Schweizweit finde diese Meinung eine grosse Mehrheit. Deswegen sei es wichtig, dass eine breite Bewegung Druck macht, eine Umkehr einzuleiten. Aktuell stehen laut Angst zwei Referenden die das Mietrecht betreffen, im Fokus. Auch die Wohnschutzinitiative könnte eine Veränderung anstossen. Sie setzt sich gegen überrissene Mieterhöhungen bei Sanierung ein und stellt sicher, dass eine vergleichbare Zahl an bezahlbaren Wohnungen gebaut werden, wenn abgerissen wird.

Walter Angst hofft auf eine breite Bewegung, die Druck auf eine Umkehr macht.

Hast du die Pitch-Night verpasst? Hier kannst du die Veranstaltung nachschauen:

Fokus Wohnen

Wohnen müssen alle. Es erstaunt deshalb nicht, dass kaum ein Thema so stark beschäftigt wie die Wohnungssuche und Mieterhöhungen. Um rund 40 Prozent sind die Mietpreise in der Stadt Zürich in den letzten 20 Jahren gestiegen und es gibt keine Anzeichen dafür, dass dieser Trend abflachen wird. Wohnen wird zunehmend zum Luxusgut. Wie können wir auch in Zukunft in einer bezahlbaren, attraktiven und nachhaltig gebauten Stadt leben? Dieser und weiteren Fragen widmet sich Tsüri.ch einen ganzen Monat lang mit verschiedenen Veranstaltungen und redaktionellen Beiträgen. Zum Programm.


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